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Brief (Transkript)

Mutter an Wolfgang Panzer am 10.11.1918 (3.2012.2822)

 

FrankfurtaM, Sonntag



Mein lieber Woffi, wir haben vorgestern Deinen lieben Kartenbrief – nein, einen im Umschlag, zu unserer großen Freude mit guten Nachrichten von Deinem Befinden, erhalten.
Sehr erstaunt nur waren wir von der Ortsveränderung, von der Du schriebst, ohne anzugeben, aus welchem Grunde Ihr sie vornahmt. Seid Ihr zurückgegangen, od. überhaupt versetzt worden? Wird bei Euch angegriffen? Du mußt nicht lachen über diese Fragen, ich weiß ja, daß Du nichts militärisches mitteilen darfst und es auch nicht tust, aber ein paar kl. Nebenandeutungen mußt Du uns schon geben, sonst beunruhigen wir uns mehr, als wenn wir die Wahrheit wissen. Deine Berichte klingen wie aus Manöverzeiten im tiefsten Frieden, herrlich gemütliche Unterkunft, tägl. famose Ritte, man möchte nicht glauben, daß das an der Front gegenüber einem erbitterten Feinde sein kann. Ich weiß daß Du guter Jung deiner zagen Mutter keine Sorgen machen möchtest, aber allzu Unwahrscheinliches glaubt diese doch nicht; Du mußt sie schon bedingt aufklären, was ihr in Wirklichkeit tut & wie es bei Euch aussieht, ich bin schon stark genug, auch Ernsteres zu hören, ich weiß ja, daß Du besonnen bist & Du gabst mir ja auch das Versprechen, Dich nicht ohne Not in unnötige Gefahr zu begeben.
Ich kann mir denken, daß Du Dich mit Wonne in die Arbeit stürzest & Dich drin vergräbst, um nicht zu viel vom Übrigen zu hören. Was ist nicht seit einer Woche alles geschehen u. wie eingreifend auch für Dich & Deine Kameraden werden nun die Geschicke sich erweisen!
Die Ereignisse an der Front, die vorher alles in od. außer Atem hielten, wie sind diese zurückgedrängt durch die ungeheuren Umwälzungen im Reich & in der Stadt selbst. Ganz in Ruhe u Ordnung vollzog sich hier die Umgestaltung, gestern Vorm. hat sich der Soldatenrat gebildet, wir werden nun von roten Räten regiert, vorläufig bleibt aber sonst alles beim Alten, wie mir vorhin Nachbar Stein erzählte. Es ist ja auch eine Hauptsache, daß der Magistrat weiter funktioniert u mit ihm od. durch ihn die Lebensmittelbeschaffung, denn nur wenn diese ins Wanken gerät, dann kann es furchtbar werden. Wir sind augenblicklich im Belagerungszustand, es bleiben morgen alle Geschäfte & Läden geschlossen, keine Veranstaltung in […] etc., um ½ 8 Einstellung des Verkehrs. Das Stadtbild ist völlig unverändert; ich war eben mit Werni in der Kirche, wo Pfarrer Förster ausgezeichnet sprach. Man sieht eine verschwindend kleine Anzahl nicht halbwüchsiger Jungen mit roten Blumen, auch ab & zu einen Feldgrauen so geschmückt, kein Soldat trägt Achselklappen od. Abzeichen das ist alles in der Stadt Auffallendes. Auf dem Bezirkskommando bei Eckenheim ist die rote Flagge gehißt, die Straßenlampen sind ihrer blauen Hüllen entledigt u – nun wurde ich durchs Kaffeetrinken unterbrochen u weiß nicht mehr, was ich Dir noch erzählen wollte, außerdem sagte mir eben Vati, daß er auch an Dich schrieb, da hast Du viel besser u gründlicher alles erfahren. Was nun eigentlich mit allem erreicht werden soll & wird, ist noch gänzl unbekannt, es scheint es niemand zu wissen. Heute sind einige große Versammlungen, ebenso morgen, Du kannst Dir denken, mit welcher Spannung man die Zeitungen erwartet. Wann nun die Sache zu Euch hinüber schlägt? Wahrscheinlich auch bald genug, das ist ja kaum aufzuhalten, denn auch der Waffenstillstand wird ja nun bald geschlossen sein, er wird ja wohl um jeden Preis geschlossen werden, das ist wohl so ziemlich sicher. Armes Deutschland u armes tapferes Heer, wohin hat man Euch geführt.
Tue Du nur Deine Pflicht wie sonst, aber füge Dich auch weiterhin männlich ins Unabänderlich, ein Aufbegehren gegen die Übermacht wäre ja Wahnsinn. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen, das muß einen jetzt aufrecht erhalten! Wenn wir Dich bald gesund & wohlbehalten in die Arme schließen dürfen & bei uns behalten können, dann wollen wir uns schon wieder ein schönes Leben aufbauen voller Arbeit u Schönheit trotz Allem! Die Tüchtigkeit kann uns der Feind nicht nehmen, wenn er uns auch noch so sehr knebelt u an ihr mag er auch allmählich verzweifeln. - Von Asch habe ich natürlich seit meiner Abreise nichts gehört, ich fürchte auch sie haben noch keine Nachricht von mir. Der arme Großvater tut mir unsagbar leid, wie schwer wird er all das Ungeheure tragen, man muß immer um seine Gesundheit & sein Leben bangen.
Vati & Hexle haben heut früh das Bett gehütet, Vati wegen Schnupfen, Hexle wegen Erbrechen, beide haben aber zum Glück kein Fieber, so wirds hoffentlich nichts Schlimmeres, die Grippe ist ja Gottlob im Verschwinden. Nun aber Gottbefehle[?], liebster Jung, mög es Dir in allen Lagen gut ergehen. Inständige Wünsche u Grüße v deiner alten Mud[?].

 

 



Ansicht des Briefes

 

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