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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 13.07.1940 (3.2002.0985)

 

den 13.7.1940



Meine geliebte Ursula!

Nun ist es doch noch was geworden, was ich mir so sehnlichst gewünscht hatte. Ich war in der Stadt! Das kam so: vor einigen Tagen war ich mit dem Baron in V, wie ich Dir in meinem letzten Brief erzählte, den ich vorhin zur Post gab. Dort fuhr er zu einer ihm bekannten Dienststelle, um sich einen Ausweis für P. geben zu lassen. Wir gingen in ein großes vornehmes Hotel, das als Offizierskasino dient. Dort traf er einige Herren beim Essen, unter ihnen übrigens auch einen Heerespfarrer, der es sich ganz gut sein ließ. Die ganze Umgebung wirkte natürlich wenig pastoral, doch das nur nebenbei! Dort richtete der Baron nichts aus, so daß ich schon unkte und mich im stillen über die Dreistigkeit des jungen Leutnants wunderte. Am nächsten Tage fuhr er wieder dorthin, und diesmal schaffte er es! Gestern fuhren nun 3 Herren nach P, heute früh ließ ich mir berichten, und nun hatte ich natürlich auch keine Ruhe mehr. Nach dem Exerzieren ging ich zum Baron, der noch mit sehr großem Kater auf dem Diwan in dem vornehmen chinesisch eingerichteten Hause lag. Zunächst war das Erwachen für ihn ein wenig schwer, aber allmählich brachte er doch soviel heraus, daß er zwei Ausweise hätte und daß ich vielleicht der Anwärter für den einen wäre. Mit dieser Nachricht zog ich in mein Quartier zurück. Nach dem eintönigen Mittagessen versuchte ich zu schlafen, doch es gelang nicht recht. Dann zog ich wieder zum Baron und erfuhr, daß er versuchen wollte, mit einem großen Wagen zu siebt nach P zu kommen. Nachdem er seine Arbeiten erledigt hatte, fuhren wir gegen ? 5 Uhr ab. Die Überwindung der Kontrolle an der Sandsacksperre gelang sehr gut. Wir fuhren dann zu dem nahe gelegenen "Arc de triomphe" und weiter die Elysees entlang zur "Place de la concorde".
Dort bogen wir links ein und fuhren nun einige Boulevards entlang. Unterwegs kaufte ich mir noch zwei billige Sporthemden und Nachthemden, dann bogen wir ein in eine Seitenstraße, und ehe wir's uns versahen, wurde aus der Besichtigungsfahrt eine Einkaufsreise. Was ich dort gekauft habe, wirst Du hoffentlich bald sehen können. Für Dich war auch eine hübsche Kleinigkeit dabei. Dann besorgte ich mir noch in einem Kaufhause einen Bademantel, den ich natürlich sofort in Betrieb genommen habe. Damit schloß ich den Reigen der umfangreichen Einkäufe. Du glaubst ja gar nicht, in welch einen wahren Kaufrausch man hier kommt, wenn man all die guten Sachen liegen sieht für einen zwar nicht billigen, aber doch, an uns gemessen, mäßigen Preis. Jetzt ärgere ich mich schon wüst, daß ich mein Bekleidungsgeld wieder abgegeben habe. Aber vielleicht ist es gut so, sonst hätte ich mich zu sehr mit allem Möglichen und Unmöglichen beladen.
Doch nun zurück nach P: Ich hatte nun genug gekauft und wünschte jetzt, noch ein wenig von der Stadt zu sehen. Mein größter Wunsch war, "Notre Dame" zu sehen. So fuhren wir denn an den Tuilerien, einem sehr gepflegten Park, vorbei. Vor dem Louvre machten wir halt für eine Aufnahme und dann ging es also endgültig nach Notre Dame. Leider ist die Kirche nicht geöffnet gewesen. Aber auch so habe ich von dem Äußeren einen sehr starken Eindruck empfangen. Du glaubst nicht, welch ein Glücksgefühl mich überkam, als ich die Kirche von allen Seiten eingehend besah. Der Baron hatte wohl nicht so großes Interesse daran, aber ich ließ mir Zeit, und ein vernünftiger Unteroffizier, ein Abiturient, kam mit mir. So sah ich doch dies herrliche Gebäude von allen Seiten. Du kennst die Kirche von Bildern zur Genüge. Sie liegt auf der Seine-Insel und entspricht also etwa dem Berliner Dom. Sie ist ein Werk der Frühgotik, noch stark gegliedert. Sehr fein ist das Hauptportal, dem Wesen der Romantik entsprechend, zeigt es Christus als den Weltenrichter, unter ihm zur Rechten die Verdammten in der Gewalt des Teufels und zur Linken die Seligen, darunter die Auferstehung der Toten. Ein sehr feines, reifes Werk. Ganz besonders schön ist auch die Rosette, mit einer Marienfigur, wenn ich mich recht entsinne. Die Türme sind gedrungen und wohl unvollendet, jedenfalls ragen sie nicht viel über das Mittelschiff hinaus.

