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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 02.09.1941 (3.2002.0985)

 

Nr.43

den 2. Sept. 1941



Meine geliebte Ursula!

Heute vor zwei Jahren kamen wir in Rhode an. Es wird Dir auch so gehen, daß Deine Gedanken oft um zwei Jahre zurückgehen. Damals glaubten wir schon nach kurzer Zeit, daß das Ende des Krieges bevorstünde. Inzwischen haben wir Feldzüge nach allen Himmelsrichtungen geschlagen und stehen nun, nach einer Wendung um 360 Grad, wieder im Osten. Ich bin ja nach wie vor der Ansicht, daß für uns dieser Feldzug in 4, allerhöchstens in 6 Wochen zu Ende ist. Bis dahin müssen wir die wichtigsten Ziele: Petersburg, Moskau und das Donezbecken - erreicht haben, so- daß die Masse der russischen Armee damit vernichtet ist. Ich könnte mir denken, daß man uns dann erst einmal in die Heimat sendet - zur Ergänzung und Auffrischung wird das doch wohl nötig sein. Die Hauptsache ist nur, daß das Wetter uns einen günstigen Abschluß des Feldzuges erlaubt. So etwa sehe ich die Dinge an. Was dann weiter werden wird, vermag man ja kaum einmal zu vermuten.
Am Sonnabend erschien abends ein Major vom Flakkorps hier bei uns. Er bekam erst einmal etwas zu essen; dann packte er eine Flasche frz. Cognaks aus, bei der wir bis 1/2 3 Uhr nachts mehr oder minder tiefe Gespräche führten. Der Major ist alter Kämpfer, im übrigen ein Wirtschaftsmann aus München, jetzt als Reservist wieder Soldat. Seine Ansichten waren sehr nüchtern. Leute wie Geffers müssen nach seiner Ansicht völlig verschwinden, und ihr ganzer Verein ebenfalls. Wie gesagt, es war ganz interessant, mal solch einen Mann reden zu hören. Es gibt ja, gerade was den Krieg und seinen Ausgang betrifft, 2 Gruppen von Menschen: die einen sehen sich die Lage an, betrachten die militärischen und wirtschaftlichen Kräfte, wägen sie ab und folgern daraus die sich ergebenden Möglichkeiten, nüchtern und sachlich ohne Sentimentalität, die anderen erklären sich für inkompetent und überlassen alles der genialen Leitung unseres Führers, ihm billigen sie zu, daß er alles vorausberechnet und jede Möglichkeit erwogen hat, so daß kein Zwischenfall seinen unbedingt auf den Sieg zusteuernden Plan zu durchkreuzen vermag. Diese letzteren interessiert daher viel mehr die Zeit nach Kriegsende. Sie sehen in der Ukraine eine deutsche Verwaltung und deutsche Wirtschaftler, vielleicht auch Siedler. Rußland ist gänzlich von der Ostsee verdrängt und die baltischen Staaten sind Protektorate geworden. Bei einer Flasche Cognak läßt sich in dieser Beziehung also manches erzählen. Entscheidend wird natürlich auch in diesem Kriege die Stimmung in der Heimat sein. Darum war es wohl nicht von ohngefähr, daß in einer Frontzeitung jetzt darauf hingewiesen wurde, welche Bedeutung den Feldpostbriefen zukommt, da durch diese in der Heimat neuer Auftrieb und Zuversicht gegeben werden müßten. Das kann ich mit sehr gut vorstellen.
Weißt Du, dieser Krieg wird ja durch eines besonders erschwert: sowohl in Rußland wie in England/Amerika geht es nicht nur um Gebietsabtretungen und Wirtschaftsfragen, diese könnten durch militärische Erfolge oder Verhandlungen erzwungen oder erreicht werden. In diesem Krieg geht es jedoch darum, daß jeder das Regierungssystem im Gegenland vernichten will. Wir wollen den Bolschewismus und Stalin beseitigen, ebenso den weltbeherrschenden Kapitalismus und Churchill, jene den Nationalismus und unseren Führer. Darum ist hier wie dort ein Kapitulieren unmöglich, selbst wenn Stalin nach Sibirien und Churchill nach Kanada gehen soll. Beide Parteien müssen also auf die völlige Vernichtung des anderen bedacht sein