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Brief (Transkript)

Schwester und Vater an Wolfgang Panzer am 01.01.1915 (3.2012.2822)

 

Frankfurt, d. 1. I. 1915



Mein liebes Baschle!
Zuvörderst rufe ich Dir und Deinem Freund Johannes ein herzliches Prosit Neujahr zu. Bleib vor allem gesund, mein Baschle, an Frohsinn fehlst es Dir ja nicht. Das haben uns heute Deine beiden lieben Karten vom 28 und 30. gezeigt. Vielen, vielen Dank, das war ein schöner Neujahrsgruß. Am meisten haben wir uns natürlich darüber gefreut, daß es Dir so gut geht und Du so schöne Zeit hast zum Ausschlafen. Sag mal, Brüderlein, was hat man sich denn unter dem sogenannten „Bett“ vorzustellen? Ein Bund Stroh, eine Pferdekrippe oder ein wirkliches wahrhaftiges Franzosenbett? Fein, daß Ihr einen so lustigen Leutnant habt, da lernt man ja nocheinmal so gern. Ach, Baschle, ich wollte, ich könnte auch mal dabei sein, mitreiten durch die Hohlwege und über waldige Bergkuppen und dem Sonnenaufgang zuschauen an der Aisne. Freilich, der Kanonendonner wäre eine etwas seltsame Begleitmusik. Du bist ja wohl schon daran gewöhnt. Wir denken den ganzen Tag an Dich, Du stehst im Augenblick vor mir, weißt Du, in den Skizze von[?] „photographiere Dich selbst“. Jeder von uns Kindern hat eine gekriegt vom Christkindle, jetzt liegt sie noch auf meinem Weihnachtstisch, wenn das Fest vorbei ist, kommst Du mit hinauf in mein Zimmer auf meinen Schreibtisch und wenn ich dann arbeite, dann steht mein tapferes Brüderlein vor mir, der durch seine Hingabe ans Vaterland es erst möglich macht, daß wir hier so in Frieden schaffen können. Dann ist es ja klar, daß ich mich noch einmal so anstrenge um meines Helden würdig zu werden. Ich vermisse Dich arg, Baschle. Eigentlich bin ich Strohwitwe. Denn die andern 2 Päärle (schreibt man das so, [Stenografie]) sind ja vollständig, nur wir 2 sind auseinandergerissen. Wem soll ich denn jetzt morgens die Milch warm machen, und wer weckt mich überhaupt auf. Die verderblichen Folgen Deines Wegseins zeigen sich in hohem Maße bei mir. Wenn Du wiederkommst bin ich nämlich längst an der Schlafkrankheit gestorben. 9 Uhr ist die frühste Stunde, zu der ich mich in diesen Ferien erheben konnte! Heute war es gar ½ 11 Uhr! Und gearbeitet habe ich bis jetzt, ein paar herrliche Barwertrechnungen ausgenommen, überhaupt noch nichts. Na, von heute ab gehts aber los! Ich denk, Baschle, ich laß mir in Erdkunde ein anderes Thema geben mit der Begründung, daß mein Bruder, ein erstklassiger Geologe ins Feld gezogen ist. Meinst Du nicht auch. Allerdings habe ich in dem Büchle, das Du mir angabst, noch nichts gelesen. Wenn Du mal schrecklich viel Zeit hast, oder es so schüttet, daß ihr nicht ausfahrt oder sonst was, dann könntest Du mir ja mal ein Land, oder nur Landesteil sagen, der einfach zu verseehen, einfach zu lernen und einfach zu behalten ist. Aber wie gesagt, nur wenn Du Zeit hast, sonst ist jede Sekunde dazu zu schade. - Vom Theo habe ich vorgestern eine Karte bekommen, in der er sich für das Gutslepacket bedankt. Er hat Weihnachten ganz still nur bei einem Bäumle in einer Scheune gefeiert. Dem würde es bei Euch auch besser gefallen. Für Deine Karte bedankt er sich bestens, ich schicke ihm noch heute Deine Anschrift. -
Eben hat Frau von Arnim mit Sohn u Tochter einen Besuch gemacht. Der Sohn ist etwa 16 J. Sehr netter kluger Kerl neulich war er beim Ausflug dabei, den wir zusammen machten: namlich Werner u. Bine
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Wachsmuth, Hermann Scherwening aus Deiner Tanzstunde, Bernd v. Arnim u. ich. Ich sage Dir Schle, das war zum schießen! Erstens mal hats geschüttet wie mit Scheffeln u zwar den ganzen Tag hindurch. Dazu waren oben alle Wege verreist u. eine zieml. Kälte. Mit der 24 sind wir bis hohe Mark gefahren; dann gleich links auf dem gelben Weg am Rohr hinauf, ein Stück auf der Landstraße und über die „alten Höfe“ u „weiße Mauer“, die wir aber trotz angestrengten Suchens nicht entdecken konnten (kennst Du sie?!) ¾ auf die Spitze vom Altkönig. In einem Fechtenhein[?], vor dem Regen geschützt, aßen wir auf Baumstümpfen unser Frühstück und als wir aus der „ambrosischen Nacht“ heraustraten, waren wir ganz steif vor Kälte u. Nässe, alle 5 Schritt fiel einer der Länge nach hin. Da beschlossen wir, den Altkönig schwimmen zu lassen u. nach dem Fuchstanz abzuschwenken. Dortsche gemütliche warme Stube u. eine Tasse heißer Zigorienbrühe für jeden, das hat gut getan. Dann auf der Kanonenstraße[?] runter wieder bis zum H. Mark. Wie haben Dich sehr vermißt. Was Vernünftiges konnten wir nicht zustande bringen, gelacht haben wir die ganze Zeit. Solche Witze wie: ich danke Ihnen im Namen Deutschlands und der umliegenden Ortschaften“ hat es geregnet. Am ersten Feiertag waren Bine und ich vom Pfarrer Förster aufgefordert mit auf den Sandblaken zu gehen. Sabine, Lili, Frau Oberlehrer Sonnw.[?] latt[?] u. Frau Pfarrer Kübel + 2 Kindern waren auch mit. Es war sehr, sehr nett. Um 1.30 hier weg, Hoh. Mark – Sandblaken. Oben hat uns Herr Pfarrer bewirtet. Es war wunderbarer Rauhreif, die schweren Tannen bildeten einen so entzückenden Gegensatz zu den zierlichen Sträuchern u. kleinen Birken. - Vorgestern war Onkel Badger[?] da, bepackt wie ein Weihnachtsmann.
Nachmittags 5 Uhr. Immerfort Unterbrechungen.
Eben hab ich 4 kleine Buben aus Eckenheim gefüttert. Sie kommen jetzt täglich, manchmal auch 2 male vor u. nach dem Mittagessen. Sie sehen sehr verwahrlost u. dreckig aus. Beim 1. mal haben wir 2 von ihnen in der Waschküche abgeschruppt, 2 andere mit neuen Schuhbendeln versehen. Das ist immer ein großartiges Bild, wenn sie so wie die Orgelpfeifen an der weißen Wand stehen, die den Schmutz auf ihren Gesichtern noch besonders hervortreten läßt. „Ich dank auch vielmals, morgen kommen wir wieder“ ist die Parole. -
- Gestern in der Stadt hab ich Emmy gesehen. Sie hat sehr freudig von Deiner Karte berichtet u. gesagt, daß sie Dir am 30. auch geschrieben hat. Sie war sehr nett. Eben kam d. Bine u. sagte, daß Emmy sie angerufen habe um zu berichten, daß sie heute wieder eine Karte von Dir habe, falls wir nichts bekommen hätten. Lieb, daß sie da dran denkt! - Armes Basch, daß Du Deine Tasche verloren hast! Wir bedauern Dich alle sehr. Schreib uns gleich u. genau, was alles drin war, damit wirs Dir gleich wieder schicken können. War Deine Brille auch drin u. die Karten? Und wo hast Du die Tasche denn liegen lassen, beim Umsteigen in Koblenz oder schon auf der Fahrt durch Frankreich? Und deine Schokolade war auch drin? Armes Schle! Und ist das neue Testament u. der Faust ebenfalls weiter gereist? Scheu Dich nicht u. sag alles. Das ist halt wech, da kann man halt nichts machen. Ein paar Zeilen noch will ich fürs Mütterle frei lassen. Die Eltern sind heute Abend eingeladen. Da bin ich ganz allein. Wenn Du doch mit einen Sprung mal kommen könntest. Hoffentlich kriegst Du den Brief. Sein innig geküßt von deinem treuen
Schle

