Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 17.07.1940 (3.2002.0985)

 

den 17.7.1940



Meine geliebte Ursula!

Wie ich höre, fährt heute mittag ein Fahrzeug nach Deutschland. Da will ich doch schnell noch einen Brief mitgeben.
Vorgestern war ich vormittags zum zweiten Male in Paris, allerdings nur für kurze Zeit. Wir fuhren an der Place de la concorde vor, dann besichtigte ich die Madeleine-Kirche, einen klassizistischen Tempel gewaltigen Ausmaßes. Von außen wirkt die Kirche ganz imposant, im Innern ist sie denkbar kalt. Drei hohe Kuppeln überwölben das Schiff und lassen nur wenig Licht in das Innere. Der Altar besteht aus Marmorfiguren gewaltigen Ausmaßes. Ganz schön ist der Blick, wenn man die Kirche verläßt. Dann sieht man durch die Straße hindurch auf die Place de la concorde und zur Deputiertenkammer hin, die ebenfalls ein klassizistisches Bauwerk ist.
Im übrigen haben wir uns nach Anzugstoffen umgesehen, aber nichts für mich gefunden. Ich wollte gern einen schwarzen, weiß gestreift. Hier kosten 3 m soviel wie bei uns ein einziger. Also es lohnt sich schon. Sonst habe ich nichts Neues gesehen. Gern wollte ich nachmittags nochmal mitfahren, das wurde mir jedoch abgeschlagen, worüber ich sehr verärgert war. Die übrigen Herren sind schon an zwei Nachmittagen bis zum Abend in der Stadt gewesen und haben sich dort amüsiert, während ich hier einhüten durfte. Nun konnte ich wieder nicht mitfahren. Was sie sich allerdings am Sonntag angesehen haben, wäre für mich wohl kaum etwas gewesen. Eine Revue mit Nacktvorführungen und -tänzen gehört wohl nicht zu dem von mir Ersehnten. Als sie am Sonntagabend zurückgekehrt waren, ging ich hinüber, weil ich mir sagte, daß ich auch mal Geselligkeit pflegen müßte. Wir saßen in dem vornehmen chinesischen Zimmer bzw. in dem Separee, das sehr klein und "intim" ist, und tranken bei der matten Beleuchtung einige Flaschen guten Rotspons. Bald kam das Gespräch auf Paris und dann folgten Witze ganz eindeutiger Art. Solange ich Feldwebel war, habe ich dergleichen fast immer aus dem Wege gehen können. Jetzt aber durfte ich mir das alles anhören. Du kannst Dir denken, daß ich mich denkbar unglücklich fühlte in dieser schwülen Atmosphäre, ohne die Möglichkeit, etwas an dem Gespräch ändern zu können. Der Hauptanstifter war der Baron, der fast platzt vor Sinnlichkeit. Er ist zwar verheiratet, aber das legt ihm wohl nicht allzuviel Hemmungen auf. Er ist jetzt so lange hier im Bataillon, wie ich befördert bin, aber in dieser kurzen Zeit ist er schon zu einer sehr gewichtigen Persönlichkeit geworden, während ich eine völlig zu ignorierende Größe bin. Das liegt zum Teil natürlich auch an mir. Gestern sagte mir ein Leutnant, ob ich mich nicht einmal bei den anderen Herren sehen lassen wolle, teilweise sei ich ihnen noch gar nicht bekannt. Da habe ich zweifelsohne einen Fehler begangen. Das kommt aber dadurch, daß ich in meiner Kompanie bei den beiden Offizieren nicht ein kleines bißchen Kameradschaft gefunden habe. Wie ich Dir schon schrieb, gratulierte mir der Chef, indem er mir sagte, daß ich bei ihm nicht so bald befördert wäre, und dann fragte, ob ich denn meine drei Garnituren Uniform noch nicht fertig hätte. Der andere, Leutnant v.P., stellte mich zur Rede, wieso ich mit seinen Leuten Alkohol getrunken hätte trotz seines Verbotes. Das waren die beiden mir am nächsten stehenden Offiziere. Inzwischen habe ich von unserem Adjutanten auch einen ganz gewaltigen Ansch (entschuldige den Ausdruck!) bekommen wegen meiner Vorstellung beim Oberst. Von den übrigen Herren habe ich wenig gemerkt, außer vielleicht von Leutnant Gröhling, einem Junglehrer, der ganz kameradschaftlich ist. Du kannst Dir denken, daß es mich nicht sehr zu den Herren hinzieht und daß ich ein leichtes Grauen habe, wenn ich an Garnisondienst und Kasinoabende denke. Darum bin ich für jeden Tag dankbar, den ich hier zubringen kann.
