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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 17.11.1940 (3.2002.0985)

 

den 17.11.1940



Meine geliebte Ursula!

Es ist mir, als hätte ich Dir sehr lange nicht geschrieben. Habe ich Dir berichtet, daß ich mir nach guter Balkanmethode Holz besorgt habe? Ich fuhr mit meinem Kübel zu einem an unseren Kasernenbereich angrenzenden rumänischen Militärmagazin. Zunächst versuchte ich die alte, auf dem Balkan bewährte Methode: ich wollte dem rumänischen Posten 20 Lei in die Hand drücken, um dann in aller Ruhe aufladen zu können. Seltsamerweise zog das nicht. Er verständigte den zuständigen Unteroffizier, der mir nun klarzumachen versuchte, daß ich einen Bon von der Division haben müsse und nur gegen einen solchen das Holz beziehen könne. Derweil forderte ich mit deutschen Worten immer wieder Kacmierczak und Kappe auf, sich zu beeilen. Als ich schließlich hoffte, eine kleine Beute zu haben, zeigte ich dem Rumänen, daß ich verstanden habe, und zog ab. Das war eine Tat der Selbsthilfe, auf die ich bei uns wohl nie verfallen wäre, aber hier herrschen offenbar andere Maßstäbe trotz Antonescu und Legionären!
Am Donnerstag hatte ich Ortsdienst. Als diensthabendem Offizier fiel mir dabei auch die Aufgabe zu, verbotene Lokale, Hotels und ähnliche zweifelhafte Anstalten aufzusuchen und nach Landsern zu fahnden. In einem Hotel, übrigens demselben, in dem Stadie während des Erdbebens gewesen war, traf ich zwei Soldaten. Die übrige Razzia verlief ergebnislos. Ich hatte mir einen ortskundigen Unterfeldwebel sowie einen ebenfalls sehr gut unterrichteten Fahrer genommen. So habe ich manches gesehen, was ich wohl sonst nie in meinem Leben gesehen hätte. Doch genug davon!
Tags darauf fuhr ich frühmorgens nach Bukarest. Die Sache geschah folgendermaßen: Abends im Kasino erzählte der Adjutant, daß zwei Wagen nach Bukarest führen. Da wäre noch Platz, so daß zwei Herren mitfahren könnten. Die Interessenten meldeten sich und knobelten darum. Dabei hatte ich das Glück, einer von den Gewinnern zu sein. Früh morgens um 7 Uhr fuhren wir los. Zunächst ging es über den Fluß, an dem unser Städtchen gelegen ist, der sehr breit und ausgewaschen ist, während nur ein kleines Rinnsal den Bach durchfließt; dann befanden wir uns auf einer ganz unvorstellbaren Straße, die sehr breit war und sich etwa in solchem Zustand befand wie die zwischen Heiligendorf und Barnstorf; stellenweise, wo nur loser Schotter lag, war sie noch trostloser. Kurz vor der nächsten Stadt (5) war der Zustand einfach unbeschreiblich. Zu beiden Seiten Haufen von Sand und Steinen, die offenbar für den Straßenbau vorgesehen waren. Sobald nun ein Fahrzeug zu überholen war, mußte man die lebensgefährliche Fahrt über diese Haufen antreten oder warten, bis der Bauer mit seinem Gespann Platz machte. Schließlich kam eine Stelle, wo die Straße im Bau war. Da ging es einfach über die Steppe. Anders kann man die Felder oder Weiden nicht gut bezeichnen. Von der Stadt B. ab ging es dann auf einer guten Asphaltstraße, die leider viel zu schmal ist, nach Bukarest. Die Landschaft, die wir durchfuhren, bot immer das gleiche Bild: die Äcker infolge der Mobilmachung und des damit zusammenhängenden Leutemangels lagen unbestellt da. Weit und breit kein Baum außer den Akazien, die offensichtlich in diesen Steppenlandschaften zu Hause sind, und zur Seite in der Ferne die Karpatenberge, von denen man einmal sogar einen Schneegipfel zu sehen bekam. Die Dörfer längs der Straße zeigten alle das gleiche Bild: an der Straße und teilweise in den Gärte Akazien, dann hinter den Bretterzäunen mehr oder minder guten Zustands das kleine rumänische Bauernhaus mit dem zum Hofe überspringenden Dach, das von Holzpfosten oder Säulen getragen ist, so daß sich eine Art ungeschlossene Veranda bildet. Die Hauseingänge befinden sich an dieser Hofseite, die zugleich die Breitseite des Hauses ist, während die schmale Front zur Straße zeigt. Diese Anlage scheint mir typisch rumänisch oder walachisch zu sein. In dem Hause befinden sich dann ein oder mehrere Zimmer. Sehr groß kann der Platz oftmals nicht sein, den diese Hütten enthalten. Manches Haus sieht sehr hübsch aus, wenn es gut gekalkt ist oder gar die tragenden Balken farbig sind. Oftmals ist der Anblick aber auch trostlos, besonders in einigen Dörfern unweit Bukarest, wo manches Haus Strohdach hat und wie eine Negerhütte oder -behausung wirkt. Im Erdölzentrum sah man einige größere Erdbebenschäden. Die Stadt hat im übrigen einige sehr reiche, schöne Villen; man merkt, daß dort Geld sitzt. Im allgemeinen wirkt die Stadt mit ihren Geschäften und dem Leben auf den Straßen genau so wie jede rumänische Stadt.
