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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 14.09.1941 (3.2002.0985)

 

Nr.49

14.9.41



Meine geliebte Ursula!

Heute früh habe ich Dir erst geschrieben, jedoch mußte ich etwas plötzlich Schluß machen, da Hauptmann Kneisler den Brief mitgeben wollte. Vogel Rock verbreitete nämlich das Gerücht, daß von uns keine Luftpost abginge. Da nun zufällig der Flak-General hier war, wollte Kneisler den Brief übers Flakkorps befördern. Ich denke, daß es geklappt hat. Inzwischen ist nun ein Brief von Dir eingetroffen, und zwar vom 25.8., Nr. 4. Also da fehlt mal wieder einer dazwischen. Allmählich summt sich das ziemlich. Ich bin gespannt, ob die Briefe noch mal nachgeliefert werden. Eigentlich hatte ich schon Nachricht direkt hierher erwartet, aber die Flugpost von hier ist doch wohl nicht so rasch gegangen, wie ich gehofft hatte. Gleichzeitig mit Deinem kam ein Brief von Vater, Pastor Behrmann und Frau Priegnitz. Behrmann meint, es wäre besser, wenn Du in Heiligendorf wärest. Ich hatte ihm wohl geschrieben, daß ich mich ein wenig heimatlos fühlte. Daraufhin meint er, es wäre wohl ein wenig anders, wenn ich Dich in Heiligendorf wüßte., außerdem sei Heiligendorf ja nach wie vor meine Gemeinde. Das kann ich ja nun nicht sagen. Er schreibt sehr ernst, daß ich auch für J. beten müßte. Gewiß, ich tue es gelegentlich, aber doch sehr selten. Weißt Du, das ist ja auch eine große Not, die diese Art von Krieg mit sich bringt, wie ich ihn erlebe. Man stumpft so völlig ab. Essen, Trinken und Schlafen füllen den Tag fast aus. Zum Lesen habe ich nichts. Außerdem brächte ich es fast nicht fertig, mich dazu aufzuraffen. Nur die Tageszeitungen, die völlig veraltet oder auch mal neueren Datums in unsere Hände gelangen, werden verschlungen. Sie werden aber auch von Anfang bis zu Ende durchgelesen. Besonders natürlich auch die Anzeigen von Gefallenen, auch wenn man diese gar nicht kennt. Die einzige geistige Tätigkeit ist vielleicht die, daß ich meine Tageslese am Abend lese. Das vergesse oder versäume ich selten. Sie ist nicht zu lang, so daß man sie auch mit müden Gedanken noch lesen kann. Damit ist nicht immer gesagt, daß ich sie innerlich verarbeite, aber sie ist doch ein kleiner Halt, zumindest ein äußeres Band der Zusammengehörigkeit mit der Kirche. Wenn ich mich dann hingelegt habe, kommt es wohl vor, daß ich vor dem Nachtgebet einschlafe, wie ich dann am anderen Morgen voll Beschämung feststellen muß. So kann ich nur sagen, daß diese Zeit abstumpfend im höchsten Maße wirkt, so daß ich mich gelegentlich frage, ob man innerlich nicht ganz verflacht. Woran es liegt, weiß ich auch nicht. Jedenfalls wäre es aus diesem Grunde gut, wenn der Krieg bald zu Ende wäre. Vielleicht wäre es bei der Truppe vorn anders, daß man im Einsatz innerlich mehr aufgewühlt und daher erlebnisfähiger wäre. Es kann aber auch sein, daß man dadurch noch mehr von dem Tagesgeschehen ermüdet wäre, so daß man noch häufiger abends ohne einen Gedanken an Gott einschliefe. Das sind meine Gedanken zum Sonntag. Du siehst, man wird hier innerlich müde und stumpf, es bleibt nur noch die unbestimmte Sehnsucht nach Beendigung des jetzigen Zustands und damit eine Rückkehr nach Hause. Ja, dies Zuhause bist augenblicklich Du allein; denn ein räumliches "Zuhause" habe ich doch wohl jetzt nicht. Damit stehe ich wieder da, wo ich meinen Ausgang zu diesen Gedanken nahm. Ich bin nun gespannt, was Du als Antwort auf meine vor einiger Zeit ergangenen Anfragen antworten wirst. Sehr gern wüßte ich ja etwas mehr von Deinem persönlichen Ergehen und dem, was Dich bewegt und womit Du Dich innerlich beschäftigst. Du weißt ja, wie sehr jeder Brief von Dir ersehnt wird, noch mehr natürlich, wenn ich nicht nur Deinen äußeren Tagesablauf nacherleben kann. Soeben bin ich wiederholt gestört worden. Es ist Sonntagabend, draußen summen Stukas, mit Bomben beladen, über uns hinweg in nördliche Richtung. Sie werden jetzt in die Kolonnen der Russen hineinstürzen und zu der Einschließung die Bestürzung und das Chaos bringen. Großes ist auch von unserer Truppe in diesen Tagen geleistet worden. Natürlich ist auch der Russe nicht müde. Ich schlief heute Nacht wegen des beengten Raumes draußen in meinem Kadett. Da wachte ich wiederholt auf, als russische Bomber über uns hinwegfegten. Sie hatten die Vormarschstraße und die Brücken über den . gesucht. Dort sah man in der weiten Ferne Scheinwerfer und Flakschießen, kurz darauf flogen sie wieder über unser Dorf zurück, nachdem sie auf der Panzerstraße ihre Bomben abgeladen hatten. Hier in unserem abseits gelegenen Dorf vermuteten sie natürlich nichts von Bedeutung. Vor allem die Brücken sind ihnen wichtig.
Heute früh weckte uns der Vogel Rock schon sehr zeitig, so daß wir einen langen Vormittag totzuschlagen hatten. Auf die Dauer ist das ja nichts. Während ich hier schreibe, bin ich schon wiederholt nach dem Abendbrot gefragt worden. Man hat ja nichts anderes zu tun als essen! Nun leb wohl, mein Lieb! Grüße die Verwandten recht herzlich von mir, vor allem aber sei Du recht von Herzen gegrüßt von
Deinem Heinz.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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