Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Tante an Wolfgang Panzer am 24.11.1914 (3.2012.2822)

 

Asch, 24. XI. 1914.



Mein lieber Wolfi!
Alle haben Dir längst geschrieben seit Du Soldat bist, nur von mir hast Du noch keine Zeile aufzuweisen u. doch denke ich vielleicht am allermeisten an Dich, mein gutes Buebchen. Tag u. Nacht bin ich bei Dir mit meinen Gedanken u. heißen Wünschen für Dein Wohlergehen jetzt u. in Zukunft!
Ich habe jetzt lang nicht geschrieben, seit Ausbruch des Krieges überhaupt nichts als ein paar Glückwünsche zu Geburtstagen, Silberhochzeit u. s. w. Der Krieg, der schreckliche Krieg lähmt alle Gedanken, man mag von irgend etwas anfangen, nach fünf Minuten ist man doch wieder dort angelangt, worum sich unser ganzes Sinnen u. Denken dreht. Es läßt einen einfach nicht los. Daß es einmal eine so schöne Zeit gegeben hat, wo man von solchen Sorgen nichts wußte, weiß man kaum mehr. Die ersten 3 Wochen Eueres Hierseins waren noch so glückliche Tage. Wer hätte damals geahnt, daß Du, liebes Buebchen, mit Deinen achtzehn Jahren so bald schon des Kaisers Rock tragen würdest. Dein Entschluß, Dich freiwillig in den Dienst des Vaterlandes zu stellen, hat uns kaum überrascht, wie hätte unser guter, braver, tapferer Wolfi auch anders handeln können.
Wir sind ja Alle so stolz auf Dich, wenn es uns auch bang u. traurig macht, Dich hinausziehen lassen zu müssen in Not u. Gefahr. Wie oft, wie oft sprechen wir täglich von Dir u. wie viel öfter denken wir noch an Dich. Möchte nur der Tag noch recht fern sein, und Du in Feindesland sollst. Wenn nur der Winter nicht schon gar so bald eingesetzt hätte. In tiefen kalten Tagen denkt man mit noch größerem Bedauern an die Braven, die Tag u. Nacht draußen sein müssen u. es kommt einem wie ein Unrecht vor, daß man im warmen Zimmer sitzen u. sich abends in's warme Bett stecken kann. In diesen Tagen müssen wieder Viele fort; aus den hiesigen Lazaretten ist heute ein Teil fortgezogen, die Vettern Adolf u. Ernst sind auch nicht mehr in Theresienstadt u. Haslau. Ersterer ist in Slowenien, um dort Rekruten zu drillen, letzterer ist in der Richtung Wien-Budapest gefahren, mehr weiß ich nicht, aber natürlich kommt er wieder in's Feld. Der Bruder unserer Liddy, die uns schon neulich einmal besucht hat, war letzten Samstag noch einmal da, er muß heute auch wieder einrücken u. Anfang Dezember nach Galizien. Der hat auch schon viel mitgemacht u. uns neulich viel erzählt. Er wurde bei Rawanska durch den Fuß geschossen u. mit der silbernen Tapferkeitsmedaille I. Cl. ausgezeichnet. Nun war er 6 Wochen im Spital, 4 Wochen zuhause u. ist nur wieder felddienstfähig. Der Großvater hat ihn ordentlich mit Cigarren versorgt, von uns hat er warme Socken, Kniewärmer u. Halbhandschuhe bekommen. Hoffentlich kehren alle, die schon ein zweitesmal hinaus müssen, wieder glücklich zurück. Man möchte ja über Jeden, der hinauszieht, die Hände halten u. nichts anderes wünschen, als daß Alle gesund u. glücklich heimkehren. Heute hat Leutnant Pfrötzschner Großvater besucht u. ihm von seinen Erlebnissen erzählt. Er hat von allem Anfang an sich in Russisch-Polen herumgewürgt[?] u. unlängst eine Verwundung an der rechten Hand davongetragen, die er nun hier ausheilen läßt. Von andern bekannten Aschern, die im Felde stehen, wird Großvater naeheres an Vati schreiben. d. h. er wird mir, wie er gestern angekündigt, diktieren, da ihm das Schreiben noch zu beschwerlich fällt. Nur von Mutti's Vettern will ich noch erwähnen, daß nun Oberleutnant Richard Kl. im Feld stehen wird, Willi ist noch in Klagenfurt, die übrigen sind alle zuhause. - Gegenwärtig scheint es ja, den Zeitungsnachrichten zufolge – im Osten, Westen und Süden gut zu stehn; gebe Gott, daß es so ist u. alles zu einem guten Ende geführt wird. -
An Weihnachten denkt man heuer nicht mal; wie schön ist sonst die Zeit vorher, diesmal schweigt alles andere vor dem Krieg. Wir backen heuer weder Stollen noch Lebkuchen, nur ein paar Kleinigkeiten für uns u. Bisquit u. Pfeffernüssel für die Soldaten. Ich würde auch keinen Baum putzen, aber ohne einen kleinen wollen's die anderen nicht tun. Vorige Woche haben Minnerl u. ich Leibbinden gemacht; Minnerls hat alle Flanellreste, die wir noch aus dem Geschäft hatten, zusammengesucht u. daraus haben wir 16 Stück bekommen. Daneben werden Socken, Handschuhe, Knie- u. Pulswärmer gestrickt, woran ich mich leider wenig beteiligen kann, da das Stricken meinem Herzen nicht recht gut bekommt. Sonst geht es ihm aber sehr gut, merkwürdigerweise u. vielleicht gienge es noch besser, wenn Frau Sorge nicht ständiger Gast wäre.
