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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 13.04.1915 (3.2012.2822)

 

Im Unterstand, 13. April 1915.


№ 79.

Meine Lieben!
Nun sitze ich hier unmittelbar hinter der Front 1 ½ m tief unter der Erde, in einem richtigen Unterstand, der sich dadurch auszeichnet, daß man nur auf den Knieen rutschend sich in ihm fortbewegen kann und daß er, trotz seiner geringen Ausdehnung für 6 Mann mit Tornister, Gewehren und aller sonstiger Ausrüstung ganz gut Platz bietet. - Aber ich will mal lieber von vorn anfangen. - Gestern Vormittag wurden wir: Johannes, ich und ein Einjähriger Reservist von unserer Kolonne zum Kompanieführer, einem sehr netten Leutnant gerufen, der uns herzlich willkommen hieß und sagte, er bringe uns vollestes Vertrauen entgegen, und hoffe, daß wir sein Vertrauen rechtfertigen, daß wir unser bestes hergeben, das wir haben. Er wolle immer nur gutes von uns hören und hoffe, daß es uns in der Kompanie gefallen werde. - Am Nachmittag kam noch ein großer Schub gefangener Russen an, die, schon am 28. August in Gefangenschaft geraten, seither im Gefangenenlager Limburg gearbeitet hatten, und jetzt die schlechten französischen Straßen ausbessern sollen. Es waren sehr interessante Gesichter darunter, teilweise wunderschöne, recht russisch, auch vom Typ der Ida Monkewitz war einer dabei, der ihr Bruder hätte sein können. Sie hatten alle sehr gute Stiefel (russische!), die großen Schirmmützen und Kaki-Anzüge in erdbraunem Feldgrau, das ich dem deutschen entschieden vorziehen möchte.
Um 3 Uhr trugen wir unsre wohlgepackten Affen hinaus, wo sie alle auf einen großen Wagen gestapelt wurden, um uns ein Stück vorausgefahren zu werden. Um 6 Uhr traten wir an, das Gewehr auf den Rücken gehängt, den Wanderstab in der Hand und dann gings halt los, auf der Landstraße und über Feld etwas über 2 Stunden, bis wir mit der Dunkelheit in A. anlangten, wo uns, o Schmerz, die Wagen mit den Affen erwarteten, und o Freude, eine Gulaschkanone (oder auch Kohldampfabwehrkanone) mit heißem Kaffe und geschmiertem Kommißbrot lockte. Wir setzten die Gewehre zusammen, holten uns Kaffe und Schmalzbrot, und auf dem Affen sitzend ließen wir's uns prächtig schmecken. Dann hieß es plötzlich „8. Kompanie umhängen!“ und los ging's in die sternhelle Nacht hinaus, schweigsam, denn die Last des Tornisters drückte auf die Schultern, und der löcherige schlammige Weg erforderte die ganze Aufmerksamkeit. Geradeaus vor dem Weg fliegen Leuchtkugeln hoch wie der Stern von Bethlehem uns den Weg zum heißersehnten Ziel zu zeigen. Einzelne Reiter, Gulaschkanonen, Leiterwagen, müde Pferde und schwer bepackte Infanteristen, die uns entgegen kamen, machten oft ein Halten von ein paar Minuten nötig. Dann vernahm man oft ein leises Aufseufzen unter der schweren Last, aber niemals ein Murren oder ein böses Wort. Ein jeder weiß ja, für wen und zu welchem Ende er alles dies auf sich nimmt, und gerne tut er alles, wodurch er seinem Vaterlande irgend nützen kann. Durch ein ganz zerschossenes und ausgebranntes Dorf geht der Marsch weiter, wieder auf die Höhe, von der uns die ganze Frontlinie durch aufsteigende Leuchtkugeln bezeichnet wird. Die kühle Nachtluft kanns nicht hindern, daß sich die Stirne mit Schweiß bedeckt. In einem Hohlweg dringt rechts und links ein matter Lichtschein durch noch mattere Scheiben; hier hat sich die Infantrie gut geschützte und schön unentdeckbare Unterstände gebaut. Jetzt kanns nicht mehr weit für uns sein. Aber der Weg dehnt sich endlos, auf einmal biegen wir vom Wege scharf links ab und tasten uns in einen ausgebauten Hohlweg hinunter, der uns auf einen aus Bohlen gebauten Fahrweg führt. Lange noch stolpern wir müde über die Bohlen, links und rechts und vorne fauchen Geschütze, fallen einzelne Gewehrschüsse und suchen Leuchtkugeln vergebens den inzwischen eingetretenen Nebel zu durchdringen. Auf einmal wird rechts eine Anhöhe sichtbar, allenthalben aus tausend Bohlen dringt Lichtschein aus dem Berg, wir gehen drauf zu, und erleichtert atmet alles auf, die Untstände sind erreicht, noch ein Schluck Kaffe und die Stiefel aus, und bald liegt alles in sanftem Schlaf, der selbst nicht durch das von oben tropfende Wasser, das Krachen der Geschütze und die über die Decke laufenden Menschen gestört wird. Heute prächtiges Wetter und viel Schießen. Sehr interessant. Heute Abend geht's in de Graben! 1000 herzl. Grüße
Euer Wolf

 

 



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