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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 29.09.1941 (3.2002.0985)

 

Nr.18

29.6.1941



Meine geliebte Ursula!

Es ist jetzt gerade 10 Uhr am Sonntagmorgen. Da sitzt Du sicher in der Kirche und wirst auch meiner gedenken. So finden sich also unsere Gedanken, indem wir einander vor Gott gedenken. Soeben las ich den heutigen Text und habe also ein klein wenig Gottesdienst gehalten. Das ist allerdings nicht ganz leicht, da es hier recht unruhig ist. Es ist solch schöner Sonnentag – und doch! Welch schweres Erleben ist solcher Feldzug! Ich stand gestern ganz unter dem Eindruck des Gehörten, sodaß ich recht niederschlagen war. Auch jetzt vermag ich Dir kaum alles zu schildern. Aber Du bekommst ja doch vorläufig keine Post, da die Feldpost bei diesem Tempo einfach nicht mitkommen kann. Das darf Dich nicht beirren, mein Lieb. Du weißt, daß ich Dich herzlich liebhabe, daß meine Gedanken sehr oft bei Dir sind, das alles muß Dich trösten, wenn Du so sehr selten von mir Post bekommst. Ich habe seit Landsberg nichts von Dir gehört. Vielleicht erfahre ich nachher etwas, wenn ich zur nächsten Kompanie fahre. Aber diese schwierigen Verhältnisse sind gewiß leicht gegen das, was andere erleben. Ich habe ja so unendlich viel Grund, dankbar zu sein. Und Du damit auch!
Doch nun will ich der Reihe nach erzählen: Zuletzt schrieb ich Dir aus der Nähe der Stadt LZ.. Dort lagen wir zwei Nächte. Tagsüber war ich eifrig unterwegs. Graf Münster hat stets Aufträge für mich. Ich juckle dann mit dem Solokrad durch das Gelände, der Soziussitz ist so unbequem, daß ich mich anfangs blutig gefahren habe. Andere machen dasselbe beim Reiten! Vorgestern hatte ich einen Weg für die Kolonnen zu erkunden, danach führte ich diese vor. Aber da es zu früh dunkel wurde, mußten wir unterwegs halt machen. Des öfteren beschossen die Russen die Stadt L. mit Bombern und Artillerie, nachts sah man dann die Brände weithin leuchten. Sobald die Flieger erschienen, setzte Flak-Feuer ein, aber ihre Bomben warfen sie doch ab. Dort bei L. traf ich auch viele Bekannte von meiner Einheit. Einmal begegnete mir Feuerstak mit zwei Postsäcken, die ich leider vergebens durchsuchte. Wenn man den Kradmantel anhat und dann der Hitze ausgesetzt ist, kannst Du Dir denken, wie sehr man alles durchschwitzt. Gestern früh fuhr ich mit Hauptmann Graf Münster auf dem von mir erkundeten Wege. An der Brücke über den St. stockte der Verkehr. Schließlich schleuste aber doch alles hinüber. An der Brücke unten lagen zwei ausgebrannte Fahrzeuge mit einigen noch erkennbaren russischen Leichen, teilweise waren sie verbrannt, andere vollständig. Sie hatten sich in den Besitz der Brücke setzen wollen und waren abgeschossen. Jetzt kohlte es noch etwas, im übrigen gingen zahllose Nachschubkolonnen hinüber, und die Kriegsmaschine rollte weiter. Es ging dann über sandige Feldwege, wo wir auf gut Glück nach der Sonne und einer schlechten Karte Anschluß mit dem Divisionsstab suchten und fanden. Ich fuhr nochmals zurück, unterwegs sah man die Spuren der Kämpfe, etliche stinkende Pferde und Russen, einige Panzer und ein Dutzend deutsche Soldatengräber. Auf der Vormarschstraße war es recht lebhaft, über uns etliche russische Bomber, die ihre Bomben fallenließen, aber grundsätzlich nichts trafen. Vorn beim Divisionsstab war lebhafter Verkehr, gleichzeitig gab es einen Sandsturm als Vorboten eines nahenden