Als Entschädigung für Paris unternahm ich am Montag nachmittag eine kleine Spritztour nach Chartres, um mir die dortige Kathedrale anzusehen. Ich ließ mich mit dem Krad hinfahren, und zwar mit einer Mordsgeschwindigkeit. Auf den sehr guten französischen Straßen kann man getrost 80 km Geschwindigkeit fahren. Die Fahrt dorthin war ziemlich öde. Die Landschaft ist ja recht eintönig. Es gibt wenig Dörfer, und die wenigen sind recht häßlich. Als wir auf etwa 10 km an Chartres herangekommen waren, sah ich schon die Türme der Kathedrale in der Ferne. Kurz vor der Stadt genossen wir den ersten Blick auf das schöne, an einer Höhe gelegene Bauwerk. Leider sind die Fenster sämtlich entfernt und auch die schönen Portale mit Sandsäcken verbaut, aber doch nicht so sehr, daß ich nicht einige von den berühmten "Säulenheiligen" (s. Hamanns Kunstgeschichte) betrachten konnte. Im Innern wirkt die Kirche öde, weil die Fenster fehlen, aber wunderbar, ja einzigartig sind die Plastiken des Chorumgangs. So etwas Schönes dieser Art habe ich noch nicht gesehen. Das beiliegende Foto gibt nur einen sehr schwachen Eindruck. Etwa 1 1/2 Stunden brauchte ich, um das Ganze der Kathedrale ein wenig in mich aufzunehmen; derweil schlief der Fahrer im Beiwagen. Dann tranken wir noch eine Tasse Kaffee, tankten, was nicht ganz leicht war, und gondelten durch die hübsche Altstadt, die äußerst eng und winklig ist und an manche schöne süddeutsche Stadt erinnert. Prächtig war der Blick über den schmalen Flußlauf hinweg auf die Anhöhe, auf der die Kathedrale und zwei weitere Kirchen oder Kapellen gelegen sind. Außerdem ist der Stein recht freundlich hell, so daß das Stadtbild keinen so düsteren Eindruck macht. Gegen 9 Uhr abends waren wir wieder hier. Inzwischen hatten mein Bursche und die andern vom Zugtrupp das Abendessen gerichtet. Sie hatten schön gedeckt und gekocht. Es gab Rindfleisch, das unseren berühmten Dosen entstammt, aber durch Zusatz von Salz und Pfeffer einen anderen Geschmack erhalten hatte. Dazu junge Kartoffeln, Bohnen- und Gurkensalat und als Nachtisch Johannis- und Himbeeren. Die Bohnen wachsen hier im Garten; sonst ist allerdings nicht viel zu ernten. Das Abendessen war ein recht netter Abschluß dieses ereignisreichen Tages.
Nun kenne ich doch drei von den bekannten französischen Kathedralen: Amiens, Paris und Chartres. Vielleicht kommt noch mal eine andere hinzu. Das richtet sich nach der Dauer unseres hiesigen Aufenthaltes, die hoffentlich noch recht lange ist aus den obengenannten Gründen.
Gleich geht ein Fahrzeug nach Stendal, um unsere Post zu holen. Danach zu urteilen, rechnen unsere Vorgesetzten doch wohl noch mit einem längeren Aufenthalt. Hoffentlich erhalte ich auf diese Weise endlich mal wieder eine gute Nachricht von Dir. Weißt Du, daß am 20. bzw. 24. dieses Monats meine Eltern Geburtstag haben? Wie gern würde ich Dir jetzt mal meine kleinen Mitbringsel überreichen. Hast Du irgendwelche Wünsche? Es können auch größere sein. Schreib sie doch bitte. Vielleicht kann ich Dir etwas besorgen.
Mit recht, recht innigen Grüßen
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top