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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 28.11.1918 (3.2012.2822)

 

28.11.1918.



Meine Lieben!
Das war wieder eine Freude, als heute Nachm. Mutti\'s lieber Brief vom 26. Abends kam, mit Hildi\'s Stenoeinlage. Habt vielen vielen 1000 Dank für Eure lieben Nachrichten. Ach, ich freue mich gerade so wie Ihr, daß ich nun endlich heim darf in ein geregeltes Leben zu ordentlicher fruchtbringender Arbeit. Wegen meiner Entlassung braucht Ihr Euch gar keine Sorge zu machen. Ich werde von meinem Regiment ordnungsgemäß entlassen, bekomme einen gestempelten und unterschriebenen Fahrschein u. Entlassungsschein, gegen den niemand etwas einwenden kann. unsere Linksrheiner, Neutralen und Brückenkopfler von Jahrgang 96 sind alle bereits entlassen außer einem Kameraden, Johannes u. mir. Noch sind wir nicht entbehrlich, aber die Kopfzahl unserer Bataillone wird ständig kleiner, sodaß wir nun hoffentl. auch bald gehen können. Ich teile es Euch schon rechtzeitig mit, wenn ich komme. Ich habe mir auch schon durch den Kopf gehen lassen, wie ich nach Frankfurt komme, wenn die Entente früher einrücken sollte. Ich werde dann von Hanau her bei Nacht und Nebel über die Felder kommen, Feldwege kenne ich ja. Als Ausweis habe ich meine Studentenkarte. Aber es wird kaum soweit kommen, das wäre das letzte.
Eben kommt mein neuer Bursche - Nix ist vorgestern entlassen worden – mit der Nachricht, daß die Division am Sonntag abmarschieren soll über den Schwarzwald nach Wittemberg, von wo die Heimführung der Leute geschlossen erfolgen soll. Gestern Abend ging schon das Gerücht von einem Marsch über den Schwarzwald. Heute früh kamen
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die Soldatenräte und erklärten mir, daß die Mannschaften unter keinen Umständen mehr einen Marsch machen würden. Wenn von jeder Kompagnie nur 10 Mann täglich heimgeschickt würden, wären wir in 8 Tagen alle zu Haus. (Unsere Kmp. sind heute kaum 100 Mann stark). Gegen Vernunftgründe sind die verständigen Leute taub geworden. Als gestern einer unserer Offiziere, der zum Soldatenrat gehört, in einer Soldatenratversammlung sagte, ob denn auch nur einer glaubte, daß die Division ein Interesse daran hätte, einen Mann auch nur eine Minute länger zurückzuhalten, als unbedingt nötig wäre, da wurde ihm von hinten zugerufen, das seien hohle Phrasen. *)
*) [Stenografischer Satz]?
Was soll man dagegen machen? - Johannes, der mich heute Nachm. besuchte, erzählte mir, daß er einem Mann seiner Komp., den er jetzt vor der Entlassung noch zum Unteroffizier gemacht hatte, dazu begückwünschte und von diesem als Dankesworte hören mußte: „Es war aber auch verdammt bald Zeit!“ !!! So was ist furchtbar bitter und man möchte an allen Menschen irre werden, wenn nicht die ganze Stimmung des Augenblicks viel entschuldigen ließ! Aber trotzdem sind die Leute gerade in meinem Batl. sehr anständig. Es gibt kaum einen, der die Offiziere seines Batl. auf der Straße nicht tadellos grüßte. Unser Batl. ist auch das einzige, in dem gegen keinen der Offiziere von den Soldatenräten auch nur irgend etwas vorgebracht worden wäre. Im Gegenteil, 3 von 5 Kmp. Führer wurden von den Soldaten selbst in ihren Soldatenrat gewählt. Ein besseres Zeichen, daß die Kmp. Führer eben vorher schon die Stellung ihren Leuten gegenüber inne hatten, die sie haben mußten, kann man sich kaum wünschen. -
Ich wurde gerade zum Geschäftszimmer abgerufen und wie ich eben wieder zurückkam, streife