Gewitters. Als wir in einigen Gehöften unterzogen, verließen die Einwohner mit einem Bündel bepackt ihre Anwesen. Gegen Abend fuhr ich mit einem Zahlmeister nach R. hinein. Ein entsetzliches Bild ist solch eine genommene Stadt. Unabsehbar gingen die Fahrzeugkolonnen hindurch, im Zentrum sind sehr viele Häuser völlig zerstört von unseren Fliegern oder ausgebrannt. Die Läden – ich bin unterbrochen durch Flakfeuer: Russische Bomber erscheinen, ein deutscher Jäger jagt ihm nach, wieder ein Russe weniger. Leider konnte ich den Abschuß nicht sehen – haben ihre Fenster und Türen versperrt, doch in den meisten ist schon ein Eingang ins Innere gefunden, alles ist durchsucht und liegt umher. Die nicht geflohene arme Bevölkerung sucht ihre Beute und zieht mit Bündeln beladen in ihre Quartiere. Wir fuhren zunächst zum Bahnhof, der sehr stark mitgenommen ist, während einige Wagen noch brannten. Dort fanden wir ein Lager mit Eiern, Tomatenmark und Mineralwasser. Sonst ist sehr wenig zu finden. Während wir noch mehr suchten, traf ich verschiedene Leute meiner Kompanie. Sie erzählten von den Kämpfen: zwei Unteroffiziere gefallen, Feldwebel Haase und andere verwundet. Ein frischgebackener Feldwebel meines Zuges ist auch tot. Du glaubst nicht, wie nahe mir das geht. Ringsum Trümmer, ausgeraubte Häuser, Gesindel und dann noch diese Nachrichten. Die Jungs haben teilweise Schweres mitgemacht. Ich will gleich mal zu ihnen fahren. Sie liegen wie wir alle heute hier in Ruhe. Augenblicklich ist lebhafte Lufttätigkeit. Jetzt sind unsere Flieger da und werden wohl aufräumen. Gestern abend habe ich auch Beute gemacht. Wir suchten ein passendes Quartier für uns zum Unterziehen und kamen an eine Gärtnerei. Dort standen duftende Begonien und Rosen. Eine von ihnen nahm ich mir. Sonst mag ich nichts sehen. Anders als im Westen ekelt es mich hier an. Ich weiß nicht, woran das liegt. Ich hoffe, daß in 14 bis 20 Tagen Moskau erreicht ist – allerdings nicht von uns – und damit dieser unselige Feldzug beendet ist. Die Russen haben in unserm Abschnitt sehr viele Panzer verloren, aber zur eigentlichen Flucht ist es noch nicht gekommen. Jetzt verhalten wir, da wir wohl zu rasch vorgestoßen sind. Höhere Taktik! Natürlich genießt man diese Atempause. Ich sitze zwar primitiv auf dem Boden im Kasernenbereich, aber ich habe mich doch mit Ruhe rasieren können, habe meine gefärbte Leinenjacke an und höre zwischendurch die ersten Sondermeldungen. Vorhin lernte ich den General kennen. Er erzählte von dem blumenreichen Empfang durch die Bevölkerung. Ich habe bisher nur einmal einen Triumphbogen gesehen, den man uns errichtet hat. Aber wenn wir erst weiter vorgestoßen sind, wird sich das ja noch steigern. Die Sowjets sollen zahlreiche Ukrainer umgebracht haben, wie 1919! Darum wird jeder gefangene Funktionär erschossen. Hoffentlich kommt hier eine gerechte Ordnung. Möge Gott dem Lande helfen! Über die innere Lage Rußlands habe ich bisher nur sehr wenig erfahren. Heute morgen besorgte ich für Vater – wieder sind die Russen da, und die Flak antwortet – ich besorgte für Vater einige Marken.
Mein Lieb, ich habe es sehr gut, wenn ich auch oft unterwegs bin und wenig Schlaf kriege. Denk aber ab und zu an mich, aber ohne sorgende Gedanken. Das hast Du nicht nötig, es wäre undankbar. Außerdem weißt Du, wer Dich so sehr liebhat und jetzt Deiner von Herzen gedenkt. Es ist
Dein Heinz

 

 



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