Gegen 11 Uhr waren wir in Bukarest. Wenige Kilometer vor der Stadt hatten wir eine Panne und mußten den Wagen abschleppen lassen, während uns ein sehr schöner Wagen von der Militärmission mitnahm. Die Anfahrt nach Bukarest ist sehr schön. Man kommt an einem sehr modernen Bahnhof vorbei, der nur für den König sein soll. Dann fährt man auf breiter Allee zum Triumphbogen, einem nach 1919 errichteten, modernen arc de triomphe, der schon erkennen läßt, daß Rumäniens Hauptstadt kein eigenes Gesicht trägt. Weiter ging es, vorbei an einem im Bau befindlichen Denkmal für König Ferdinand, unseren Weltkriegsgegner, vorbei an schönen, etwas fremd anmutenden Häusern oder Villen. Da wir einen rumänischen Oberleutnant namens Popesku bei uns hatten, der im Zivilleben Advokat ist und nun gerade vom Militär entlassen worden war, fuhren wir durch sehr gewundene Straßen zu seiner Wohnung, um ihn abzusetzen. Schließlich beim Carlton-Hochhause stiegen wir aus, um zu Fuß zu gehen. Dies Hochhaus war einmal. Jetzt sah man nur Rauch und Beton und Eisen. Das Haus ist restlos eingestürzt beim Erdbeben. Mehr als 100 Menschen sind bisher als Tote geborgen. Seit Tagen arbeitet man an der Aufräumung und Bergung der Toten. Dies Haus liegt an einem sehr breiten, sehr amerikanischen Boulevard, dem Straßenzuge, auf den das ganze Bukarest offenbar sehr stolz ist. Er soll einmal die Hauptgeschäftsstraße von Bukarest werden mit seinen Hochhäusern von 8 – 10 Stockwerken amerikanischen Stils. Die Straße ist breit und sauber, aber völlig geschmacklos. Sie hat nichts Behagliches und wird, glaube ich, auch nicht so rasch den Verkehr der Stadt an sich reißen können. Dort fanden wir das Hotel "Ambassador", in dem die meisten Herren der Militärmission wohnen. Unten ist ein Restaurant "Bukurezti", das sehr vornehm und offensichtlich sehr stark auf Ausländer eingestellt ist. Es hat behagliche moderne Sitzmöbel, kleine Tische und viele Spiegel an den Wänden. Dort ließen wir, d.h. Oberleutnant Klusemann und ich, uns nieder. Was wir dort gegessen haben, wird restlos Deinen Neid erwecken. Deshalb will ich auch gar nicht viel davon schreiben, sondern nur den Mohrenkopf, aus »Schokola« bestehend und mit bester Schlagsahne gefüllt, erwähnen. An Wein und Kaffee (als Hamburger muß man das "e" sehr stark betonen!) fehlte es natürlich auch nicht. Wenn man allerdings bedenkt, daß dieser Spaß über 250 Lei (1 Lei im Kurs = 2 Reichspfennig) gekostet hat, so wird niemand behaupten wollen, daß das Essen hierzulande billig sei. Wir ließen uns allerdings sehr viel Zeit dabei. Der starke Kaffee möbelte gut wieder auf, so daß ich ganz frisch war, als wir hernach zur Ortskommandantur fuhren. Dort erkundigten wir uns nach Quartieren und erhielten eines im Hotel Excelsior zugewiesen. Dies liegt fast unmittelbar am Königlichen Schloß, es ist ein großer Kasten mit Lift und fließend Wasser. Ich wohnte im Zimmer 515 im 5. Stock. Du kannst danach etwa die Größe des Hotels ermessen. Mein Zimmer war sehr klein, aber doch nicht übel. Das Hotel war nicht übermäßig komfortabel und auch nicht sehr sauber. Ebenfalls wieder eine Kreuzung zwischen Amerika (Hochhaus) und Balkan (ungepflegt). Von hier aus fuhren wir zur Militärmission, die in der Kriegsakademie ihren Sitz hat. Diese liegt auf einer Höhe am Rande der Stadt. Es ist ein ganz modernes Gebäude oder besser ein Komplex von 3 oder 4 Gebäuden. Die Fassade hat etwas Ähnlichkeit mit unseren neuen deutschen Bauten durch die säulenähnlichen Senkrechten zwischen den Fenstern. Im Innern ist alles ganz einfach gehalten, schlicht geweißt