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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 07.09.1941 (3.2002.0985)

 

Nr. 45

den 7. Sept. 1941



Meine liebe Ursula!

Als ich heute Abend von einer Ausfahrt zurückkehrte, bekam ich zwei Briefe von Dir: Nr. 24 und 29. Beide erzählen von Euren Erlebnissen in Geslau. Ab und zu machen sich natürlich die Brieflücken bemerkbar. So schreibst Du, daß Ihr eine Märchenaufführung vorbereitet. Natürlich habe ich keine Ahnung, aus welchem Anlaß diese stattfinden soll. Das erfahre ich dann wohl in den nächsten Tagen aus einem früheren, aber irgendwo hängengeblichener Brief. Du siehst an der Unregelmäßigkeit, mit der die Briefe eintreffen, wie gut es ist, wenn man oft schreibt. Irgendein Brief kommt dann doch mal schneller ans Ziel. Soeben habe ich mich mit Oblt. Dittwald über das Briefeschreiben unterhalten. Er wollte jetzt einige Feldpostkarten an seine Frau schreiben, um ihr unsere katastrophale Briefpapierlage eindringlich vor Augen zu führen. Er meinte, einige Karten reichten aus, um 50 Umschläge in Marsch zu setzen, ohne daß er weiter dazu aufforderte. Im übrigen meinte er, daß es ja doch nichts zu berichten gäbe. Wir liegen ja nun schon 2 1/2 Wochen in unserer Stadt und werden wohl noch 8 - 14 Tage hier aushalten müssen. Was sollen wir da schon erleben? Zum Korps fahren wir selten, im übrigen essen wir, soweit es unser Darm zuläßt, und schlafen in unseren Eisen Das sensationellste Erlebnis der letzten Tage war, daß wir eine jüdische Reinmachefrau bekamen. Das kam so: Unser Örtchen war mal wieder reinigungsbedürftig. Da beauftragte ich unsere Ordonnanz, doch mal wieder einen Gefangenen zu besorgen. Der letzte hatte sich mit wahrem Eifer darauf gestürzt und zum Schluß sich noch im Becken die Hände recht gründlich abgespült. Diesmal nun kam kein Gefangener, sondern eine Jüdin, die irgendwo zur Arbeit herangezogen worden war. Sie trägt ihren Judenstern auf dem Arm und hat ein scheußlich jüdisches Gesicht, eins von der unangenehmen Art, so daß man ein Foto von ihr ohne weiteres in den Stürmer aufnehmen könnte. Wie gesagt also, werden die Juden hier zur Arbeit herangezogen. Unsere Sarah, wie ich sie nenne, war froh, Hausarbeit tun zu dürfen. Dafür bekommt sie mittags etwas zu essen, wofür sie ja sehr dankbar ist. Sie redet gebrochen deutsch wie alle Juden des Ostens. Wenn sie allerdings mit ihrer jüngeren Rassegenossin redet, die oben im Hause wirkt, kann man kein Wort verstehen. Das Jiddisch ist doch wohl noch anders als nur ein verdrehtes Deutsch. So oft ich sie "Sarah" nenne, kommt von ihr die Antwort: "Sofie". Wie gesagt, sie gehört zu den typischen Judengesichtern und ist mir daher ziemlich widerwärtig. Aber ihre Arbeit macht sie ordentlich. Sie hat eifrig unsere Stube naß aufgenommen, vor allem aber die von den Fliegen sehr beschmutzten Fenster geklärt, so daß unser Zimmer jetzt fast ein Schmuckkasten geworden ist. Auch die stark abgegriffene Tür hat sie heute warm abgewaschen. So allmählich fühlen wir uns daher ein bißchen wohler hier. Heute ist nun schon Dienstag, der 9.9. Früh zum Kaffee wurden uns die neuesten, recht erfreulichen Nachrichten serviert: Schlüsselburg und Krementschug sind genommen. Wenn man wie wir Tag für Tag verfolgt, wie die Bewegungen der deutschen Truppen verlaufen, da hat man seine Freude daran. Es ist vielleicht am Tage nicht viel: bald hier ein kleiner