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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 13.04.1941 (3.2002.0985)

 

Ostersonntag 1941



Meine geliebte Ursula!

Heute erhielt ich seit langer Zeit mal wieder einen Brief von Dir. Ich will ihn sofort beantworten, zumal er manches enthält, was mich doch sehr traurig gemacht hat. Darum gehe ich mit einigem Unbehagen an diesen Brief, zumal man ja nie weiß, ob sich da nicht irgendwelche Mißverständnisse einschleichen.
Deinem Brief liegt ohne Zweifel der Ärger zugrunde, der Mutters Pflege nun mal mit sich bringt. Daß das für Dich schwer ist, weiß ich. Wenn Du Dich recht entsinnst, wirst Du wissen, daß ich schon 1939 sehr besorgt war, als Mutter in Heiligendorf war.
Wenn ich damals meine eigenartigen Reisen von Möser her unternahm, so geschah es doch, um Dir in Deiner Lage beizustehen. Auch jetzt war es mir nicht recht, daß Du vorzeitig auf die Hütte fuhrst, etwa im Januar. Ich weiß, wie schwierig es ist, mit Mutter zusammenzuleben. Wenn sie allerdings dann Olga Dir gegenüber lobt, so hat das doch wohl nicht viel zu besagen. Olga hat es ebenso schwer, wenn sie mal auf der Hütte ist, nur daß sie vielleicht mehr Erfahrungen hat, mit launischen Kranken umzugehen. Der Hauptvorwurf, den Du mir machst, ist der, daß ich mich nicht genügend um Dich kümmere. Ich weiß nicht, ob ich es vergessen habe, zu Deiner Pyrmont-Kur Stellung zu nehmen. Daß meine Sorge in diesem Winter sehr Deiner Gesundheit gegolten hat, werde ich Dir doch wohl nicht verschwiegen haben. Daß ich Dir teilweise selten geschrieben habe, ist mir selbst schon Kummer genug gewesen. Ich könnte mich ja einfach auf der Schreibstube regelmäßig hinsetzen und Dir schreiben, aber das mag ich nicht. Während andere drum herumsitzen und sich vielleicht unterhalten, kann ich jedenfalls an Dich keinen Brief schreiben. Nun habe ich in der letzten Zeit doch wahrhaftig einen sehr bewegten Lebenswandel gehabt, angefangen mit den Erkundungsaufträgen, die mich zwangen, Dir den halben Brief zu schicken, bis hin zum Alarm, der uns auf den Marsch nach Serbien zu bringen schien. Nicht zu vergessen die ersten Tage hier, an denen ich kein Quartier hatte und völlig heimatlos war. Daß ich Dir da oftmals keine tiefen Briefe schreibe, weiß ich. Mir selbst ist es ein großer Kummer, und noch am Karfreitag dachte ich, wie nötig es doch ist, daß dieser Krieg ein Ende nimmt. Vor einem Jahr konnte ich noch Gottesdienste halten. Jetzt wäre ich wohl außerstande dazu. Jedenfalls fehlt mir heute jede Möglichkeit, mich zu konzentrieren. Man muß ja verflachen! Eher habe ich es nötig, daß ich von Dir ein wenig zurechtgestoßen werde, als daß ich Dir etwas geben könnte. Man ist so selten allein, und gleichzeitig hat man auch das Bestreben, der Einsamkeit überall auszuweichen und irgendwie im Getriebe unterzutauchen. Als ich Karfreitag abend in der Kirche saß und es hieß, "still zu werden vor Gott", da verstand ich wohl besser als je, daß man in einer Lage sein kann, wo man selten und vielleicht auch ungern still ist. Ich konnte ja nun nach Dienstschluß mich auf meinen Bau setzen und so Abend für Abend zu Hause sitzen. Aber das bringe ich einfach nicht fertig. Die Betriebsamkeit hilft über vieles hinweg und läßt nicht viel zum Nachdenken kommen. Vielleicht erkennst Du, mein Lieb, daß wir Soldaten doch auch in dieser Hinsicht in einer Not uns befinden, so daß manches in einem etwas anderen Licht erscheint. Diese Verflachung ist ganz gewiß auf geistlichem Gebiete festzustellen. Wenn Du die Berichte von dieser Woche gelesen hast und weißt, daß ich weder Karfreitag noch am 1 Ostertage zur Kirche gehen konnte, dann kannst Du Dir unschwer ausmalen, welche Wirkungen das ausüben muß. Sehr froh war ich, daß ich am Karfreitag wenigstens abends zur Kirche gehen und wenigstens am Abendmahl teilnehmen konnte. Aber man fühlt sich doch ein wenig als outsider, es ist doch im Soldatenleben so ganz anders, als wenn man Pastor ist. Augenblicklich lese ich die Psalmen. Aber es vergeht doch so mancher Tag, an dem ich nicht dazu komme. Erst wenn wir jetzt wieder hier unser geregeltes und hoffentlich etwas ruhigeres Leben haben, wird auch darin wieder mehr Regelmäßigkeit eintreten. Gestern abend hatten wir ein gemeinsames Essen, an dem fast sämtliche Offiziere teilnahmen. Wir saßen in einem größeren Restaurant und aßen ein gewaltiges Menü. Die ganze Sache dauerte bis gegen 1 Uhr. Heute früh war Platzkonzert in der Kaserne, "Dienst" für sämtliche Offiziere. Glücklicherweise war das Wetter etwas besser. Anschließend fuhr ich mit dem Kommandeur und 3 anderen Herren zum Athenaion, wo wir ein schönes Konzert hörten: „Meistersinger“-Ouvertüre, Schuberts „Unvollendete“, Tschaikowski und etwas von einem rumänischen Komponisten. Nach dem Essen war Sportfest, das bis gegen 6 Uhr dauerte. Anschließend fuhr ich mit Schröder zur Stadt, machte dann einen Spaziergang und lernte dabei einen rumänischen Mönch kennen. Er zeigte mir die Patriarchenkirche und nahm mich für anderthalb Stunden mit auf seine Stube. Er studiert Theologie und scheint sehr helle zu sein. Vielleicht bekomme ich durch ihn ein wenig vom rumänischen Osterfest zu sehen, das ja erst in 8 Tagen ist.
Meine liebe Ursula! Sollte in diesem Brief etwas stehen, das Dich betrübt, dann lies drüber hinweg. Das ist nicht meine Absicht! Verzeih mir, wenn ich gegen Dich irgendwie taktlos oder gleichgültig war. Ich habe gerade dieser Tage viel an Dich denken müssen und mich nach Dir gesehnt. Recht innigen Gruß!!
Dein Heinz

PS: Ich schicke jetzt eine Tafel Schoko und einige Bilder. Seit B. numeriere ich die Briefe neu.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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