und einfache Holztüren. Ich sah mir auch den großen Saal an, der einfache Marmorverkleidung trägt. Auch hier sah man die Wirkung des Erdbebens in Gestalt von Rissen und abgefallenem Putz. Ganz interessant war der Blick auf die Stadt. In der Nähe waren Villen mit teilweise stark beschädigten Dächern, dazwischen eine alte kleine und nahe dabei eine im Bau befindliche orthodoxe Kirche, beide typisch mit Kuppeln und Säuleingang. Weiter in der Ferne sah man einen Hochhausneubau, der aber erst im Rohbau fertig war, und mehr zur Stadt hin weitere Hochhäuser amerikanischen Stils. Nachdem wir beim Stabe nichts erreicht hatten, fuhren wir zur Stadt zurück, um etwas zu besichtigen und auch einzukaufen.
Das Schloß liegt im Zentrum der Stadt. Es ist ein zweistöckiger Bau mit einer ganz neuen Fassade aus korinthischen Säulen im 1. Stock. Die beiden Seitenflügel sind vorspringend, so daß ein Hof gebildet wird, der durch ein Eisengitter vom Platz getrennt ist. Die Seitenflügel sind noch im Bau, zum Teil erst eben hochgeführt und ohne Verputz. Übrigens scheinen die Säulen nicht massiv zu sein, sondern nur durch Zementverputz nachgeahmt, also unecht wie das ganze Bauwerk. Sehr witzig sind die beiden Schloßportale mit Glasdach überdeckt wie der "Magdeburger Hof" in Magdeburg oder irgendein Hotel "Unter den Linden". Völlig geschmacklos! Unmittelbar dem Schloß gegenüber liegt ein barocker Bau aus der Vorkriegszeit, der aber verschwinden soll, zwischen beiden ein nicht sehr gutes Reiterstandbild Karls I. Vor dem Schloß soll anscheinend ein größerer Platz entstehen, der dann auf der einen Seite das Schloß hat, ihm gegenüber das "Athenaion" ein Kunstausstellungsgebäude, Rundbau mit korinthischen Säulen und unscheinbarem Kuppeldach. Dann weiter rechts ein Hochhaus, das noch nicht ganz hochgeführt ist. In ihm soll das Ministerium des Innern untergebracht werden. Es wird das Schloß um ein Beträchtliches überragen, ebenso wie das danebenliegende, durch eine Straße gesonderte hohe Gebäude, das bis jetzt seine Rückseite zum Schloß zeigt und daher wohl noch einen Vorbau erhalten soll. Vor dem Schloß steht eine echt orthodoxe Kirche, von der ich nicht weiß, ob sie alt oder neu ist. Sie paßt im Stil so ganz und gar nicht zum Schloß und noch weniger zu den Schloß und Kirche überragenden Hochhäusern. Wenn der Platz einmal "fertig" ist, wird er ein Musterbeispiel sein für die Unfertigkeit dieser Stadt, die zwischen Balkan und Amerika steht und daneben einige mitteleuropäische Elemente zeigt, ohne ein eigenes Gesicht zu haben. Am Schloß vorbei geht die Hauptverkehrsader der Stadt, die "calea Victorici", eine ziemlich enge Straße mit normalhohen Häusern, nur selten durch ein Hochhaus unterbrochen. Es ist bis jetzt die Hauptgeschäftsstraße mit sehr eleganten Geschäften. Du glaubst gar nicht, welche Fülle von Waren in den Schaufenstern ausliegen. Sehr viele Schuhgeschäfte und Textil-Spezialgeschäfte finden sich dort mit sehr geschmackvollen Auslagen. Die Preise sind aber ganz unerhört. Gern hätte ich Dir ein Paar Schuhe gekauft. Aber ein einfaches Paar kostet mindestens 1350 Lei. Wenn man den Lei nach seinem tatsächlichen Börsenwert rechnet, so sind das 27 RM. Bessere Schuhe kosten 1600 bis 2000 Lei! Ich konnte mich nicht entschließen, ein Paar zu kaufen. Lediglich 2 Hemden nahm ich, da ich nicht recht gescheite hier habe. Auch sie waren keineswegs billig. Dann kaufte ich eine Brieftasche für 750 Lei, ein Lederarmband für meine Uhr und als Bestes einen Leica-Belichtungsmesser. Ihn bekam ich, nach unserem militärischen Kurs gerechnet, um 20 RM