Vorsprung, bald dort. bis man nach Tagen sieht, welchen Einfluß das in dem größeren Rahmen der Operationen hat. Jetzt wird es vielleicht noch 8 Tage dauern, bis Petersburg genommen ist, vielleicht 10 - 14 Tage, dann ist Kiew in unserer Hand. Es ist nur bedauerlich, daß das Wetter jetzt oftmals so schlecht ist. Aber unser Herbstziel werden wir trotzdem wohl noch erreichen. Heute las ich von dem englischen Bittgottesdienst, in dem auch die Internationale gespielt sein soll. Das kann ich mit einfach nicht denken. Obgleich ich der englischen Hochkirche viel an Blasphemie zutraue, aber das kann ich mir doch nicht gut denken! Selbstverständlich kann die Wirkung solcher Nachrichten ja nicht ausbleiben! Vor einigen Tagen kamen wir hier auf Euthanasie zu sprechen Kannst Du mir da mal nähere Angaben machen? Es interessiert die Kameraden natürlich vor allem, was die Altersheime betrifft. Aber was Du schreibst, muß natürlich genau belegt werden können.
Gestern nachm. machten Oberleutnant Dittwald und ich einen Spaziergang durch unsere Stadt. Das Wetter war sehr schön, da dachten wir, daß etwas Bewegung nicht schaden könne. Wir gingen aus unserer Wohnkaserne auf dem holprigen Pflaster vorbei an kleinen, unordentlichen Häusern, bis wir auf den Hauptplatz kamen. Dieser Platz ist natürlich ungepflastert. An ihm vorbei führen die beiden Hauptstraßen der Stadt, an deren Kreuzung jetzt ein Feldgendarm den Verkehr lenkt. Dieser Verkehr beschränkt sich natürlich auf Militärfahrzeuge aller Art. Da findet man die taktischen Zeichen fast sämtlicher hier eingesetzter Divisionen, ferner italienische und ungarische Wagen, sogar ein rumänisches Krad konnte ich entdecken. Ab und zu versucht mal ein Bauernwagen, sich hindurchzuarbeiten. Wir bogen dann am Platz ab in die Hauptgeschäftsstraße. Zur Linken ist ein großes Bankgebäude, weiß gekalkt wie ein geschmackvolles Fabrikgebäude. Die Fahrbahn ist geteert, auch der Bürgersteig ist glatt; später, weit unten, wird die Fahrbahn allerdings ziemlich holprig. Auf der Straße sieht man viele Frauen, die alle ein Kopftuch tragen. Die jüngeren oftmals mit einem Kind auf dem Arm. In mehreren Häusern sahen wir Friseure an der Arbeit. Vor einem Brotladen standen die Leute Schlange. Unterwegs sind viele Leute, die einen Sack oder Beutel tragen, in dem sie Tomaten, Maiskolben und Rüben nach Hause schleppen. So allmählich also erwacht das Leben hier wieder. Schaufenster gibt es in der Hauptstraße natürlich nicht, viele Häuser sehen aus wie Fabrikgebäude, daneben stehen Bretterbuden oder andere wacklige Bauten, in denen Uhrmacher oder andere Handwerker jetzt ihr primitives Gewerbe wieder aufnehmen. Schließlich ging es vorbei an einem billigen, kitschigen Vergnügungspark, der sogar einen Brunnen mit jetzt zerschlagenen Gipsfiguren enthält. Unter den Bäumen des Parks liegen einige Gefallene, jetzt unbeachtet von Fahrzeugen umstellt. Wenn man solch kleinen Rundgang hinter sich hat, reicht es einem erst mal für lange Zeit: Sowjetkultur!
Denkst Du mal an ein paar Briefumschläge?
Ich grüße Dich, meine liebe Frau, von ganzen Herzen!
PS: Kürzlich brachten unsere Fahrer Sahne mit, da haben wir Weintrauben mit Sahne gegessen! Dittwald meint, Ihr Frauen müßtet Euch doch jetzt eins ins Fäustchen lachen, seit Ihr uns in der "Etappe" wißt.
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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