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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 02.06.1917 (3.2012.2822)

 

2. Juni 1917.


202.

Meine Lieben!
Gestern erfreute mich Eure liebe Karte aus dem Odenwald, der Euch seit der Lichtenberger Zeit recht ans Herz gewachsen zu sein scheint. Ich freue mich von Herzen, daß Ihr Euch jetzt mal ein bißchen wohlverdiente Erholung gönnt, nötig habt Ihr sie beide! Ich kann den heutigen Brief wohl getrost wieder nach Frankfurt schreiben, wie die Karte gestern versehentlich auch dorthin u. nicht nach Erbach gesandt wurde. Es wäre mir auch lieb, wenn dieser Brief nicht gerade in den Händen eines Odenwälder Postbeamten verloren ginge, der im Hauptberuf eine „Gemischte Warenhandlung“ und im Stall Kühe und Pferde hat. Ich habe Euch nämlich etwas zu erzählen, worüber Ihr lachen und staunen werdet.
Gestern Nachmittag bin ich mit Johannes los, am Regimentskommando des K. u. K. Reg. …. vorbei bis zum Batl.stab, wo wir einem Ungarn unsere Gäule zu halten gaben. Wir selbst stolperten durch einen langen Laufgraben und bald durch ein Gewirre von Schützen- und Laufgräben, die den zerschossenen Wald durchzogen, in die erste Linie, suchten den „betreffenden“ Kompagnieführer auf, der natürlich nicht zu Hause war, trafen aber glücklich seinen Stellvertreter, der uns einen intelligenten Fähnrich mitgab, so daß die Förmlichkeiten erfüllt waren. Der Posten, der am Eingang zur Sappe stand, trat ohne Weiteres zur Seite, wir gingen die Sappe vor, da standen vorne zwei Posten (Östreicher alle natürlich), mit den Ellenbogen auf den oberen Rand der Schießscharten gelehnt und schauten ganz frei hinüber. „So, wenn ich die Herrn nun bitt\'n darf, die Mütz\'n abz\'nehmen“ sagte der Fähnrich in gemütlichen, nicht ganz deutschen östreichisch, und erklärte uns erst noch kurz, daß wir am Rand eines Trichters stünden, der vor einiger Zeit einmal gesprengt wurde, und nun könnten wir ruhig hinübersehen. Wir stiegen auf den Auftritt, vor uns gähnte der Trichter, Lehm, Kalte[?] u. Staub, am jenseitigen Rand Sandsäcke, Schießscharten, und darüber grinste ein braunes, stumpfnasiges Russengesicht zu uns her, ohne Scheu, ohne Verwunderung, das ist das gewöhnlich Leben hier am Trichter! „Ja Donnerwetter, ist das denn wirklich ein Russe?“ Man sträubte sich innerlich dagegen. Wir von der Westfront kennen solche Nachstellungen, aber da wurde der Krieg geführt bis auf\'s Messer, da gab\'s keine Gnade, und hier? … Hier steht man sich friedlich gegenüber, mitten im Krieg, im vordersten Graben und lacht sich an und schwätzt miteinander!?! Ja, wahrlich, unser Begleiter konnte russisch und fragte zunächst hin über, ob es ihm warm sei. Der Russe grinste über das ganze Gesicht „Da, da, da, da, da, !“ Er war zu faul, mehr zu sagen, die Sonne brannte auch fürchterlich heiß herunter auf das kahle zerichlen[?] Gelände. Seine Mütze,
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die berühmte kahkifarbene, hatte er tief in den Nacken geschoben. „Sie sind furchtbar faul, sie kommen meistens erst gegen Abend raus, wenn es kühler wird“, erklärte unser Begleiter. - Damals, als die Trichtersprengung von uns vorgenommen wurde, hatten wir die Russen davon benachrichtigt, weil sie es uns auch einmal vorher gesagt hatten, aber sie wollten es nicht recht glauben, begannen erst im letzten Augenblick ihren Graben zu räumen und hatten dabei viel Verluste, etwa 33 Verschüttete, wie sie nachher erzählten. Sie fragten, wozu denn das sei, es hätte ja doch keinen Zweck. Deshalb wird auch nicht gegenseitig geschossen. Man hat hüben und drüben die Zwecklosigkeit eingesehen, es ist ja viel schöner so, im Frieden miteinander auszukommen. Neulich hatten die Östreicher mal einen Verwundeten durch einen Schuß, der ganz von der Seite kam. Die Russen entschuldigten sich sogleich sehr, es sei ein Versehen, 2 Mann liefen auch gleich zum russischen Kommandanten und richteten nachher aus, er ließe sein Bedauern aussprechen, es sollte gewiß nicht mehr vorkommen. Die Russen leben in großer Angst vor uns, weil wir ihnen ständig drohen, daß unser Kommandant sofort ihren ganzen Graben in die Luft sprengen würde oder zusammenschießen oder mit Flammenwerfern ausbrennen, wenn sie uns nur irgend etwas zu leid täten. Sie brauchten es nur zu sagen, dann würden wir eben so gerne Krieg mit ihnen führen, aber dann sollten sie sich noch wundern..... das macht den Russen natürlich gewaltigen Eindruck und es sind keine leeren Drohungen von uns, das wissen die Russen! Der Fähnrich erzählte uns noch viel, viel von dem eigenartigen Leben hier Trichter, ich kann Euch garnicht alles erzählen. Nur noch einige kleine Sachen: Einmal schossen die Russen mit Lufttorpedos auf den deutschen Kompagnieführerunterstand. Wir fragten sofort hinüber, was das heißen soll, die Russen entschuldigten sich furchtbar und bald kamen auch noch 2 Russen, die sagten, sie seien eben unten bei dem Lufttorpedostand gewesen und hätten die Bedienungsmannschaft gründlich verhauen. In der Tat wurde seitdem von den Russen nicht mehr mit Lufttorpedos geschossen. - ein andermal sagten sie, sie müßten mit Handgranaten werden, es sei ihnen befohlen und wir sollten Deckung nehmen. Unsere Leute wollten es nicht glauben und bleiben oben stehen, da warfen die Russen die Handgranaten eben nicht zu uns herüber, sondern in den großen Trichter zwischen den beiden Stellungen. - Es wird Euch nunmehr unglaublich klingen von dem, das ich hier erzähle. Ich selbst habe, solange ich nicht vorn war, den vielen märchenhaften Dingen, die man von vorne zu hören bekam, nicht recht getraut. Aber als ich nun gestern mit eigenen Augen den Russen vor mir sah u. seine Stimme hörte, und als dann noch viele andere Russen gegen Abend über dem Grabenrand zum Vorschein kamen und herüberlachten, da war mir keine der Erzählungen mehr verwunderlich. Und wenn vielleicht IHR glaubt, ich wollte Euch etwas vorflunkern, so habe ich Zeugen, die ich Euch zusenden kann: photografische Aufnahmen der Russen am Trichterrand! Wir haben gestern natürlich unsere Apparate mitgenommen, unser Begleiter rief den Russen zu, sie sollten sich bißchen höher stellen, was sie auch bereitwilligst taten und da knipsten wir dann in aller Ruhe, jeder 3 Zeitaufnahmen, die wir Abends gleich entwickelten. Sie sind alle gelungen. Nun aber Schluß!
Alles Gute u. 1000 herzl. Grüße Euer Euchl. Wolf.

 

 



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