billiger. Da war die Versuchung für mich doch zu groß! Über diesen Kauf bin ich sehr froh. Nun kann Gesa den optischen bekommen. Schon ein passendes Weihnachtsgeschenk! Verhältnismäßig billig sind die Lederhandschuhe. Ich nahm für mich ein Paar graue gefütterte Lederhandschuhe, die sehr elegant sind. Bei diesem Kauf stand ich mich wesentlich besser als wenn ich dergleichen in Znaim gekauft hätte, Auch für Werner besorgte ich ein Paar für Weihnachten. Damit Du nun nicht ganz zu kurz kommst, habe ich für Dich "etwas" Schoko gekauft. Hoffentlich kann ich sie Dir zuschicken, denn auch die augenblickliche 100g-Grenze für Briefe scheint schon wieder eingeschränkt zu sein. Textilien, vor allem Stoffe, haben in B märchenhafte Preise! All dergleichen also fand man in der calea victorici. (Eine Muskatnuß nahm ich auch, Vanille kostet 1 RM eine Stange, darauf habe ich dann verzichtet.) Gegen Abend trafen wir uns mit Oberleutnant Popesku und bummelten zunächst auf der calea v. Du machst Dir keinen Begriff von den Menschenmassen, die dort um 8 bis 1/2 9 Uhr promenieren. Die meisten sehr gut und elegant gekleidet, die Damen gut in rouge, dazwischen sehr viele Offiziere mit ihren Sommermänteln, die vollkommen zivil wirken in Schnitt und Farbe. Alles das lief bzw. schritt dort auf und ab bei dem recht warmen, klaren Wetter. Die Geschäfte waren von Licht überflutet, an den Fassaden erschien farbige, aber nicht geschmacklose Reklame. Da sehr viel Volks um diese Zeit auf den Beinen ist, geht man getrost auf dem Fahrdamm; die eleganten Autos können sehen, wie sie sich da durchwinden. Irgendeine Verkehrsordnung gibt es nicht; denn die Fußgänger beherrschen das Feld. So ist es übrigens auch bei Tage. Der Autoverkehr ist so stark, zumeist sieht man schwere ausländische oder deutsche Wagen. Aber überall drängt sich der Fußgänger vor. Er beherrscht das Feld. Nur an einigen Stellen ist Verkehrsregelung, sogar Verkehrsampeln gibt es, die jedoch schlecht bedient werden. Im übrigen geschieht die Verkehrsregelung durch Signalpfeife. Nur abends ist davon nichts zu merken. Da die Wagen auch rechts überholen, kannst Du Dir ausmalen, welch munteres Chaos der Verkehr in B ist. Der Abendbummel war natürlich für mich ein großes Erlebnis. Ein Bild tiefsten Friedens. Zwischendurch sah man gelegentlich, aber selten, einen Mann in zerlumpten Kleidern oder Schuhen oder einen Zigeunerjungen, bettelnd oder Zeitung tragend. Dadurch wurde man daran erinnert, daß man sich auf dem Balkan befand. Nachdem wir nun etliche Male hin und her gegangen waren, zogen wir uns in ein sehr schönes Restaurant zurück. Saubere weiße Tischtücher und Mundtücher, freundliche kleine Tische und eine gute Zigeunerkapelle. Hier überließen wir dem Rumänen das Aussuchen der Speisen. Als Vorgericht gab es – ich denke, daß Dich diese rumänische Speisefolge interessieren wird – Oliven in Öl, die man mit kleinen Zahnstocherhölzchen aufspießte und aß. Dazu tranken wir einen scharfen Zwetschenschnaps. Als nächsten ersten Gang aßen wir eine sehr delikate Gänseleberpastete und dazu einen Weißwein mit Sodawasser. Nun folgte ein Fischrogen, der vor unseren Augen zubereitet wurde mit Öl und Zwiebeln, wenn ich mich recht entsinne. Ich war sehr mißtrauisch, wurde aber sehr überrascht, denn es schmeckte recht delikat. Als Abschluß gab es einen gebackenen Fisch mit Zitronen und zum Nachtisch eine riesige Mehlspeise, bestehend aus kleinem Gebäck, das über einen Schlagsahnekern gelegt war, übergossen mit herber Schokolade. Zu den Speisen tranken wir in Maßen "Gespritzten", nach dem Essen einen