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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 16.02.1943 (3.2002.0985)

 

den 16. Februar 1943



Meine geliebte Ursula!

Hochbeglückt kehrte ich eben vom Flugplatz heim, wohin ich die beiden Briefe brachte. Jetzt werden sie wahrscheinlich schon in Kertsch sein. Nun habe ich Mut bekommen und Dir auch einen süßen, allerdings wertlosen Gruß in Gestalt eines Täfelchens Schokolade gepackt. Es ist das einzige, das ich Dir in diesen Tagen zukommen lassen kann. Ich bin gespannt, ob es ankommt. Die Fahrt durch das Städtchen ist bei diesem Wetter ein besonderes Ereignis. Wir fuhren mit dem Volkswagen, der so fantastisch ist, daß man sich sagt, solange Deutschland noch solche Konstrukteure hat, die so Hochwertiges erfinden, kann unser Volk nicht zugrunde gehen. Der Wagen hopst ja gewaltig, aber er springt über alle Unebenheiten hinweg. Die Nebenstraßen sind jetzt alle in ein Schlamm-Meer verwandelt, aber auch durch tiefen Schlamm und hohes Wasser rauscht der Wagen mühelos hindurch. Schade, daß wir nicht schon 1939 diese wunderbaren Wagen in großer Masse hatten.
Auf dem Flugplatz war Hochbetrieb. Sehr viele Segelfluganhänger standen dort, die alle zum Transport nach drüben dienen. Von uns sind ja auch schon viele mitgeflogen. Fabelhaft sind die neuen zweirumpfigen Transportmaschinen, die zwei Anhänger hinter sich herziehen können. Sollte unser Volk, das so hochwertige technische Erzeugnisse schafft, tatsächlich unterliegen müssen, nur weil es an Menschen gebricht? Welch einen Reichtum besitzen die Russen in ihren Menschenmassen!
Gestern hat ein Major die Führung unserer Werkstattkompanie übernommen. Er ist erst ? Jahr aus Deutschland heraus, seine Einstellung ist gut Preußisch. Eigentlich wollte er mit mir zusammen wohnen, da die Quartiere sehr stark überbelegt sind. Er meinte, wir könnten uns nicht so breit machen, wenn die Landser so eng lägen; beim Divisionsstab sei es auch so, daß der Ia und I b oftmals mit ihren Landsern oder aber mehreren Offizieren zusammenliegen. Der Major war beglückt oder tat doch so, als er bei mir ein Schmalzbrot zu essen bekam. Jeglichen Komfort wie Teller, Gläser usf. scheint er abzulehnen, oder jedenfalls verzichtet er gern darauf und ißt aus dem Kochgeschirr. Da ich das nicht gewohnt bin und immer noch einen gewissen Komfort schätze, da ich auch in puncto Essen es gern sehr gut habe, merkte ich, daß wir nicht recht zusammenpassen, und suchte mir dies nette Quartier, in dem wir jetzt hausen. Es gibt ja sehr verschiedene Einstellungen und Haltungen jetzt hier in Rußland. Man kann hübsch bescheiden sein, streng sich nur auf Feldküchenkost beschränken, in allem reell und gewissenhaft. Der Gegenpol ist gekennzeichnet durch die Worte "carpe diem" und "manus manum lavat". Das wurde gestern früh sehr deutlich. Als wir noch beim Frühstück saßen, an dem auch der Oberwerkmeister teilnahm, kam ein Landser mit einem Reparaturfahrzeug. Der Oberwerkmeister kannte ihn, er ist vom Verpflegungsamt. Im Nu hatten wir noch eine Kilodose Bierschinken auf dem Tisch und eine Flasche Rum dazu. Der Wagen wird sicher bald fertig sein. Diese Einstellung ist, glaube ich, im allgemeinen die herrschende. Darum bin ich ganz froh, daß ich wenig Gelegenheit habe, versucht zu sein, in dieser Weise meine Dienststellung auszunutzen. Gewiß, in bestimmten Grenzen hat man es ja als Kompaniechef getan. Ich sprach gestern mit dem Major darüber. Er ist ganz streng reell. Vielleicht legt sich das bei längerem Rußlandaufenthalt. Als wir bei meiner Kompanie Marketender-Alkohol bekamen, sagte mir der Rechnungsführer, ich müßte aber auch etwas für mich reservieren als "Repräsentationsfonds". Das ist im allgemeinen so üblich, und wenn man Maß zu halten versteht, kann man es wohl auch rechtfertigen. Auch wenn ich meine Darmgeschichte hatte, habe ich mir wohl eine Dose Spinat oder eine Tafel Schokolade geben lassen. Etwas pflegt doch immer bei der Verpflegung übrig zu sein, so daß es doch nicht der Allgemeinheit zufällt. Wenn ich nun sonst gut für die Küche sorge, dann darf ich mir wohl mal solche Diätkost verschreiben. Auch wenn nicht jeder Landser in der gleichen Lage das könnte. Aber, wie gesagt, die Gefahr ist groß, da die Grenzen fließend sind. Ob man sie stets richtig innehält, scheint mir fraglich zu sein. Ein Gleiches gilt für Luftpostmarken. Sicherlich hat die Schreibstube mehr als ihr zusteht. Kontrolle ist da sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Ich glaube allerdings, daß im allgemeinen bei den Versorgungstruppen die Grenzen weit überschritten werden, genauso wie in der Heimat: Wer etwas hat, hat alles!
Thaddäus steht mit aufgekrempelten Armen am Nebentisch und bereitet das Abendbrot: Bratkartoffeln mit Frikadellen. Es riecht nach Zwiebeln. Er ist ganz still dabei. Vor allem ist er sauber. Das ist eine gute Tugend. Das hat er offenbar aus seinem Elternhause mitgebracht. "Saberale machen", d.h. irgend etwas mitnehmen, kann er nicht. Nun habe ich heute schon jemand anders beauftragt, ein Huhn oder eine Ente zu greifen. Warum sollen wir nicht wenigstens fürstlich leben in dieser bewegten Zeit? Seltsam ist, wie solch ein Rückzug auf ein primitives Gemüt wirkt. Thaddäus sagte vorhin, daß seine Filzstiefel jetzt bald aufgebraucht wären, da der Absatz kaputt sei. Ich sagte, die solle er nur für den nächsten Winter aufheben. Da machte er Augen! Er redet jetzt viel von "schöner Deitschland" und meint wohl, daß es nach Hause geht. Daß er im nächsten Winter noch Soldat sein kann, daran hat er noch nicht gedacht. Übrigens ist die Angst der Russen vor den Sowjets vielfach recht groß. Jetzt ist unser Quartierwirt hier. Er ist 40 Jahre und fürchtet, daß man ihn einziehen wird. Der Älteste ist 18 Jahre. Beiden droht dasselbe Los. "Das ist schlimm für uns, die willen mit uns fahren!", meint Thaddäus temperamentvoll. Er ist ein sehr einfacher, unkomplizierter Mensch. Seine Schulkenntnisse sind denkbar dürftig. Dieser Tage habe ich ihm mal einige abstrakte Begriffe beigebracht: Gebote, Sünde, Seele, Geist. All diese Worte sind ihm natürlich unbekannt. Seine Gebete spricht er nach wie vor polnisch.

