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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 12.02.1941 (3.2002.0985)

 

Pl, den 12.2.1941



Meine geliebte Ursula!

Dies wird sicherlich wieder ein längerer Bericht werden; denn in diesen Tagen habe ich doch wieder allerlei erlebt. Inzwischen hast Du sicherlich meinen Wiener Brief erhalten. Am Sonntag gegen Mitternacht ging ich in unseren Rumänienzug. Da traf ich Oberleutnant Kochius. Er überlegte, ob wir I. oder II. Kl. fahren sollten, entschied sich dann für Letzteres. Unsere Hauptsorge galt dann dem, ob wir noch mehr Abteilgäste bekommen würden oder nicht.
Ich machte mich bald lang, das Licht wurde gelöscht, doch kurz vor Abfahrt des Zuges kam doch noch einer zu uns. Ich schlief bald ein, doch das Vergnügen währte nicht lange, da Wanzen mich aufweckten. So mußte ich mich dann erheben und sitzend weiterschlafen. Als ich morgens aufwachte, fuhren wir durch eine etwas bergige Landschaft, die teilweise noch gut verschneit war. Es war klares Wetter und versprach, ein schöner Tag zu werden. Ich besah mir nun ein wenig unseren Reisebegleiter und entdeckte, daß es einer von der Propagandakompanie war. Bald kamen wir ins Gespräch, er wußte recht viel Interessantes zu erzählen. Unter anderem hatte er den Mörder des Majors Döhring mit vernommen. Sehr lange stritten sich um diesen die Staatspolizei und die Legionärspolizei. Die erste wollte ihn gerne haben, um ihn – das war seine Ansicht – recht bald hinzurichten, damit er mundtot wäre; denn in der Staatspolizei seien manche Spitzel des Secret Service, wie auch hohe Generale durchaus antideutsch seien. Er schilderte Bukarest als ziemlichen Hexenkessel, in dem sich zahlreiche dunkle Elemente herumtrieben. Die Stimmung der vielen Reichen, hohen Offiziere und Intellektuellen sei durchaus ablehnend, so daß man ordentlich einen Schauder bekommen konnte, aber nun ist es mir ja nicht vergönnt, dies Treiben dort kennenzulernen. Wir sprachen dann auch allgemein über die politische Lage und die Bedeutung der italienischen Niederlagen in Afrika und im Mittelmeer. Daß die italienische Flotte in ihren eigenen Häfen von den Engländern zusammengeschossen sei, war mir auch neu. Selbstverständlich hat dadurch das Ansehen der „Achse“ in Jugoslawien und Bulgarien eine gewisse Einbuße erfahren. Über Bulgarien kann ich mir ja überhaupt noch kein klares Bild machen. Es soll ja sehr rußlandfreundlich sein. Aber über nähere Äußerungen, die das Verhältnis zu Deutschland betreffen, kann ich mich natürlich nicht auslassen, wenngleich zu mir ja auch letzten Endes nur ein Privatmann gesprochen hat. Er kennt sowohl Rumänien wie auch Rußland aus eigenem Erleben. 6 Jahre war er in Jassy und eine Zeitlang in Rußland bis zum Ural. Beide Sprachen kennt er gut, so daß er als Dolmetscher bei der Heeresmission sehr viel erfährt. Den Russen traute er nicht soviel zu, da ihnen die Fachleute fehlten. Kleine Motordefekte setzten eine Maschine, Traktor oder Tank einfach außer Gefecht, so daß auch die guten motorisierten Kerntruppen nicht zu überschätzen sind. In Rumänien hat er eine längere Zeit in Haft gesessen und die oft mittelalterlichen – und doch so modernen Foltermethoden kennengelernt, die bis zu einem gewissen Grade wohl auch bei dem Döhring-Mörder Anwendung fanden. Die von mir geäußerten Ansichten über politische bzw. militärische Pläne wies er als utopisch ab. Interessant war mir, daß Irene Kleefeld jetzt wohl deutsche