14.7.40
Sehr wuchtig und fast gedrungen wirkt der Ostchor, wie ja überhaupt die Horizontale noch stark betont ist, etwa im Gegensatz zu dem späteren Kölner Dom – und übereinstimmend mit Amiens und Straßburg. Der Stein ist recht dunkel, fast schwarz. So wirkte die Kathedrale etwas düster, zumal bei dem gestrigen trüben, zum Regen neigenden Wetter. Insofern ist ja die Kathedrale von Amiens schöner, der Stein ist hell und leuchtend. Aber vielleicht wirkt Notre Dame auch freundlicher bei Sonnenwetter. Hoffentlich sind meine zahlreichen Aufnahmen wenigstens etwas geworden; denn jetzt kann ich ja knipsen, habe ich doch außer von Dir noch von Foto-Lange und von einem Kameraden je zwei Filme. Schade ist es nur, daß ich sie nicht viel früher gehabt habe.
Nachdem wir Notre Dame gesehen haben, ging ich zur Sorbonne und weiter zum Invalidendom. Dort wollten wir das Grab Napoleons besichtigen, doch leider ging das nicht, da unser Ausweis uns nicht zu solcher Rundfahrt berechtigte und wir froh sein konnten, einer Verhaftung zu entgehen. Das war vielleicht ja etwas übertrieben, aber man nimmt es hier ja sehr genau damit. Das hindert natürlich nicht, daß hier in der Innenstadt alles wimmelt von Offizieren; vom jüngsten Leutnant bis zum General ist alles vertreten. Kurz und gut: wir kamen nicht hinein und beendeten nun bald unsere Rundfahrt, indem wir noch am Eiffelturm einen kurzen Halt machten und dann, am Arc de triomphe vorbei, heimfuhren. Hier wartete mein Bursche schon mit Bratkartoffeln auf mich. Wir aßen dann zusammen, aber mein Appetit war, wie meist jetzt, sehr gering. Infolge der Eintönigkeit des Essens: mittags Reissuppe, Nudelsuppe oder Graupen, abends Weißbrot und Rindfleisch bzw. Rotwurst aus Dosen – ist mein Appetit oftmals sehr gering. Das hindert mich natürlich nicht, frisch und blühend auszusehen. Im Anschluß an das Abendessen stieg ich in das Bad, das Angelis, mein Bursche, mir gerichtet hatte. Solch ein heißes Bad ist doch eine große Wohltat. Dann stieg ich wieder in meinen Bademantel und legte mich, mit einem neuen Nachthemd bekleidet, auf mein Lager. Das ist zwar nicht sehr komfortabel, aber mir sind unsere Wolldecken doch lieber als die Steppdecken, die wir hier vorfanden, weiß man doch nie, wer vorher in ihnen gelegen. Heute, Sonntag früh, wachte ich plötzlich auf, als die Melodie "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" erklang, gespielt von unserer Regimentskapelle. Das war ein schöner Beginn des Sonntags. Ich nahm mir dazu meine Bibel und las den dazugehörigen 19. Psalm. Leider war das alles, was ich heute vom Sonntag als Feiertag gespürt habe. Alsbald kam ein Unteroffizier, um mich zu besuchen. Wir unterhielten uns sehr nett, bis ich mich endlich erhob. Nun machte ich in aller Ruhe im Badezimmer Toilette, um mich dann an den gedeckten Kaffeetisch zu setzen. Die Jungs hatten guten Kaffee gekocht, der ausgezeichnet schmeckte.
Inzwischen war es fast Mittag geworden, also Zeit, mal etwas auszugehen. So ging ich mal zum Kompanietrupp hinüber. Dort saß der Leutnant Gröhling, ein Lehrer, beim Skat: ich legte einige Grammofonplatten auf und wälzte mich auf den Diwanen – oder wie man sonst diese orientalischen Sachen nennt. Währenddessen war mein Bursche mit einigen Kameraden eifrig am Werk, das Mittagessen zu bereiten. Es wurden junge Kartoffeln geschrabt, Gurken- und grüner Salat bereitet und schließlich das Rindfleisch aus zwei Dosen durch Zusatz von Pfeffer und Salz schmackhaft gemacht. Außerdem gab es als Nachtisch Reineclauden, die wir als Verpflegung empfangen hatten. Beim Essen konnte ich es mir nicht nehmen lassen, ein Tischgebet zu sprechen. Wenigstens durch solche Kleinigkeiten muß man doch seine christliche Haltung dokumentieren. Nach dem Essen gab es noch eine Tasse Kaffee, und dann legte ich mich schlafen. Inzwischen machten die Jungs das Geschirr wieder sauber und bereiteten den Kaffee vor, sogar in einem Karlsbader Filter. Dazu aßen wir Weißbrot mit Butter in Ermangelung eines Besseren. Dabei entspann sich eine Unterhaltung, die sogar religiöse Fragen streifte, wenn auch nicht sehr tiefgehend. Vielleicht kann man doch ein ganz klein wenig dadurch wirken, auch wenn es nur zwei Mann sind, mit denen man ins Gespräch kommt. Jetzt ist es Sonntag abend geworden. Ich habe leider unsere Unterkunft nicht verlassen können, da die 3 anderen Offiziere nach P gefahren sind. Wie mir versprochen wurde, darf ich nun morgen fahren. Hoffentlich wird etwas daraus. Das Wetter ist wieder so herrlich, daß ich es bedaure, nicht meine Spritztour habe machen zu können, die ich mir so schön ausdachte. Sie sollte mich nach Chartres führen, wo die berühmte Kathedrale steht.
Nun muß ich schließen. Wie ich höre, geht täglich Post fort, und zwar per Flugzeug. Da besteht ja die Möglichkeit, daß Du von mir laufend Nachricht erhältst. Wir bekommen keine Post, so daß Deine beiden Briefe das einzige Lebenszeichen von Dir auch weiterhin bleiben werden.
Recht innige Grüße, meine liebe Frau!
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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