Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 06.09.1918 (3.2012.2822)

 

Frankfurt a. M. 9. Juni 1918



Mein herzlieber Wolfi,
so eine kleine Hoffnung hatte ich immer noch, daß wir unser Geburtstagskind diesmal wieder einmal bei uns haben dürfen, ihm wieder einmal einen friedensähnlichen Festtag mit allerlei kleinen, lieben Freuden bereiten können – aber der liebe Onkel Hindenburg hat die Urlaubskiste leider immer noch als Tisch in Benutzung und unser Buble muß sich gleich uns noch weiterhin gedulden und muß nun zum viertenmal einen Kriegsgeburtstag verleben. Wer weiß in welcher Umgebung, mit wem und wo? Doch seist Du wo immer, tausend innige Wünsche kommen zu Dir. Wünsche für Dein Wohlergehen, Deine glückliche Erhaltung, für gnädigen Schutz in all den tausend Gefahren, für treue Freundschaft und nette Kameradschaft, Anerkennung u Befriedigung im Dienst, Anhänglichkeit Deiner Untergebenen, Würdigung Deiner Leistungen durch gerechte Vorgesetzte.
Wünsche endlich, heiß u stark, für Deine glückliche, baldige, endgültige Heimkehr!
Ein Sonntagsgeburtstag ist etwas besonders schönes, hoffentlich kannst Du ihn mit einem guten Kameraden einigermaßen festlich begehen, Dein treuer Nix wird wohl an ihn denken u ein bißle Schmuck für den Festtag herbeibringen. Ein paar winzige Päckle sind an Dich unterwegs, damit Du doch ein bißle fühlst, wie wir im Geiste bei Dir sind u Dir Freude machen wollen.
Freilich ein richtiges Geburtstagsgeschenk mußt Du Dir erst im Urlaub aussuchen, da machen wir wieder einen gemütlichen Stadtbummel mit Bücher- Kunst- u. andere leden beschauen, dann wird sich schon ein Wünschlein erfüllen lassen. Schwer genug ist es ja jetzt, auch nur das Bescheidenste zu beschaffen, unmöglich etwas Eßbares oder vielmehr Genießbares zu erschwingen, sehr zweifelhaft, im Buchladen nur einigermaßen Gewünschtes aufzutreiben. Aber da u dort wird sich schon etwas Begehrenswertes, Erwünschtes auffinden. Ich hätte Dir so gern irgend ein Wünschlein erfüllt, aber es wollte mir so gar nichts einfallen u das, was Dir sicher Freude gemacht hätte, ein paar Aufnahmen waren mir nicht möglich, einfach alles an Apparaten versagt, keines ist gebrauchsfertig, nichts in Stand, ich setze meine ganze Hoffnung auf Dein Kommen, da müssen wir Kriegsrat halten, wie dem leidigen Zustand, nämlich bei 3 Kameras keine Aufnahme ermöglichen zu können, abzuhelfen sei.
Ich habe mich nun mit fremden Federn geschmückt habe mir ein paar Kinderfilme von Frau Stein geholt u sie Dir, mangelhaft genug, kopiert u getont[?]; so kommt doch wenigstens ein Familienmitglied zum Geburtstag zu Dir, und zwar eines, daß sich schon ganz gehörig zu behaupten weiß. Schade ists freilich, daß die Farben nicht mit aufnehmbar sind, die würden erst den Eindruck vollständig machen. Ist das Hänsel-Gretelbild im Wald nicht allerliebst? Es stammt von einem Ausflug Steins, auf den sie Biebus[?] mitgenommen hatten, u wo er sich musterhaft benommen haben soll. Seine geliebte Helgale[?] ist natürlich unzertrennlich von ihm, die
II
