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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seinen Großvater am 29.08.1917 (3.2012.2822)

 

29. August 1917.



Mein lieber Großvater!
Mehr als einen Monat später sollst Du diesmal den Geburtstagsbrief bekommen. Ich scheue mich beinahe, jetzt noch von einem Geburtstagsbrief sprechen zu müssen. Du weißt, daß damals einige Tage vor Deinem Geburtstage die große Druchbruchsschlacht ihren Anfang nahm und wir in geringem Maße auch daran beteiligt waren. Damals war es verzeihlich, daß ich nicht zum Schreiben kam. Als die Tage der größten Arbeit vorüber waren, ging mein Regimentskommandeur auf Urlaub und wurde durch einen Major Graf von Hardenberg vertreten. Der mußte natürlich erst die Stellung kennen lernen, so stiefelte ich jeden Vormittag 5 Stunden mit ihm durch die Gräben, und nur der Nachmittag blieb mir zur Büroarbeit und der Ausarbeitung der Befehle übrig. - Am 15. d/s[?] kam dann plötzlich meine Kommandierung zur 55. Landwehr Infanterie-Brigade als Ordonnanzoffizier. Hier ist nun meine Arbeit ganz erheblich geringer geworden, sodaß ich Dir wenigstens jetzt noch einen Verzeihungsbrief schreiben will, der den Anfang zu einer neuen und fleißigeren Schreibzeit machen soll.
So nimm dann bitte auch nachträglich meine aller aller herzlichsten Glück- und Segenswünsche für das kommende Lebensjahr entgegen. Vor allem erhalte Dir der Himmel Deine wetterharte kernige Natur, die mit kleinen Anfällen schnell fertig wird und sich immer wieder siegreich behauptet als Lohn für ein arbeitsames einfaches Leben, das uns Enkeln ein leuchtendes Vorbild sein soll. Und dann möge uns allen in Bälde der heißersehnte Frieden beschert werden, auf den wir draußen nicht zuversichtlicher und sehnlicher hoffen, wie alle Leute daheim.
Man kann sich\'s kaum mehr ausdenken, wie herrlich es sein muß, ungestört und frei für Familie u. Vaterland leben und arbeiten zu dürfen. Den entscheidenden Sieg tragen wir davon, das steht fest, nur wünschen wir sehr, daß das recht bald sein möchte und wir nicht noch gar einen vierten Winter im Felde zubringen müssen. Aber Gott wird schon Alles zum besten lenken!
Meine Regimentsadjutantenzeit hat also nach beinahe 2 Monaten ersprießlicher Tätigkeit ihren Abschluß gefunden dadurch, daß ich noch eine Stufe höher und dem Generalfeldmarschall näher gestiegen bin. Auch hier bin ich nur stellvertretender Weise, aber das Kommando kann immerhin einige Wochen dauern, heute bin ich schon 14 Tage bei der Brigade.
Eine kleine Geburtstagsfreude kann ich Dir machen, lieber Großvati, durch die frohe Nachricht, daß ich vor einigen Tagen das Fürstlich Lippische Kriegsverdienstkreuz erhalten habe! Du weißt ja, daß das II. Batl meines Regimentes sich ganz aus lippischen Landeskindern zusammensetzt und daß ich über ein halbes Jahre in diesem Batl. als Kriegsfreiwilliger, Gefreiter, Unteroffizier u. Vizefeldwebel tätig war. Umso größer ist natürlich jetzt meine Freude, daß ich jetzt auch ein äußeres Erinnerungszeichen an meine lippischen Kameraden tragen darf. Das Kreuz ist sehr hübsch und nimmt sich besonders neben dem Eisernen Kreuz sehr gut aus. Es hat ungefähr die Form des letzteren, ist messingfarben u. wird an einem weiß-rot-gelben Bande getragen.
Auf der Vorderseite liegt ein Lorbeerkranz, in dessen Mitte die bekannte lippische Rose eingeprägt ist. Oben steht ein L mit der Krone darüber. Der Fürst heißt Leopold, unten steht die Jahreszahl 1914. Auf der Kehrseite steht: „Für Auszeichnung im Kriege.“ Das Kreuz sieht ungefähr so aus:
[Bleistiftzeichnung Vorderseite] [Buntstiftzeichnung Band]
Das Bändchen wird im Knopfloch unter dem Eisernen Kreuz Bändchen getragen, oder aber auf der Ordensschnalle neben dem des E.K. Ich freue mich jedenfalls sehr, nun eine kleine bunte Unterlage für das schwarz-weiße Bändchen zu haben.
Hier beim Brigadestabe habe ich natürlich ein feines Leben. Mein Kommandeur ist S. Exzellenz Generalleutnant z. d. v. Frech, ein sehr gemütlicher alter Herr u. vor allem ein glänzender Soldat! Furcht kennt er überhaupt nicht. Er kriecht in jede Sappe u. besucht alle Feldwachen und Horchposten, ganz gleichgültig, ob die Russen schießen oder nicht. Trotz seines Alters von eben 64 Jahren ist er rüstig zu Fuß wie der jüngste Leutnant, gewandt, ausdauernd u. ein guter Reiter. Ich reite fast jeden Tag mit ihm fort, meist sind wir 2 ½ Stunden im Sattel und 2-3 Stunden im Schützengraben. Das ist natürlich ein sehr gesundes Leben. - Neulich, als ich auch einmal mit ihm ausritt, kamen wir durch ein kleines Wäldchen im Hinterland. Da kam uns plötzlich ein Gespann entgegen von einem halbwüchsigen polnischen oder ruthenischen Bauernjungen geführt, im vollsten Galopp auf dem schmalen Waldweg. Der Junge sprang ab und rief: „Härr, Härr, da zwei Russisches!“ und deutete lebhaft den Weg entlang, den er gekommen war. Ich hieß ihn gleich mitkommen, er lief voran und ich ritt mit Exzellenz hinterher. Außerhalb des Waldes ritten wir noch ein Stück an Wiesen u. Äckern vorbei, bis er stehen blieb und nach vorn zeigte. Richtig, da saßen im typischen braunen Mantel und den bekannten Feldmützen 2 waschechte Russen am Wege. Wir ritten sofort auf sie los und drohten mit der Faust und fuchtelten mit den Armen in der Luft herum. Da standen sie sofort auf, der eine salutierte sogar vorschriftsmäßig. Und dann marschierten sie eben vor uns her bis zur nächsten Ortschaft, in der die Division liegt und übergaben sie dort einem Hauptmann zur weiteren Behandlung. Durch den Dolmetscheroffizier erfuhr ich später, daß die Beiden zu Beginn der deutschen Durchbruchsschlacht gefangen worden und zu einer Gefangenenkompanie hinter der Front gekommen waren, von der sie sich nun unbemerkt entfernt hatten, um die Front wieder da zu überschreiten, wo man sie gefangen hatte. - So kann man also auch hinter dem Schützengraben Gefangene machen! -
Ich lege Dir hier ein weniger gutes als äußerst interessantes Bildchen bei. Es sind die russischen Posten an dem großen Sprengtrichter von Zw[?]., die ich seinerzeit photographiert habe, als noch die Verbrüderung war. Ich schrieb Euch ja schon mal ausführlich darüber. - Das Bildchen am Kopf des Briefes haben wir mal geknipst, als wir, Johannes u. ich, kurz auf der großen Reise, im Unterstand zusammen wohnten.
Für heute nun Schluß! Ich wünsche Dir eine recht gute u. gründliche Erholung von dem neulichen Gesundheitsangriff u. weiterhin alles Gute.
1000 herzliche Grüße Euch allen Euer Euchl. Wolf.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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