oder sie müssen ihr eigentliches Kriegsziel aufgeben. Letzteres könnte natürlich nur dann der Fall sein, wenn beide erschöpft und am Ende ihrer Kräfte einsähen, daß sie doch den Sieg nicht erringen könnten. Doch nun genug davon! Als Du diesen ausführlichen Brief sahst, hast Du Dich sicher gefreut. Jetzt bist Du enttäuscht über den Inhalt. Aber erlebt habe ich ja auch herzlich wenig. Am Sonntag früh haben wir hier sehr lange Gespräche geführt. Zunächst kam die Bevölkerungspolitik, ein unerschöpfliches Thema. Ich bin auf diesem Gebiet natürlich skeptisch, da sich die Zwei-Kinder-Ehe doch schon zu sehr eingebürgert hat. Es ist ja seltsam, wenn man mal ältere Soldaten nach ihrer Familie fragt. Im allgemeinen erzählen sie, daß sie zwei Kinder haben, und fügen dann hinzu: Damit ist es aber auch Schluß! Mitunter sagen sie dann, daß auch das zweite schon ungewollt gekommen sei. Unser guter Amtsgerichtsrat vertrat nun die Ansicht, das sei Erziehungssache und würde sich in unserem Volke bald ändern.
Nachher kamen wir auf die Kirchenfrage und auf den Katholizismus zu sprechen. Für letzteren haben die meisten ja gar kein Verständnis.- Nach dem Essen hoffte ich, recht lange zu schlafen, um das Versäumte nachzuholen, doch da hieß es, ich müßte sofort zum Korps fahren. So machte ich mich denn fertig, ließ mir noch eine Impfspritze verpassen und fuhr dann mit hochbeladenem Wagen in Richtung Dn. Unterwegs hatten wir noch mal eine Panne, erst gegen 1/2 10 kamen wir beim Korps an. Da gab ich alles ab, dann bekam ich im Casino noch zu essen, u.a. ein Stück Melone, das ich wegen meines Darmes wohl besser nicht gegessen hätte. Inzwischen war dort für den Fahrer und mich Stroh aufgeschüttet worden, doch an Einschlafen konnte ich vorläufig noch nicht denken, da ich wohl vom Impfen etwas Fieber hatte. Wir kamen auf die Heimat zu sprechen, dann erzählte der Fahrer von seiner Freundin, er wüßte nur nicht, ob sie ihm treu wäre. Dabei ist sie erst 17 Jahre alt. Jedenfalls ist er mißtrauisch, und zum Schluß sagte er, ob ich bei Dir so ganz ruhig gewesen sein würde, worauf ich ihm mit einem einfachen "ja" antwortete. Aber an sich liegt das in der Natur der Sache. Er hat sich natürlich noch nicht gebunden und wird auch eine andere nehmen, wenn sich etwas Besseres findet. So geht es ja sehr vielen, bis sie dann entweder nichts anderes finden oder heiraten müssen. Am anderen Morgen ging es schon um 4.15 Uhr raus, da wir etwas Wichtiges zurückzubringen hatten. Mit leerem Magen und in Unordnung geratenen Därmen fuhr sich' s natürlich nicht gut auf den entsetzlichen Straßen. Die von uns befahrene verbindet ein Bergbaugebiet mit dem Kohlenrevier über eine ? - Millionen - Stadt, ist jedoch ohne jedes Pflaster. Daneben ist eine neue im Bau, die jedoch nur eine Kopfsteindecke tragen wird. So primitiv ist Rußland heute noch! Als ich hier ankam, ging ich zum Duschen und legte mich schlafen. Im übrigen lebe ich jetzt "vornehm", d.h. ich esse wie ein Spatz. Morgens und Abends eine Scheibe Weißbrot und vielleicht 2 weich gekochte Eier. Unsere Darmgeschichten kommen sicherlich von den vielen Fliegen, die geradezu eine Plage sind. Denn sonst sehen wir uns mit dem Essen doch ungeheuer vor, aber ohne Erfolg. Ich habe noch eine Tafel Schoko, die sicher gut zum "Stopfen" wäre, augenblicklich habe ich selbst darauf keinen Appetit. "Vornehmes Leben"!
Mein Lieb, hoffentlich bist Du mir ob meiner Ergüsse nicht böse! In Ermangelung anderer Erlebnisse wußte ich nichts Besseres zu schreiben.
Schreibst Du auch eifrig an die hiesige Feldpost-Nummer?
Recht, recht innigen Gruß

Dein Heinz

 

 



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