schwarzen Kaffee und danach wieder gespritzten Wein. Um 9 – ?10 Uhr war das Lokal sehr besetzt, so daß man kaum einen freien Platz finden konnte. Die Menschen alle gut gekleidet, manche gut bemalt. Unter der Kleidung fiel mir eine Dame auf mit einem Umhang aus schätzungsweise 8 Silberfüchsen. Wir blieben nun sitzen und tranken im Laufe des Abends jeder eine Flasche Wein, aber stets mit Wasser verdünnt. Als die Hauptessenszeit 9 – 10 Uhr vorüber war, legte sich der Andrang. Wir unterhielten uns recht nett. Der Rumäne sprach ganz leidlich Deutsch; was ihm fehlte, ersetzte das Französische, das er sehr gut spricht, oder auch ein Brocken Englisch oder Lateinisch bzw. Italienisch. Als er erfuhr, daß ich Pastor sei, fand er das sehr interessant. Wir sind jedoch nicht weiter auf theologische Fragen zu sprechen gekommen. Gegen Mitternacht setzte sich an unseren Nachbartisch ein sehr stark angeheiterter – oder richtiger – völlig blauer Rumäne, seines Zeichens Rennfahrer, der sehr stark das Bedürfnis hatte, mit uns Prösterchen zu machen. Mich nannte er immer "Kind", fuhr mir durch die Haare, war aber nicht widerlich. Gegen ? 2 Uhr brachen wir auf und gingen durch die von Vollmond und Lampen hell erleuchteten Straßen ins Hotel zurück. Übrigens bekam ich abends auf sehr witzige Weise die Schuhe ausgezogen. Da ich keinen Stiefelknecht hatte, klingelte ich, worauf ein völlig bekleidetes, mit Schürze versehenes, aber barfüßiges Mädchen erschien und mir aus den Stiefeln half. Auch sie war Balkan und Westen in einer Aufmachung!
Also früh morgens wurde ich durch einen sehr forsch vorbeigehenden Soldatenschritt geweckt. Ich konnte dann nicht mehr schlafen und stand zeitig auf. Unten tranken wir vorzüglichen Kaffee mit Schlagsahne, Kipfel mit Marmelade und Butter. Dann ließen wir uns auf der Straße die Stiefel putzen, auch ein Erlebnis! Köstlich war es, mit welcher Passion der Zigeuner – so sah der zerfetzte Lumpenjunge aus; es wird aber wohl ein Rumäne gewesen sein – sich auf die Schuhe stürzte. Mit mehreren Tinkturen und großer Raffinesse bekam er einen Glanz auf die Schuhe, wie sie ihn wohl kaum ein zweites Mal erhalten werden. Anschließend folgte eine Fahrt zur Kriegsakademie, für mich mit langem Warten verbunden, und kleine Einkäufe. Dann war es Mittag. Zwischendurch hatten wir eine warme Pastete gegessen. Zu Mittag trafen wir nochmals unseren Advokaten, der jetzt nur in Zivil ausging, und aßen mit ihm sehr gut (Spanferkel usf.) zu Mittag. Das dauerte mit Kaffeetrinken bis ? 3 Uhr. Pünktlich um 3 Uhr starteten wir nach Hause. Unterwegs versuchte ich zu knipsen. Ich glaube jedoch kaum, daß aus den Aufnahmen vom rasch fahrenden Wagen etwas werden kann. Zwischen P. und B begegneten und überholten wir viele Bauernfuhrwerke, die wohl vom Felde kamen. Oftmals war das ein recht interessanter Anblick. Auf den Wagen hatten sie Haferstroh oder Maisstengel, dann saßen mehrere Männer darauf und dazwischen auch eine Frau oder ein Kind. Die Männer mit ihren hohen Pelzmützen; die Frauen mit Kopftüchern. Vor dem Gefährt ein Gespann aus sehr kleinen, mageren, aber wohl zähen Pferden. Manchmal war das Bild sehr echt und schön. Ich hätte es gerne eingefangen. Sehr schwierig war natürlich das Fahren auf der schmalen Straße bei dem überaus regen Verkehr. Schon früh, gegen 5 Uhr, wurde es dunkel. Die Stadt B. war sehr schön erleuchtet und machte doch einen wesentlich größeren Eindruck als R. Es war nur gut, daß man hier ohne Abblendkappen fahren kann. Auf der schlechten Strecke wären wir sonst doch wohl nur sehr schwer vorwärtsgekommen.
