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Brief (Transkript)

Kamerad an Wolfgang Panzer am 01.05.1918 (3.2012.2822)

 

1. Mai 18.



Lieber Wolf,
wo magst Du wohl jetzt stecken und wie mag es Dir gehen? Wenn die 56er dasselbe wie wir tun, dann schützen sie im Hinterland der neuen Front Straßen und Brücken und bewachen Gefangene, wenn\'s hoch kommt. Dies denk ich mir wenigstens. Die Kompagnien unseres Regts. liegen fast alle zerstreut, jede gehört einem andern Korps oder einer andern Division an, und da infolgedessen dem Regiment und den Bataillonen jegliche Befehlsbefugnis genommen ist, so fristen die Stäbe in ungewollter Selbstgenügsamkeit ein ruhmloses Dasein. „Wir (d.h. die 1. M.G.K.) liegen nun über einen Monat schon in einem unfreundlichen, gänzlich zerschossenen Nest zur Fliegerabwehr und zum Schutze einiger in der Nähe liegender Jagdstaffeln, so weit von der Front ab, daß man den weiter vorn „vegetierenden“ Regts.-Stab geradezu als eine vorgeschobene Feldwache ansehen möchte. Auch was seine glänzende Unterbringung angeht. Kommandeur, Adjutant, Ord.-Offz., und M.G.O. führen in einem kleinen Wellblechunterstand zusammengepfercht ein klösterliches, engherzig-sauertöpfisches Leben, wehmütig der fetten galizischen Tage gedenkend. Dagegen sind unsere von den Engländern verlassenen Quartiere ziemlich geräumig.
Bei der M.G. Kompagnie gefällt es mir sehr gut. Mit den jungen, frischen Kerlchen zu exerzieren, macht doch mehr Spaß, als sich mit den alten Papas der Infanterie herumzuquängeln. Mein Komp. Führer ist Lt. Heinz, (Du kennst ihn vielleicht – Brigade Beck) ein ruhiger, sachlich trockener und anständiger Kerl. Und wenn einem nicht dies gleiche feldgraue Leben und die einförmige Tätigkeit manchmal wie ein diem perdidi zum Bewußtsein kämen, könnte man\'s ganz behaglich finden.
An Olita muß ich oft zurückdenken. So farblos fast alles war, wie merkwürdig erscheinen einem doch die in jener einsamen, litauischen Gegend zugebrachten Tage. Diese trostlosen, schmutziggelben Russenkasernen, diese düsteren, schwermütigen Föhrenwälder, dieser Matsch und Schnee und scharfe Wind, der Ichtiosaurus von Russenofen im Zimmer, der dürftige Kasinobetrieb und die faden Aristokraten, - langweilig dicken Spießers und patzigen Bubengesichter, der krokodilhafte Kommodenfuuuus[?] und das „Feuer, Feuer in der Stadt“; das trockene Jenßlein[?] mit seinen orientalisch-barocken Handbewegungen und dem tetraëdrischen Schädel und was noch alles sein mochte. Am schönsten und gemütlichsten aber war doch die Feierstunde am Nachmittag, wenn man nach vollbrachtem Tagewerk, während es draussen stürmte und schneite, in der Dämmerung auf seiner warmen Bude saß, […] das Panzerlein seine heimatlichen Hausschuhe anziehend sich in seine Bücher steckte, als wollt es die ganze Weisheit der geologischen Welten „hümpelweise“ in sich aufnehmen, und beschaulich und verträumt ich bald bescheidentlich, bald ungezogen Dir gegenüber saß – wie war dies so traulich, daß ich manchmal hätte stundenlang so Dir gegenübersein und Dir, lieber Freund, zusehen können. -
Doch genug für heute. Es ist schon recht spät in der Nacht. -
Mit herzlichsten Grüssen
Dein getreuer Arth[?]

 

 



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