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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 23.06.1941 (3.2002.0985)

 

23.6.1941



Meine liebe Ursula!

Ich sitze in Pfarrer Dörings Wagen, es ist der Abend des zweiten Feldzugtages. Wenn Du diesen Brief erhältst, sind wir sicherlich schon weit in Rußland – am Tage nach Olgas Geburtstag startete ich mit Inspektor Boehn morgens aus L.Z. Wir hatten außer den Krädern die gesamte 3. Staffel, die Adele zurückgelassen hatte. Zunächst ging es auf herrlichen Straßen durch deutsches Land, viel Wald, auch die Dörfer waren manierlich. Hinter der Grenze von 1918 änderte sich recht wenig. Erst als wir über die alte Grenze kamen, wurde es mit einem Schlage anders. Die Teerstraße machte der Schotterstraße Platz, die Dörfer zeigten unordentliche Holzhäuser, denkbar primitiv. Hinter der Gouvernementsgrenze kamen wir über Kalkhöhen, zur Rechten lagen die Quellen eines Flusses, dessen Name jetzt viel genannt wird. Dann wurde es wieder ebener, überall große Kiefernwälder, magere Roggenfelder. Ich fuhr mit Inspektor Boehn vorne, die Straßen war ganz frei, so kamen wir gut vorwärts und schluckten keinen Staub. Gegen Abend kamen wir durch eine Stadt J., dort wimmelte es von Juden, die wohl aus dem Ghetto entlassen waren und sich nun ergehen durften. Man sah fast nur Juden, alle mit der weißen Binde am Arm, als Kennzeichen. Nach 9 Uhr gingen wir zur Ruhe über. Wir fanden einen Gutshof, in dem wir Wehrmachtsbetten fanden. In dem etwas verwilderten Garten aßen wir unsere mitgebrachten Eier und gingen bald ins Bett. Wir schliefen ganz prächtig bis 7 Uhr früh. Nach dem Rasieren, Waschen und sofort fuhren wir weiter. Die Straße war zum Teil neu gebaut, natürlich behelfsmäßig. Ab und zu kamen wir durch kleine Städtchen, die vom Feldzug sehr stark mitgenommen waren. Gegen Mittag passierten wir den großen Fluß, der hier aber nicht größer war als die mittlere Weser. Und das Städtchen S. liegt auf einer Höhe und macht einen stattlichen Eindruck – natürlich aus der Ferne. Alte Gebäude und Kirchen waren zu sehen. Auf der Brücke erfuhren wir, daß der Krieg schon ausgebrochen sei. So rasch hatte ich nicht damit gerechnet. Bald machten wir noch eine Rast, Boehn fuhr vor, ich mit den übrigen nach. Die Straßen wurden katastrophal, besonders als die „Kriegsstraße“ begann. Kurz hinter der zerschossenen Stadt J. machten wir nochmals einen Halt, alles kam nach, worüber ich sehr glücklich war. Doch dann kamen wir nicht weiter. Auf der Straße marschierte unser Trupp, an ein Vorwärtskommen war zunächst gar nicht zu denken. Ich suchte Verbindung nach vorn, traf Leutnant Kerlen, fuhr zurück und versuchte dann durch Überholen vorzukommen. Es war ein doller Marsch, immer weiter ging es, einige Ausfälle, es wurde dunkel, öfters Halt, dann Schneckentempo, also plötzlich waren wir richtig im Kriegsmarsch. Gegen Mitternacht langte ich dort an, wohin Kerlen mich befohlen hatte. Allmählich sammelte alles, ich meldete dem Kommandeur und erfuhr, daß ich am andern Morgen zu Dörings Leuten fahren solle (junge Pl.!). Die Nacht verbrachten wir in einem Kuhstall im Stroh, ich schlief herrlich, da ich seit abend im Beiwagen gefahren war. Auf diesen Straßen kein Genuß! Heute früh packte ich meine Sachen um und fuhr, während Schröder Unterricht hielt, ab. Zunächst 50 km zurück, dort traf ich niemand mehr, fuhr wieder vor nach Z., schließlich fand ich hierher zu Döring, in dessen Wagen ich erst mal fahre. Was weiter wird, weiß ich nicht. Jedenfalls ist Adele weit weg. Natürlich muß ich mich hier erst mal einleben. Nur gut, daß ich die Herren von Pl. her fast alle kenne. Gern wäre ich natürlich bei der Einheit geblieben. Heute habe ich nach vorn vielleicht 10 km geschafft. Trotzdem bin ich durch das Herumjuckeln sehr müde. Ab und zu sah man heute Flieger nach vorn fliegen und natürlich Feldflugplätze. Sonst ist alles friedlich. Die letzte Stadt sieht ganz freundlich aus, aber sonst ist es ein ödes Land.
Ist es nicht witzig, daß ich mit den beiden „Kollegen“ zusammen bin? Das finde ich ganz nett.
Mein Lieb, mache Dir keine Sorgen um mich. Es geht mir sehr gut. Adele ist weit. Ich lese jetzt immer nach der Tageslese, augenblicklich Acta.
Mein Lieb, schreib recht oft, Allerdings werde ich selten Post kriegen. Schreib mal an Feldpostnummer 15941. Die übrigen Briefe gehen weiter an die alte Nummer.
Es grüßt Dich recht von Herzen

Dein Heinz

P.S. Je eher Du schreibst, desto wahrscheinlicher kommt etwas an.– Es ist dunkel geworden.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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