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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 27.05.1917 (3.2012.2822)

 

Pfingstsonntag, 27. Mai 1917.


196.
Meine Lieben!
Einen Pfingstgruß sollt Ihr schon haben, wenn ich auch augenblicklich ziemlich ohne Stoff bin. Gestern habe ich 6 Briefe und 2 Karten geschrieben, ohne mich nur einmal im Wortlaut zu wiederholen, da könnt Ihr Euch eine gewisse Funktionsunfähigkeit schon erklären.
Gestern Nachmittag habe ich mit Johannes einen Spaziergang durch die Stellung gemacht. Erst waren wir bei einem Artilleriebeobachter am Scherenfernrohr und haben uns die russischen Stellungen gewissermaßen summarisch angesehen, aber schon da boten sich dem erstaunten Auge immer neue Überraschungen. „Ist das die russische Stellung?“ „Jawohl, Herr Leutnant; man kann auch das Drahtverhau davor sehen.“ „Ja, aber da laufen ja 2 Kerle oben neben dem Graben!?“ „Das sind Russen.“ „Donnerwetter! Wahrhaftig, man sieht ja ganz deutlich die kahkifarbene Uniform, und sind noch mehr, und da hinten weidet ja auch Vieh und Pferde!“ „Jawohl jeden Abend gegen 6 Uhr kommen 3 Russen auf Pferden und treiben die Tiere in den Wald. Morgens, wenn es hell wird, sind sie schon wieder auf der Weide.“ - Ich beobachtete nachher mit Johannes vorn vom Graben aus. Ja, da sehen wir eben überall Russen herumlaufen, einer holte gerade Wasser im Fluß, der die Stellungen trennt (die Stellungen sind z.T. 1-1 ½ km von einander entfernt. Das sind halt ganz andere Verhältnisse als bei uns an der Westfront früher. Nachstellungen scheinen hier sehr selten zu sein. - Wir schießen nicht auf die Russen, weil sie kriegsmüde sind und nur von den fremden Ententeoffizieren noch zu Feindseligkeiten gegen uns gezwungen werden können. Unsere Artillerie schießt fast ausschließlich auf die gegnerischen Batterien, weil die durchweg von nicht russischen Offizieren befehligt werden. Wenn die russische Infanterie schießt, pfeifen die Kugeln meist hoch durch die Bäume und wir antworten überhaupt nicht. - Ja, ich glaube bestimmt, daß wir mit dem neuen Rußland einen Verständigungsfrieden im Sinne des Reichskanzlers schließen können, der für uns durchaus günstig ist, denn ich glaube, daß die Russen auf Kurland ohne Schwierigkeit verzichten werden und sich von England nicht viel beeinflussen lassen werden. Unser Verhalten den Russen gegenüber hier an der Front spricht doch wohl dafür und scheint von der Politik diktiert. So helfen wir hier Weltgeschichte machen!
Gestern Abend hat hier die Regimentsmusik gespielt, 15 Minuten hinter dem vordersten Graben; das kann man sich schließlich gefallen lassen. Heute Nacht hat\'s tüchtig geregnet, jetzt steht überall das Regenwasser auf dem undurchlässigen Tonboden, aber die Sonne hat das meiste schon wieder ausgetrocknet, sodaß ich heute Vorm. mit Johannes einen schönen Spaziergang am Waldrand machen konnte. - Heute Nachm. bin ich Offizier vom Kirchendienst (o, das Mädchen für Alles!) -
Nun ade, alles Gute u. 1000 herzl. Grüße Euer Euchl. Wolf.
[?]. Ich schicke ein Bildchen unseres alten Unterstandes im Gemeindewald mit, ebenso für das Kriegsarchiv die Libau\'schen u 1 Colmar\'schen Stadtschuldschein.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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