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Brief (Transkript)

Schwester und Mutter an Wolfgang Panzer am 01.02.1915 (3.2012.2822)

 

Frankfurt, M. d. 1. II.15


39.)
Mein liebes Baschle,
nur schnell ein paar Zeilen, viel Zeit habe ich nicht. Zunächst mal tausend innigen Dank für Deinen lieben ausführlichen Brief, Du hast mir eine riesige Freude damit gemacht. Mein Gott, armes Baschle, Du hättest doch nicht wegen mir bis um ½ 12 nachts im kalten Stall sitzen und schreiben sollen!
Mittwoch früh.
Jetzt ist schon wieder ein Tag rum u. der Brief erst angefangen. Daran ist das Examen schuld, da habe ich so viel immer für den nächsten Tag zu tun. Ach Baschle, seit Montag sitze ich drin! Ich weiß nicht, ich habe heute einen moralischen Katzenjammer.
Freitag Mittag.
Jetzt ist das Schriftliche schließlich rum u. der Brief noch da. Ehe ich anfange für[?] Mündliche zu oxen, schreibe ich ihn fertig, sonst ist inzwischen der Krieg aus. Also der Reihe nach 1 Pf[?] man Knödel, so will ich auch der Reihe nach erzählen. Am Montag d. 1. Febr., haben wir begonnen. Und zwar Deutscher Aufsatz. 3 Themen waren eingeschickt, gewählt wurde: Kleists Prinz v. Homburg als vaterländische Dichtung betrachtet. Wir hatten 5 Stunden Zeit. Zum Glück bin ich fertig geworden. Wir hatten nun den Prz v. H. sehr gut durch gesprochen, also unüberwindliche Schwierigkeiten bot das Thema nicht. Ich glaube, daß mein Aufsatz ganz gut geworden ist, aber leider habe ich schon einen oder gar mehrere orthographische Fehler (z. B. kongret statt konkret u.s.w.) Das macht viel bei der Beurteilung aus. Und Fräulein Doktor hat uns doch gerade vorher gesagt, wie wichtig äußerliche Dinge wären, wichtiger fast als der Inhalt. Also hab ich keine sehr große Hoffnung, daß was Gescheites draus geworden ist. Übrigens geht alles sehr heimlich zu: Wir sitzen in einer sehr großen Klasse (von der Übungsschule), die Tische sind in 2 Reihen aufgestellt, in der Mitte ein Gang, und wo sonst 3 sitzen, sitzen wir jetzt nur zu zweit. [Skizze Klassenraum am linken Rand] Ich dachte eigentlich, eine Verständigung, d. h. abschreiben sei unmöglich, aber heute morgen hat mir die Anne Meidhardt gesagt, daß ihre Nachbarin ihr die halbe Mathematikarbeit abgeschrieben hätte. Es geht also doch. Alles wurde genau aufgenommen, wann eine raus ging u. wann sie wieder rein kam, wie viel Minuten nach dem Zeitpunkt angefangen u. wieviel Minuten nach Ablauf der Zeit jede einzelne aufgehört hat. Am 2.ten Tag war Englischer Aufsatz: The Court at Elsinore, d. h. die Hofgesellschaft im Hamlet. Wir waren erst ein wenig vor den Kopf geschlagen, weil wir eigentlich nur auf den „Character of Hamlet“ vorbereitet waren. Na, man hat halt soviel als möglich reingebracht vom Hamlet, dann gings schon. Immerhin habe ich das Gefühl, als ob meine Arbeit jämmerlich schlecht geworden wäre, ich weiß es nicht recht. 3. Tag, Mittwoch war frei. Den ganzen Tag war ich bei der Eri Bleicher u. habe mit ihr Mathematik gemacht. Donnerstag kam dann der gefürchtete Vormittag. 4 Aufgaben gabs, gerechnet hab ich sie alle 4, aber 2 davon sind falsch u. eine 3. unvollständig, indem ich die anderen Werte nicht ausgerechnet habe. Hoffentlich gibts noch \'ne 3, sonst hab ich halt 4, da ists nichts zu machen. Da muß ich halt mündlich mich rausreißen. Heute war Französisch und damit das Schriftliche beendet. Wir haben ein reizendes Thema bekommen. Seit ¾ Jahren ungefähr lesen wir im Französ. Alphonse Daudet, Lettres de mon moulin, unser Aufsatz hieß: Excursion en Provonce qui a pour guide A. Daud. Das ist doch goldig, gelt. Ich glaube, ich habe es zieml. anständig gemacht, inhaltlich sicher, der Form nach weiß
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ichs nicht. Also das wäre rum, ach Baschle, wenn Du doch da wärst, dann wär das ganze Examen erst was geworden. So wars halb scheußlich, halb langweilig. Im ganzen genommen war diese Woche die wenigst anstrengenste seit Weihnachten. Ich lag schon immer um 11 Ihr im Bett und bin nie vor 7 aufgestanden. Da kann man dabei bestehen. Jetzt wird noch eine Woche gebüffelt dan ists Mündliche am 15. II. Da kann man noch was erleben, aber es ist doch schöner, denke ich mir, als das Schriftliche. Baschle, mein liebes Baschle, eben fällt mir ein, ich habe mich ja noch nicht einmal bedankt für Deinen lieben schönen ausführlichen Brief. Du glaubst gar nicht, wie ich mich drüber gefreut habe. Jetzt habe ich ja ein herrliches anschauliches Bild von Deinem Leben dort. Es ist alles so fesselnd, was Du schreibst, lesen konnte ich es sehr gut, Du hast sehr anständig stenographiert, nur machst Du Dir noch mit manchen Worten zu viel Mühe. Jetzt wird [Steno] geschrieben, nichts [Steno], u an den Stamm brauchst Du nie die Endung hängen; also Sonn-schein u nicht Sonnenschein, lieg u. nicht liegen u.s.w. Da ersparst Du Zeit u. Deine Stenographie wird übersíchtlicher. Aber machs nur, wies Dir am bequemsten ist, ich freu mich ja so innig über jede Zeile, die ich von Dir kriege. Jetzt Schluß mein Goldschle, ich will noch etw. fürs Mutti frei lassen. Sei tausendmal innig gegrüßt u. geküßt von Deinem
Dich herzliche liebenden
Schle

Freitag. Mein liebes Jungle, da hast Du eine Schilderung von Hiddis[?] letzten Tagen, ich schrieb Dir schon gestern, daß sie recht pessimistisch wäre in Bezug auf die abgelieferten Arbeiten, ich glaube, ohne Grund. - Heuer[?] früh ging ein Päkchen Waffeln an Dich ab, jetzt trägt Hex ein ganzes Körbchen mit Päkchen auf die Post. Darunter sind 2 an Dich, eins mit Schoko No 39a (der Brief hier ist 39) u eins mit Handtuch, Fruchtpaste & Alpenmilch No 40. Morgen kommt dann ein […] mit Seife & Blitzlicht, falls mit dem ersten kein gutes [...]bild wird. Setzt Du Dich doch an den Kamin abends + und bittest dann den Unteroffizier, das Licht anzubrennen, bei offenem Apparat natürlich; Ging das nicht?
Meinst Du nicht, ich könnte einmal Deinem Unteroff. dem geborn Hofer, etwas schicken, und was wäre wohl am angezeigtesten?
Soll ich Euch allen einmal Suppenwürfel schicken u wie viel seid Ihr wohl zum Essen? Bleib gesund + munter! Tausend herzl. Grüße Deine
Mutt.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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