beiden sind ein goldiges Gespann. Bieb ist ja bei weitem der Überlegene, er gibt meistens die Spiele an, überredet Helgale zu allem möglichen, sie folgt ihm auch brav u ist ihm zärtlich zugetan. Ganz herzig ists, wenn sie miteinander Milch bei Heuber[?] holen. Die große Milchkanne zwischen sich, ziehen sie meist barfuß die Straße zum Dornbusch, dabei gehen die Mündchen unaufhörlich und der „Büffel“ u „Löwe“ spielt eine große Rolle in den Gesprächen. Neulich waren sie mit ihrem neuen Freud Karlchen, Sohn von Stadtrat Meckbach[?], u dessen Mutter im Zoo, das war natürlich ein Ereignis und hat lange ihre Unterhaltung bestimmt. Ein Dummerl ist das Büble noch gehörig, Vati meint sogar, ein ganz besonders, ich bestreite es aber, es ist die normale Dümmlichkeit dieses Alters besonders bei sonst körperlich gutem Gedeihen. Bub fragt: „Mutti, weißt, ich hab mal so viele Schafen gsehen, draußen auf der Straße; wo sind die denn, Muttle?“ Die sind wohl schon alle geschlachtet.“ Überlegung. „Ist der Schafmeister auch geschlachtet“. Nein, der nicht. „Aber der Hund ist wohl auch geschlachtet“! Wer weiß, ob der ahnungsvolle Engel nicht recht damit hat u der Wauwau einen guten Hasenbraten abgab!
Jannle ist nicht mehr so viel mit den Kleinen beisammen, wie mit ihren Freundinnen Jutta u Ilse, die viel bei uns spielen. Neulich war halt ein großer Tag für sie, sie durfte einen Maiausflug mit Juttas Klasse in den Stadtwald mitmachen. Das war ein Ereignis mit Rucksack u Milchflasche u so ganz allein mit den vielen Mädels.
Gestern hatte sie einen kleinen Unfall, der leicht schlimm hätte ausfallen können, ihr Freund Friedl hat sie auf seinen Schultern reiten lassen (!), ist dabei mit ihr gestürzt, glücklicherweise noch so günstig, daß sie nur auf Hände u Knie fiel, sich aber letzteres ganz gehörig zerschlug, von Frau Stein verbunden u. von Hilde u Friedl angeschleppt wurde. Sie soll ungeheuer tapfer gewesen sein bei der ganze Sach, jedenfalls hats gehörig weh getan & jetzt noch humpelt sie ganz breitbeinig herum mit einer großen „Verbinde“, wie es Bibus nennt.
Westerburg hat ihr sehr gut getan, sie sieht entschieden viel besser als im Frühjahr aus, wenn auch der Appetit immer zu wünschen übrig läßt. Sehr gut sieht einmal Hexle aus, ich meine sie ist schon wieder gewachsen, hat aber ein recht volles Gesichtel und ist auch nicht hager, Du wirst staunen über das große Schwesterlein, das Dich womöglich noch überholt an Länge. Sie freut sich natürlich nicht wenig auf die Ferien, die sie mit Jannle in Hadamar zubringen wird, hoffentlich wird der Juli so schön, wie der Mai jetzt war & anscheinend der Juni auch. Zu schön fast ist er, es will nicht regnen & allenthalben steigt große Besorgnis auf, auf den Feldern wird die Dürre bald kritisch, im Garten kann man ja mit Gießen nachhelfen, wenns auch beschwerlich ist, aber da gibt's natürlich ein üppiges Gedeihen dadurch. Herrlich ist der Garten jetzt, in seiner schönsten Zeit mit den blühenden Rosen am Zaun, Haus & in den Beeten, mit der üppiger Hollunderhecke, dem vollen Jasmin, bunten Merzerauten[?], späten Pfingstrosenbüschen immer noch vollem Weichelien[?]. Wir haben neulich einen Tag zu viert wie die Bauern geschafft u. den ganzen Garten mit Rasenplätzen & Wegkanten sauber gemacht & für den Abend einige Gäste eingeladen, hauptsächlich die Eltern Deines Freundes Ochs, dann 2 neue Kollegen, Frau Petersen, Frau Stein. Der Himmel blieb uns günstig, wir konnten unter der Weide bis um ½ 12 sitzen u alles war entzückt vom Garten.
Willi Ochs ist bei einer Kraftwagenabteilung bei Valenciennes, es geht ihm gut. Seine Eltern sind reizende Menschen und uns äußerst sympathisch. In dieser Woche wollen wir noch einmal Bekannte bei uns sehen, eben habe ich die Einladungen abgeschickt, hoffentlich ist da auch noch ein schöner warmer Abend, wenns auch vorher einmal tüchtig geregnet haben könnte zur allgemeinen Erleichterung.