Truppen begrüßen könnte, wenn sie nicht ihren Wohnsitz verlegt hätte. Auch ein Witz der Weltgeschichte! Am wertvollsten waren mir die Gedanken über das Ergebnis des Krieges. Sobald die Plutokraten bzw. Kapitalisten in Europa und vor allem in England beseitigt wären, bräche eine Epoche der sozialen Gerechtigkeit an, auch hier in Rumänien. Die Hebung der Arbeiterschaft würde eine Aussöhnung mit der deutschen Vormachtstellung bringen und damit der Krieg, jedenfalls der in Europa ein für allemal beseitigt sein. Dieser Idealismus erinnert mich ein wenig an frühere Epochen der Weltgeschichte. Allerdings ist es ja auch seltsam, daß jetzt sogar eine SS-Standarte Nordland, aus Norwegern bestehend, gegründet ist. Die Völker reichen sich auf Grund des nationalsozialistischen Gedanken die Hand! Das Ziel ist ein von uns geordnetes Europa. Diese Gedanken also äußerte er, während wir durch Ungarn fuhren. Leider wurde es bald sehr neblig, und als wir in Budapest über die Donaubrücke fuhren, konnten wir kaum das Wasser unter uns erkennen. Erst am Nachmittag, während wir durch das ebene Land jenseits der Theiß fuhren, wurde es klar. Da habe ich jedoch gelesen, weil mich die Pußta wenig interessiert. Immerhin machen die kleinen, über das ganze Land verstreuten Höfe ja einen ganz sauberen und guten Eindruck. Ich las in dem Eugen-Buch, das dem Prinzen leider zu sehr moderne Gedanken unterschiebt. Es zeichnet ihn als Pfaffenfeind, der allerdings eine moderne Frömmigkeit besitzt, und als Vorkämpfer des deutschen, nationalen Kaiserreiches. Ich glaube, daß das doch wohl nur eine Karikatur ist. Man könnte die Größe dieses Mannes auch zeigen, ohne ihm solche modernen Gedanken zu unterschieben.
So, jetzt will ich erst mal Abendbrot essen. Es ist nämlich schon nach 9 Uhr! Die Fahrt durch Rumänien war auch diesmal recht schön. Ich kenne jetzt wohl also die gesamte Bahnstrecke von Arad bis Ploesti. Besonders habe ich natürlich in Siebenbürgen aufgepaßt. Da kam Alba Julia, das früher Karlsburg hieß, benannt nach dem Vater Maria Theresias. Auf einer kleinen Anhöhe in der Ferne sah man die Kasernenanlagen, vor allem ein barockes Tor auf der Höhe sah sehr gut aus. Dahinter erhob sich ein Kirchturm, doch Näheres konnte ich nicht erkennen. Wie ich erfuhr, soll dort die Krönungskirche von Karol II. gebaut sein. Die Stadt Karlsburg wirkt wie ein großes, weit angelegtes Dorf mit sehr vielen Kirchen. Ich zählte wohl 7 – 8 Kirchtürme. Infolge der verschiedenen Nationalitäten: Deutsche, Magyaren, Rumänen und Juden – sowie der verschiedenen Bekenntnisse: Kalvinisten, Lutheraner, Orthodoxe, Griechisch-Unierte, Römisch-Katholische – gibt es überall, in jedem kleinen Städtchen, eine ganze Anzahl von Kirchen. Hier also war allerlei davon offenbar vertreten. Ein wenig später kamen wir nach Mediasch. Auf der Heimfahrt hatte ich nur die Fabriken gesehen; jetzt sah ich auf der andern Seite das hübsche Städtchen mit einer alten Kirchenburg, Wehrturm und typisch rumänischen Kirchen. Auf dem Bahnhof standen Ochsen- und Büffelgespanne und brachten Korn zur Verladung. Ein recht buntes Bild. Etwas später kam Schäßburg, offenbar die Krone dieser Städtchen mit Mauer, Türmen und einem Burgberg, so daß man ein kleines Marburg zu finden meint. Natürlich kann ich mich sehr leicht täuschen, da der Eindruck von der Bahn aus sehr falsch sein kann, genau wie mein erster von Kronstadt. Bald hinter Schäßburg wurde es dunkel; ein sonniger Nachmittag ging zu