Liebes Söhnchen, heute Vorm. erhielten wir zu unserer Freude Deine beiden Karten; haben Dich sehr bedauert wegen des Pechs mit der Tasche. Hast Du denn auf der Bahn gleich Meldung getan? Wars noch vor Lux. so könnt ich auch hier das tun; schreib gleich […], zähl auch alles auf was Du außer dem Proviant verloren hast, damit wir Dirs ersetzen. Schreib auch bald genug wenn Du Geld brauchst. In einigen Tagen schicke ich Dir auch die Landkarte, sie muß noch aufgezogen werden. Schreib auf alles Deinen Namen (mit dem Zusatz „aus Frkfurt, Grillpstr.“) u Deine Kolonne! Mutti schickt Dir gleichzeitig als „Brief“ (50 gr.) ein Allum.-Besteck u. Zeitungen. Am gestrigen [...]abend haben wir wir Dich sehr vermißt. Vati hielt einen 1 ½ Minuten langen Vortrag über den Dampfaffen[?]! Wir haben oft auf Dein Wohl angestoßen! Herzlichst grüßt Dich Dein Vater.
Beiliegend Dein Bild von Pudel 8. Dich als Weihnachtsgesch. ganz selbständig gefertigt. Das Gelbe an der r. Seite erklärt er als die Revolvertasche. - Eben sitzt er am Tisch, nimmt das Zeitungsblatt: liest vor: 100 Fran[?]

 

 



Ansicht des Briefes

 

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