Haben wir Dir eigentlich von unseren Sommerplänen einmal etwas geschrieben? Wir hatten noch nichts bestimmtes in Aussicht, erwogen nur allerlei, und hatten darin nur als festes vor, mit dem weißen Großvater
[Blatt umgedreht] Frankfurt . M d. 9.5.18
Meine liebe Els,
Verzeih, ich sah erst auf der letzten Seite diesen Briefbeginn
III
irgendwie zusammen zu sein. Inzwischen kam zu Pfingsten ein Brief Minnerls[?], wo sie schrieb, daß sie nahezu am Verhungern seien nichts mehr zum Kochen hätten & nicht bekämen. Einer Aufnahme in die Mittelstandsküche stünden auch noch Hindernisse entgegen. Wir luden schleunigst Großvater zu uns ein, er sollte auf Monate zu uns kommen, denn ich kann eine viel bessere Ernährung ermöglichen, wenn auch kein üppige; Vati wollte noch mit Großvater einige Zeit nach Westerburg gehen. Kaum waren unsere Vorschläge nach Asch abgeschickt, als der Bregenzer Großvater Vati u mich auf 3 Wochen zu sich einlud. Und gleich danach kommt abermals ein Brief Minnerls[?], wo sie schier jubelnd von einem wunderbaren Umschwung schreibt, die Mittelstandsküche habe sie aufgenommen, die Kost sei wundervoll, reichlich, fett, gutzubereitet, es gibt viel Fleisch, dicke Suppen, Knödel, kurz alle seien entzückt & erlöst! Man sah aus dem Brief erst, wie sehr die armen Aschleuten darben mußten, was sie entbehrt haben. Zugleich schrieb Minnerl, daß Großvati Ende Juli nach Keilhau[?] wolle, u irgendwie mit uns in [...] od. sonst wo zusammen sein wolle. Allerdingsauch uns alle hier auch einmal sehen möchte,. So gut nun dies sonst gepaßt hätte, so wenig stimmt dies jetzt mit der Einladung nach Brengenz, der wir aus mehr als einem Grunde gerne folgen möchten. Brengenz ist an sich wundervoll, dem Großvater ein bißchen ablenkend & erheiternd zu erscheinen, auch ein schöner Gedanke u eine so billige Sommerfrische in jetziger Zeit nicht zu verachten. Nun kam gestern ein großer Brief des weißen Großvaters, er ist auch glücklich in der neuen Kost, will einmal 2 Monate auf jeden Fall sie genießen, um sich ein bißchen auf die Reise zu stärken, dann im Juli Keilhau[?] machen u uns irgendwie treffen. Im Herbst aber auf jeden Fall hierherkommen, um womöglich alle zu sehen. Wir haben ihm nun den Vorschlag gemacht, Ende August herzukommen, wenn wir aus Br. zurück sind; wir wollen gleich nun unsere Pässe einkommen & hoffen, Anfag August reisen zu können. Hoffentlich paßt es auch mit Deinem Urlaub so, daß Du dann vor – oder nachher hier bist womöglich zu Vatis Gebutsg, wenns schon nicht früher sein kann. Vati's Ferien sind diesmal sehr kurz, vom 5.8. bis Ende September, eigentl nur bis 15. Spt. da er voraussichtlich Dekan wird u dann schon Mitte Spt. hier sein muß. So wird sich hoffentlich alles regeln & einrichten lassen. - Und nun mein liebster Jung, zum Schluß, hunderterlei hätte ich Dir noch zu erzählen, aber Deine Dienstzeit wird Dir das Lesen gar nicht erlauben deshalb bald […] & für diesmal genug. Nun halte einen recht recht schönen Geburtsg, an dem wir alle bei Dir sind, geh vergnügt & tapfer wie bisher ins neue Lebensjahr. Das das ein recht gesegnetes sein möge & behalt lieb Deine alte Mu[?]

Lieber Wolfi,
Ich hab Dir ein Büffel gemalt und viel Wünsche zu Deinem Geburtstag und viele Grüße
von Biebus

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top