17.2.1943
Werners Geburtstag nahm ich soeben zum Anlaß, ihm nicht nur meine Gedanken über unser Volk, Judenproblem und Spengler kurz darzulegen, sondern auch brüderlich zu sagen, was ich als Forderungen an eine Verlobte stellen würde. Er ist so alt wie ich auf Jochens Hochzeit! Ich sagte ihm: gute Bildung als Selbstverständlichkeit, gute Familie, weil ein Mädel ja damit verwachsen ist und die Erziehung des Elternhauses sich nie verleugnen läßt, Mädchenehre! Kirchlich! Es ist ja heute so ungeheuer schwer, ein Mädel zu finden, das diesen Ansprüchen gerecht wird. Da kann ein Junge wie Werner, gerade weil er selbst so lebensfroh ist, so leicht einen Fehlgriff tun. Möge Gott ihn davor bewahren! Ich wünsche ihm eine Frau wie Lisel oder Gesa. Was sind das für Charaktere!
Mein Lieb, gegen Mittag fahre ich zum Flugplatz. Ich denke, heute spätestens wirst Du alles hinter Dir haben. Möge Gott Euch beide segnen und mir gesund erhalten. Du darfst das Kleine mal so recht fröhlich herzen als Gruß von seinem Vater. Innigen Gruß
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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