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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 18.06.1940 (3.2002.0985)

 

den 18.6.1940



Meine geliebte Ursula!

Wann ich Dir zuletzt geschrieben, weiß ich nicht. Ich glaube, es war irgendwo an einem Straßenrand in der Gegend von Troyes. Seitdem haben wir viele, viele Kilometer zurückgelegt, zumeist auf staubigen Feldwegen. Daß das oftmals kein Vergnügen war, kannst Du vielleicht ahnen. Die Haut brannte und war rissig und schorfig von Dreck und Sonnenbrand. Von oben bis unten war alles ein Schmutz. Unsere Fahrt von Troyes aus endete auf einer Weide auf einer Höhe. Wir tarnten, wie üblich, die Fahrzeuge und hofften, endlich einmal Nachtruhe zu erhalten. Dann wurden noch Waffen gereinigt und der Versuch gemacht, Nachrichten zu hören. Ich schrieb schnell noch einige Zeilen nach Hause – aber schon wurde zum Weitermarsch gerufen. Nun ging es weiter. Man schlief auf dem Fahrzeug, so gut es ging. Es ging auf tollen Wegen bergauf, immer höher, an Büschen vorbei, so daß man sich sehr in acht nehmen mußte. Dann wurden wir auf einer Höhe ausgeladen. Schanzzeug sollte unbedingt mitgenommen werden: ich träumte schon etwas von Verteidigung und hartem Kampf. Kaum waren wir oben angekommen, da wurde ich mit 2 Mann als Spähtrupp losgeschickt, um Verbindung mit der SS aufzunehmen, die links von uns liegen sollte. Wir zogen also los. Man hörte gelegentlich eine S.M.G. in der Ferne, sonst war alles ruhig. Wir gingen über die freie Fläche und auf den Wald zu, der wie überall hier restlos ungepflegt und undurchdringlich war. Ich ging mit der Pistole in der Hand voran. Wir sollten an einen Bahnkörper stoßen und dann über ihn hinüber zu einem Kanal vordringen. Die Bahnstrecke war bald gefunden, die Signallampen brannten sogar, da die Strecke vor Tagen noch befahren wurde. Die sehr steilen Böschungen wurden mit viel Krach bestiegen, und dann ging es über eine Wiese. Man glaubt ja immer, allerhand zu sehen bei solchen Gelegenheiten. Außer dem unruhigen Vieh haben wir also nichts entdecken können, auch die SS nicht. Schwierig war es nun, den Rückweg zu finden. Bald waren wir wieder auf unserem Berghang, aber der Zug war nicht zu finden. Wir stapften durch das nasse Gras und hohe Korn; bis über die Knie wurden wir völlig durchnäßt. Recht, recht lange irrten wir umher. Es wurde heller, und wohl nach einstündigem Suchen fanden wir den Zugtrupp an einer Böschung in der Nähe der Bahn. Nach meiner Meldung zog ich erst mal die Stiefel aus, goß das Wasser aus ihnen aus und wrang die Stümpfe aus. Dann aß ich Weißbrot mit Sardinen, die wir in unheimlichen Mengen haben, und nahm einen Schluck Curaçao, den ich seit Valenciennes für besondere Fälle in meiner Tasche trug. Inzwischen hatten einige Leute Kühe gemolken, so gab es denn frische Milch. Gegen 6 Uhr rückten wir ab, doch bald waren wir wieder da, weil die Ablösung nicht gekommen war. Nun nahm ich die Gelegenheit wahr, mich zu rasieren, und zwar mit Kaffee aus der Feldflasche, weil ich kein Wasser hatte. Das war sehr primitiv, das Gesicht brannte scheußlich, aber es ging doch. Ich hatte das Gefühl, ein wenig sauberer zu sein. Gegen Mittag ging es wiederum auf Fahrt, die Sonne war zum Glück verschwunden, so daß man nur den Staub hatte. Nachmittags kamen wir durch einen schönen Ort, eine "Stadt auf dem Berge". Ich mußte an "Adelheid" denken, die wohl einst hier durch ihre Lande geritten ist. In der Nähe dieser Stadt erreichte uns plötzlich die Nachricht "Frankreich hat kapituliert"! Große Freude! In den Ortschaften waren überall die Bewohner geblieben, teilweise winkten sie uns sogar zu. Kurz darauf kamen dann die Scharen von französischen Soldaten, ohne Waffen, ein geschlagenes Heer. Die meisten waren sehr vergnügt. "La guerre fini!". Nur wenige machten einen niedergeschlagenen Eindruck. Unter den Soldaten waren Araber mit Turban und Fez, viele Neger und andere Farbige. Einige kamen vergnügt auf Wagen angerollt, andere auf Fahrzeugen, manche waren betrunken. Trotz des Regens hatten wir eine ausgezeichnete Stimmung, vermehrt durch eine kleine Flasche Rotwein, die unser Leutnant bewilligt hatte. Sonst dürfen wir ja sehr wenig Wein trinken. Die Landschaft hier ist wunderschön, sehr bergig, teilweise mit Wein bestanden, oben Laubwald auf den Höhen. Als es schon stark dämmrig war, kamen wir in diesen kleinen Flecken. Er ist ebenfalls schön gelegen, aber auch wie all diese Ortschaften in nicht gerade sehr gutem Zustand. Die Häuser in den Dörfern hier sind meist aus einfachem Bruchstein, schmal geschnitten und übereinander geschichtet. Es fehlt auch die Farbe. Heute nacht haben wir sogar ein Dach überm Kopf gehabt. Wir haben die Stuben in einem Hause geleert und uns da hineingelegt. Leider war die Nacht nicht sehr lang, da wir schon früh wieder Alarmzustand hatten. Nun ist es schon bald Mittag und wir sind immer noch hier. Endlich konnte ich mich heute morgen mal waschen, Kopf und Oberkörper. Frisch rasiert bin ich auch. Dann habe ich mein "organisiertes" Hemd über einen Zaun weggeworfen und ein frisches angezogen. Mitnehmen kann man ja nichts. Heute ist schon Kaffee, Talg und manches andere über Bord gewandert. Es ist ein Jammer, was alles umkommt. Gestern abend haben wir noch mit der Taschenlampe Erdbeeren gesucht und gefunden. Leider kann ich Dir keinen Kaffee schicken, da nichts angenommen wird. Wir bekommen hier im Herzen Frankreichs natürlich gar keine Post.
Mit recht herzlichen, innigen Grüßen
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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