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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 11.03.1943 (3.2002.0985)

 

den 11. März 1943



Hurra ! Post ist da!!
Meine geliebte Ursula!

Eben kommt ein Mann, der nach Deutschland will. Das ist natürlich eine glänzende Aussicht. Unbedingt muß er diesen Brief mitnehmen. Weißt Du, die Lust zum Schreiben ist ja fast bis auf den Nullpunkt gesunken, ganz abgesehen davon, daß wir ja doch keine Antwort bekommen. Das liegt wohl daran, daß Teile der Division schon drüben sind. Jedenfalls weiß ich immer noch nicht, wie es Dir ergangen ist. Nun habe ich gestern versucht, nach drüben funken zu lassen, damit ich endlich mal etwas erfahre. Die Luftpost soll geöffnet werden und man soll mir funken, was los ist. Hoffentlich klappt das. Da es durch verschiedene Hände geht und auch die Funkstelle nicht hier im Ort ist, weiß ich natürlich nicht, ob das glückt. Ich hoffe es jedoch sehr stark. Ja, Du wirst Dich vielleicht über unseren Krieg hier wundern. Das ganze scheint mir eine Wetterfrage zu sein. Seit ein paar Tagen haben wir jetzt endlich sonniges, trockenes Wetter. Da trocknet die Straße sehr rasch ab, nur hier im Dorf ist es noch sehr schlammig an den Kreuzungen. Unterwegs sollen einige Sumpfstellen sein. Heute früh mußte ich eine ansehnliche Kolonne stellen. Jeder Mann bewaffnete sich mit 5 Ziegelsteinen, die dort abgelegt werden mußten. Solche Steine zu finden, ist natürlich ein Problem. Denn die Häuser sind ja alle aus Lehm, lediglich die Oefen in den Gärten sind aus Steinen gemauert.
Dieser Tage habe ich natürlich wieder einiges gelesen, allerdings nicht nur Gutes. Am Sonntag las ich Wiecherts "Einfaches Leben" zu Ende. Da ich annehme, daß Wiechert nicht nur die geistige Situation der Nachkriegszeit schildern, sondern zugleich ein Bekenntnis geben will, mutet das Buch an als bewußte Ablehnung des Christentums. Die ganze Furchtbarkeit des Kriegsgeschehens wird jetzt vielleicht noch deutlicher als 1914/18, weil jetzt die Zivilbevölkerung sehr stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Hamburg, Nürnberg, München waren es in den letzten Tagen. Wenn in diesem Jahre kein Vergleich mit England zustande kommt, liegen sämtliche großen Städte des Nordens und Westens in Trümmern. Neben dem Verlust der kulturellen Werte bedeutet das ein Elend für die Zivilbevölkerung, wie wir es wohl nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr erlebt haben. Ohne Zweifel ist das Judas Rache! Ich habe mir dieser Tage einmal sine ira et studio rein verstandesmäßig die Lage überdacht, da bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß es in diesem Jahre mit den Westmächten zum Frieden kommen wird. Das ist die einzige Voraussetzung für eine günstige Entscheidung im Osten. Das Ganze scheint mir ein nüchternes Rechenexempel zu sein. "Das wahre Glück ist die Genügsamkeit!" Ich nehme ja sicher an, daß die Anglo-Amerikaner im Frühjahr in Südfrankreich, Italien oder Griechenland landen werden. Sollten wir sie dann glücklich zurückschlagen, wäre vielleicht die beste Voraussetzung für einen Frieden gegeben. Wenn Wilhelmina dann wieder im Haag thront, nun, laß sie! Wichtig ist für uns doch der Osten! Ja, wenn Europa sich unter dem Zeichen des Kreuzes einigen könnte! Aber bis dahin ist der Weg sehr weit oder versperrt. Zu dieser Erkenntnis kann es wohl nur durch noch härtere Schläge kommen.
Augenblicklich lese ich eine "Weltfahrt im Kriege", von einer Journalistin geschrieben. An Seichtheit und Oberflächlichkeit ist das Buch wohl kaum zu überbieten. Das Einzige, was man behält, ist, daß sie in Amerika "Nazi-Baroness" genannt wird. Dann las ich noch "Greta und Ulla", eine H.J.-Novelle, ganz interessant, aber unbedeutend. Das war wohl alles. Der geistige Ertrag dieser Tage ist ziemlich gering.
Vorgestern machte ich einen größeren Spaziergang am Dorfrand entlang. Da ist ein riesiges Brachland, kilometerweit; ständig kreisten 5 – 6 Ju's darüber und warfen Gerste mit Fallschirmen ab.
Das war ein interessanter Anblick, wenn die farbigen Fallschirme in der blauen Luft hingen. Das Pferdefutter scheint knapp zu sein. Später warfen sie Spritfässer ab. Als ich dann ins Dorf einbog, blieb ich fast im Schlamm stecken. Aber seitdem hat es gut abgetrocknet.
Es ist schauderhaft, daß hier im Quartier kein Tisch ist. Jetzt sitze ich auf der Bettkante und schreibe auf meinem Kartenbrett. Das macht aber keinen Spaß.
Heute früh malte ich mir unseren nächsten Urlaub aus. Merkwürdigerweise verlebten wir ihn in Heiligendorf. Es war schönes Wetter und der Flieder blühte. Was wäre der Mensch ohne Träume und Zukunftspläne! Das schöne Wetter draußen läßt natürlich den Frühling ahnen. Wie mag es da bei Euch schon schön aussehen in den Gärten! Ein Garten ist bei den russischen Lehmhütten natürlich unvorstellbar. Ich glaube nicht, daß hier eine Blume zu finden sein wird. Rußland ist ja so entsetzlich poesielos.
Unsere Alte hier im Quartier ist rührend eifrig. Jetzt schält sie schon wieder Kartoffeln für uns. Es ist nur gut, daß sie daran einen schönen Vorrat hat. Da merkt man die Brotknappheit nicht, sondern hat mehr Brot, als man braucht. Die Alte ist sehr fidel. Wenn sie auf Russisch uns was vorschnattert, wovon wir natürlich kein Wort verstehen, dann geht das Mundwerk in rasendem Tempo. Oftmals will sie etwas Witziges sagen und lacht dabei aus vollem Halse. Man muß unwillkürlich mitlachen, auch wenn man den Sinn höchstens ahnen kann. Die Alte ist sogar verhältnismäßig sehr sauber. Meine Wäsche hat sie jedenfalls tadellos gewaschen.
Wann wir von hier abmarschieren, ist ganz unbestimmt. Da es vorn an der Front sehr ruhig ist, wird man es mit uns nicht so sehr eilig haben. Wenn das Feldpostproblem nicht wäre, würde man ja auch nichts danach fragen. Augenblicklich scheint die "Gummifront" ja vor Moskau zu sein, nach dem Wehrmachtsbericht zu schließen, den ich täglich in der Nachbarschaft höre.
Mein Lieb, grüße alle recht schön; ich mag nicht schreiben. Es geht mir gut. Das mag Euch genügen. Ein Lebenszeichen von Dir und es würde mir blendend gehen. Aber das fehlt mir jetzt zu sehr. Meine Gedanken sind bei Dir. Bleibt gesund! Gott beschütze Euch fernerhin!
Mit den innigsten Grüßen gedenkt Deiner
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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