Ende. Das Land selbst wirkt ja teilweise sehr eintönig mit seinen kahlen Höhen und Hängen, die nur für Ziegen- und Schafherden da sind, sowie mit seinen noch unbestellten Äckern, auf denen noch die Reste der Maiskolben des Vorjahres zu sehen sind. Da wir auf jeder Station hielten, konnte man alles gebührend bewundern. Unterwegs wurden Butter und Eier zum Kauf angeboten, Türkenhonig und viele Süßigkeiten und Tabakwaren. Kurz vor Kronstadt siedelte ich wieder in das Abteil I. Kl. um, das wanzenfrei war, und machte mich dort lang. Doch die Freude dauerte nicht lange. Es stieg ein Kronstädter Ingenieur zu, mit dem ich bald ins Gespräch kam. Er lud mich ein, ihn zu besuchen. Die Sachsen hoffen, daß wir das Land nicht wieder verlassen. Sonst müssen sie noch vorher übersiedeln. Wirtschaftlich faßt Deutschland sehr festen Fuß und übernimmt zahlreiche Betriebe. Er, aber auch einige Rumänen hoffen, daß wir hier eine Art Protektorat errichten. Sehr interessant waren die Erzählungen von den Bestechungen. Er rechnet mit 25 % der Steuern als Schmiergelder in seinem Betriebe. Finanzkontrollposten sind hierzulande sehr begehrt und hochbezahlt. Man kauft sich solche Pöstchen, die sehr lohnend sind. Das ganze Staats- und Wirtschaftsleben ist durch und durch korrupt. Die Geschäftsleute haben "doppelte Buchführung", eine offizielle und eine private. Das Vertrauen zu unserem Führer ist außerordentlich groß. Der Herr kannte auch Meschendörfer persönlich. Er muß in sehr guten Verhältnissen leben, doch das nur nebenbei. Von ihm erfuhr ich auch, wie lächerlich sich das Militär teilweise bei dem Revolutiönchen jetzt benommen hat. Die Offiziere haben ja im vergangenen Sommer in Bessarabien alles im Stich gelassen und sind vor den Russen geflohen, wodurch Rumänien sehr viel Kriegsmaterial verloren hat. Jetzt haben sich manche einfach von Lausejungen entwaffnen lassen. In Bukarest haben rumänische Tanks in die Menge geschossen, wobei es zu zahlreichen Toten kam. Unser Bataillon wurde damals auch schleunigst nach dort geschickt, um auf den Straßen die deutsche Macht zu zeigen. Aber irgend etwas Besonderes erlebt haben sie dabei nicht. Bei dem Aufstand haben zahlreiche Juden ihr Leben gelassen; sie sollen teilweise entsetzlich zugerichtet worden sein.
Du siehst, die Gespräche während der Reise waren sehr abwechslungsreich. Kurz nach Kronstadt erfuhr ich, daß ich nicht zu dem von mir erwarteten Ziele fahren solle, sondern dorthin, wo ich Deine Schuhe kaufte. Hier landete ich also glücklich um 3 Uhr nachts. Nun mußte ich erstmal telefonieren; schließlich kam ein Wagen und holte uns. In 2 Hotels versuchte ich vergebens, Unterkunft zu finden, dann fuhr ich zu Bock, der die Quartiere besorgt hatte. Ich trommelte ihn aus dem Bett und ließ mir die Wohnung beschreiben. Dann fuhren wir hin; achteten auf die Planke links, das Haus rechts usf., wie er es beschrieben, und kamen glücklich hier an. Im Hause brannte Licht. Ich klopfte mit dem Säbel ans Fenster, und bald kam die "Dominisvare" barfuß und öffnete. Es war das rumänische Dienstmädchen. Meine Wirtsleute kamen auch noch, halbbekleidet. Man braute mir einen Tee, dann ging ich ins "Bett", gegen 5 Uhr.
Über den heutigen Tag berichte ich später. Hoffentlich erhältst Du diesen Brief bald.
Mein Lieb, wie gern denke ich an den Urlaub zurück, und wie unangenehm ist das neue Sicheinleben müssen.
Mit recht innigen Grüßen
Dein Heinz

 

 



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