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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 02.07.1941 (3.2002.0985)

 

R., 2. Juli. 1941


Meine geliebte Ursula!

Da ich keine Ahnung habe, wo Du Dich aufhältst, kann Dich dieser Brief zur Abwechslung ja mal in Geslau suchen. Post ist vorläufig noch nicht zu erwarten. Bei der Länge des Rückweges ist das ja auch kein Wunder. Nun fährt heute ein LKW nach Hr, wo sich unsere Feldpost befindet. Wenn er diese 200 km zurückgelegt hat, geht es wohl etwas schneller mit der Eisenbahn. Aber trotzdem wird dieser Brief uralt, bis er in Deine Hände gelangt. Nun begeh Du bitte nicht den Fehler, wenig und selten zu schreiben, weil Du Dir sagst, es hat ja doch keinen Zweck, denn dann geht das Wenige bestimmt noch verloren, und ich bekomme gar nichts.
Damit habe ich eigentlich schon alles Wissenswerte erwähnt, sodaß ich den Brief schließen könnte. Über die taktische Lage in unserem Abschnitt kann ich Dir schlecht schreiben, da ja stets die Möglichkeit besteht, daß die Post in feindliche Hände gerät. Gestern nachmittag bekamen wir nochmals russischen Fliegerbesuch; dann wurde von hier aus mit schwerer deutscher Artillerie geschlossen, was ganz schön krachte. Sonst war gestern den ganzen Tag nichts besonderes. Ich schrieb unzählige Briefe, aß gut zu Abend; denn dazu reicht unsere Beute ja aus, obwohl sie im allgemeinen ziemlich gering ist. Die zuständigen Leute sind darin sehr auf Draht und haben rasch die richtigen Lager gefunden, in denen etwas zu finden ist. Neben Lebensmitteln wurde Leder und etwas Betriebsstoff erbeutet. Natürlich suchen auch die Landser nach allem Möglichen – gerade hier im Kasernenbereich liegen viele Offiziers- und Soldatenwohnungen. Da ist nicht eine Schublade, die nicht durchstöbert wäre. Solch eine Wohnung ist ein ziemlich grauenvoller Anblick, wenn man an das eigene Heim denkt.
Im übrigen nimmt der Krieg immer schärfere Formen an. Schon vor einer Woche sah ich, wie deutsche Infanterie eine Gegend durchkämmte und alles niederknallte, was da zu finden war. Gestern abend kamen nun einige Soldaten bei uns an von einer anderen Division. Ihre Kompanie war von Russen gefangen; man hatte ihnen Rock und Stiefel ausgezogen, sie in drei Scharen zusammengetrieben und dann zusammengeschossen. Die Sowjets kämpfen mit großer Verbissenheit. Ein Gefangener öffnete seine Brust und sagte: „So, jetzt erschießt mich“! Ein anderer, der von seinem Flugzeug mit Fallschirm abgesprungen war, wehrte sich auch da noch, als man ihn gefangennehmen wollte. Er schoß mit der Pistole, tötete einen und verwundete einen anderen, ehe er selbst getroffen wurde. Man kann schon sagen, daß diese Leute für ihre Überzeugung in den Tod gehen. Es mag allerdings auch sein, daß man ihnen auch Schauermärchen über uns und die Behandlung bei uns erzählt hat. Sicher ist jedenfalls, daß der Krieg wesentlich härter und schwerer ist als in Frankreich. Dort war ein morsches Volk, hier fanatische Kämpfer. Gestern fand man hier in einem GPU-Heim einen Geheimsender und im Keller drei Russen mit Gewehr. Auch auf unserer Seite wird man natürlich schärfer. Heute sah ich, wie man einen Gefangenen kurz laufen ließ und dann umlegte. So entledigen sich beide Teile ihrer Gefangenen. Ich fuhr heute schon sehr früh mit Hauptmann Graf zu Münster fort. Nach einigen Kilometern sahen wir vor uns Rauchfahnen aus einem Dorf aufsteigen. Wir trafen auf Kolonnen, die sich sicherten, dann auf eine Gruppe, die die Straße gesäubert hatte. Nun fuhr ein Krad-Schützen-Bataillon vor, um die ganze Gegend zu säubern. Wir fuhren hinter ihm her und kamen zu den Kolonnen, die frühmorgens von den Russen überfallen worden waren. Hier und da lagen Gruppen von Gefallenen, die nun beigesetzt werden sollten. Einige Häuser brannten, ein deutscher L.K.W. stand in Flammen, ein recht kriegsmäßiges Bild. Auf der Rückfahrt kamen wir an Artilleriestellungen vorbei, die bald darauf zu den Russen hinüberfunkten. So viele Tote wie heute habe ich noch nicht gesehen. Aber auch darin stumpft der Krieg ab, daß man den Anblick ruhig ertragen kann. Ich entsinne mich, wie ich in Troyes den ersten Gefallenen sah. Damals herrschte bei uns große Wut, ich selbst war innerlich aufgewühlt, obwohl ich den Gefallenen persönlich nicht kannte. Aber jetzt wird man allmählich gleichmütiger oder härter. Der Krieg macht hart und ist insofern eine gute Schule.
Mein Lieb, nun habe ich Dir viel zu viel vom Krieg erzählt. Das ist vielleicht nicht richtig, aber ich bin nun mal so, daß ich Dir von meinen Erlebnissen genau berichte. Wenn dieser Brief in Deine Hände gerät, sind wir schon viel weiter, vielleicht ist der Feldzug sogar schon beendet. Daran glaube ich allerdings nicht.
Ich habe jetzt mal zur Hütte, nach Hamburg und jetzt nach Geslau einen Brief für Dich geschickt. Irgendwo bist Du wohl zu erreichen. Hoffentlich erholst Du Dich nun recht gut. Wenn Du so gut zu essen hast wie ich jetzt, dann muß es ja wohl anschlagen, Butter, Käse, Eier!
Ich grüße dich, meine Ursula, recht von Herzen

 

 



Ansicht des Briefes

 

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