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ich versehentlich mit dem Ärmel einen Brief vom Pfosten des Treppengeländers, dreh ihn rum und erkenne Vati\'s liebe Schriftzüge. Das war wieder eine Freude! Vati muß eine gute „Nummer“ bei der Militär-Eisenbahndirektion haben, daß seine Briefe um einen Tag schneller laufen als Mutti\'s! - Hab\' also vielen herzlichen Dank, mein liebes Vati, für Deine lieben ausführlichen Nachrichten. Ich schrieb Euch ja, daß Johannes heute Nachm. bei mir war. Er kam vor allem, um mit mir wegen unserer Entlassung zu sprechen. Inzwischen hat sich die Lage insofern geklärt, als der Abmarsch der Division nach Reutlingen endgültig auf Montag festgesetzt sein soll; daraufhin haben die Soldatenräte sofort selbständig beschlossen, daß wir täglich noch so viele Leute entlassen, daß bis zum Montag eben kaum mehr welche da sind. Die Sache ist schon im Fluß, ich habe vorhin eine ganze [...] Entlassungspapiere abgestempelt. Somit werden auch die meisten Offiziere bis zum Montag überflüssig. Nun erhalte ich Vati\'s lieben Brief mit den vielen neuen Nachrichten, daß meine Altersgenossen alle schon in Fft. sind und fest studieren, daß Kriegsteilnehmerkurse eingerichtet werden und daß man nicht weiß, wann die feindl. Besetzung anrücken wird. Alle diese Gründe sind natürlich sehr wichtig für mich, und ich möchte unter allen Umständen, daß mir das Semester angerechnet wird. - Ich habe mich auch heute Abend mit Johannes in den „Offenburger Hof“ verabredet, da werde ich mit ihm an Hand des Briefes die Angelegenheit gleich nochmal durchsprechen und dann den Regimentskommandeur, bei dem wir beide sehr gut angeschrieben sind, um baldmöglichste Entlassung bitten. Wenn in den nächsten Tagen nur noch so wenig Leute da sind, dann wird er sicher nichts gegen die Entlassung einzuwenden haben. Einen
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Vertreter werde ich unter meinen Kameraden vom Jahrgang 96 schon finden. - Daß unser Hauptmann schon vor einigen Tagen entlassen wurde, habe ich Euch ja geschrieben. Na, wir werden das Kind schon schaukeln und wenn ich vom Krebsgang in den Dünen höre, dann geht mir schon\'s Herz über. - Eine große Sorge habe ich allerdings noch. Essen und Trinken werden nicht fehlen, wenn ich nach Hause komme, aber, womit soll ich mich kleiden? […] und wilder Honig sind jetzt kaum zu haben!! Ich weiß nicht, ob man in Frankfurt ungeschoren als Offizier über die Straße gehen kann. - Aber der bekannte Zahn der Zeit wird schon seine Schuldigkeit tun. -
So, nun wollte Mutti noch etwas von meiner engeren Umwelt wissen. Mein Quartierwirt ist Batl. Kdr. im Osten, zur Zeit auf Urlaub, in Zivil, von Beruf Fabrikdirektor (Spinnerei & Weberei Offenburg A.G.) mit einem Jahreseinkommen von 45000 Mark. Auch warmes Wasser kann man daher seiner Wasserleitung entnehmen, in meinem Zimmer ist außer der doppelbirnigen Zimmerlampe noch elektrisches Licht über dem Mauervorsproß und je 1 elektr. Stehlampe neben beiden Betten. Die […] auf den Treppen sind mit Messingstangen befestigt, seine etwa 20jährige Tochter ist Hilfsschwester, zur Zeit hat er nur 250 Arbeiter und webt Papierstoffe, trotzdem lud er mich neulich nur so im Vorbeigehen zu Apfelreis und einer Pulle Sekt ein. Hugh! sprach die weiße Schlange! Dies sind meine Worte, denen ich nicht mehr hinzuzufügen habe! -
Auch sonst geht mirs sehr gut. Ich habe leichten Schnupfenreiz aus Anhänglichkeit an meine Familie.
Für heute bin ich mit 1000 hrzl. Grüßen Euer Euchl. Wolf.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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