Sehr nett waren auch die Kindergruppen, die in der Dämmerung im Straßengraben der Dörfer ein Feuer entzündet hatten und darum beschäftigt waren. Man versteht ja oftmals nicht den Sinn solcher Handlungen, aber es ist doch zweifellos ein Stück östlichen und fremden Lebens, das man so auffängt im Vorbeifahren. Kurz nach 6 Uhr trafen wir hier wieder ein. Eigentlich hatte ich für den Abend einen Zugabend angesetzt und auch selbst eine Kleinigkeit dazu gedichtet. Während meiner Abwesenheit jedoch hat das Bierbesorgen nicht geklappt und so mußte es dann ausfallen. Da ich nun einmal in der Kaserne war, ging ich noch aufs Bataillons-Geschäftszimmer und besuchte Leutnant Korkhaus, um mit ihm die Ablösung zu besprechen. Wir unterhielten uns eine Zeitlang. Übrigens bin ich infolge meiner häufigen Fahrten nach Znaim in den Verdacht gekommen, daß ich dort ein Mädchen gehabt hätte. Schon 3 Herren haben mir das gesagt! Ich habe daraufhin ihnen erzählt, daß Du dort warst. So kommt man in einen falschen Ruf! – Korkhaus erzählte, daß hier die deutschen Bücher so sehr billig seien. Vielleicht habe ich mal Gelegenheit, eins zu kaufen. (Hast Du besondere Wünsche? Es kann ja sein, daß ich etwas zu Weihnachten besorgen kann. Darf ich mich überhaupt mal nach Deinen Weihnachtswünschen erkundigen?) Als ich nach Hause kam, packte ich noch die verschiedenen Balkankarten aus, die ich bei der Militärmission besorgt hatte. Eine oder zwei werden wohl mein Wohnzimmer schmücken. Du kennst ja meine Vorliebe für Karten! Heute früh stand ich zeitig auf, um Korkhaus abzulösen. Das ist nun der zweite Telefondienst hier. Vor einigen Tagen bat mich Kannicht, mit ihm zu tauschen; denn eigentlich war ich erst am kommenden Sonntag an der Reihe. Heute vormittag kam er nun an, der Oberleutnant Köhne hätte es nicht erlaubt, daß er nach Br?ila führe, nun müßte er doch Telefon-Dienst machen. Da das ein sehr unangenehmer Dienst, weil langweilig, ist, war ich wenig entzückt. Ich wurde auch sehr ärgerlich, da er nicht gerade sehr viel Rücksicht auf mich zu nehmen schien. Zumindest hätte er mir in meiner Wohnung Nachricht hinterlassen müssen! Zunächst schnappte ich hörbar ein. Als er meine Hartnäckigkeit sah, wich er und überließ mir den Dienst. Diese jungen Knaben meinen, mit einem Reservisten und dazu mit einem Pastor alles machen zu können. Da irren sie sich. Wenn ich mich auch nicht auf ihre Art (s. Bütow beim Erdbeben in Br?ila!) amüsiere, so weiß ich doch die Freizeit sehr zu schätzen!
Nun recht innigen Gruß !
Dein Heinz

PS: Nachmittag und Abend brauchte ich zu diesem Bericht!

 

 



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