II.
Großvater's Husten ist, wenn auch besser, doch noch immer nicht vorbei u. mit dem Ausgehen wird es in dieser Jahreszeit noch immer gute Wege haben. Doch ist er jetzt wieder viel frischer u. Aussehen u. Appetit sind wieder sehr viel besser, worüber wir sehr froh sind. Das ist eine langwierige Sache u. man hätte nie geglaubt, daß dem feschen Großvater, der noch im Juli den Ochsenkopf bestiegen hat, je so etwas passieren könnte. Aber das Alles macht sich schließlich doch geltend u. wir haben's neulich oft gesagt, Ihr würdet Euch wundern, wie greisenhaft Großvater geworden ist. Aber das ist nun Alles wieder viel besser. Wenn nur jetzt nicht Winter wäre, dann ginge es mit der Besserung auch schon rascher vorwärts. -
Wir haben's seit voriger Woche schon abscheulich kalt, haben richtiges Winterwetter mit Eis u. Schnee u. sämtliche Dotschen[?] u. warme Sachen in Gebrauch. Ich komme jetzt höchstens einmal in den Hof oder vor's Tor, um die Spatzen zu füttern. Vorige Woche waren wir einmal Alle droben im großelterlichen Hause, um uns die neugeschaffene Wohnung im I. u. II. Stock des ehemaligen Geschäftshauses anzusehen, die in den nächsten Tagen von Mutti's Vetter Gustel Klaubert, der in's Thama'sche Geschäft eintritt, bezogen werden wird. Wir waren ganz entzückt von Allem, was aus Altem u. Neuen zurechtgemacht worden ist, am allerbesten hat uns aber die schöne, neue Treppe, die in's zweite Stockwerk führt u. die heizbare Diele gefallen u. ich glaube, wenn wir das ein paar Monate früher gesehen hätten, so hätten wir uns wahrscheinlich dort eingerichtet, zumal auch der Mietzins sehr annehmbar ist.
Vati wird sich wundern, wenn er jetzt einmal hinaufkommt; ich beneide die Familie, die dort wohnen darf. Wir freuen uns recht über die nette, neue Nachbarschaft u. werden wol auch dann u. wann hinaufkommen. -
Wir sind jetzt abend öfter mit den Oberen u. Alberti's zusammen, da wird dann fleißig gestrickt u. immer wieder von dem gesprochen, was uns am meisten beschäftigt. Alberti's haben schon seit Beginn des Krieges einen Neffen, den Sohn ihrer ältesten Schwester, dabei, aber bisher immer Nachrichten von ihm. Es giebt ja jetzt kaum eine Familie, die nicht wenigstens um einen lieben Angehörigen draußen bangt, das ist ein gegenseitiger Trost. -
Über Deinen lieben, ausführlichen Brief an Tante Ida haben wir uns unlängst Alle sehr gefreut. Es hat uns riesig interessiert, von Deinem Dienst mit allem Drum u. Dran zu erfahren. Man möchte jetzt manches wissen, was einen sonst gar nicht berührt hat u. denkt über manches nach, woran man sonst keinen Gedanken verschwendet hat.
Schön mag es schon sein, hoch zu Roß, wenn man das Viech erst glücklich meistert, aber das wird nicht immer leicht sein. Du liebes Buebchen hast da schon ein ganz besonderes Talent u. bist jedenfalls schon ein schneidiger u. eleganter Reiter. Wird denn Mutti nicht einmal eine Aufnahme von Dir machen? Wir würden Dich doch gar zu gern auch einmal in Uniform sehen. Mittags wirst Du jetzt wol meistens in der Kantine essen u. Dich mit „Dlein[?] Guß[?]“ unterhalten. Heute früh war übrigens auch so ein goldiges Viechle bei uns, kohlschwarz mit weißem Vorhemd. Minnle hörte es im Torweg miauen u. brachte es dann in's Schlafzimmer. Wir hätten's gern behalten, hielten es aber doch für geratener es zu entfernen ehe Großvater auf der Bildfläche erschien. Hoffentlich kommt's bald einmal wieder. Habt denn Ihr Euren Kater noch?
Vati's Brief erhielten wir am Samstag, er war somit gerade eine Woche unterwegs. Es freute uns zu hören, daß es Euch Allen gut geht. Von Großvater wird, wie ich schon anfangs bemerkte, also nächstens ein Brief an Vater kommen.
Auch Minnle läßt der Mutter sagen, daß sie ihr baldigst schreiben wird. Diese Woche giebt es noch viel zu tun, da die Liebesgaben bis Samstag unbedingt fertig sein müssen. Gestern hat Minni an Frau Prof. Pohle u. ihre Söhne geschrieben, damit sie in den Besitz der gewünschten Kriegsmarken kommen. - Ich will nun endlich meine Epistel schließen u. hoffe daß Dich dieselbe gesund u. noch in Frankfurt antrifft. Wo Du auch weilen magst, unsere besten Wünsche begleiten Dich immer, wir werden stets Deiner gedenken.
Nun leb wol für heute u. sei mit Eltern u. Geschwistern herzlichst gegrüßt von
Deiner
Doch liebenden Tante Liesel.

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top