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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 19.07.1940 (3.2002.0985)

 

den 19.7.1940



Meine geliebte Ursula!

Gestern haben wir nun endlich einmal wieder Post bekommen. Von Dir erhielt ich den Brief, den Du am 30.6. in Anathot geschrieben hast. Ich war sehr froh, als ich endlich mal wieder eine Nachricht von Dir hatte, wenn sie auch schon ziemlich alt ist. Hoffentlich hast Du inzwischen schon mehr Post von mir erhalten. Verschiedentlich ist doch direkte Post nach Deutschland gegangen. Einmal das Päckchen mit dem Kaffee, das ich aus Aix les Bains schickte, da es vorher nicht möglich war, und zweimal muß von hier aus unmittelbar Post nach Deutschland gegangen sein. Dein Brief läßt mich fragen, ob Peter wohl hier unmittelbar in der Nähe liegt und vielleicht gut einmal von mir aufgesucht werden könnte.
Die letzten Zeilen schrieb ich Dir vorgestern, also am 17.7., mittags. Nach dem Essen trat die Kompanie an zum Gang ins Kino. Darauf verzichtete ich und fuhr stattdessen mit dem Krad nach Versailles, um mal in aller Ruhe alles Sehenswerte zu betrachten. Das Schloß liegt auf einer Anhöhe und beherrscht die Zufahrt von Paris her. Diese Hofseite ist stark verschachtelt. Der alte Teil Louis 14. ist so angelegt, daß das Gebäude in mehreren Stufen zurückweicht und so einen Hof bildet. Der Bau ist gelb verputzt, teilweise sind aber rote Ziegel zu erkennen, die rot oder rosa übertüncht sind. Vor den rechten und linken Flügel ist je ein klassizistischer oder spätbarocker Teil vorgesetzt mit großen Säulen. Er wirkt vielleicht ein wenig störend, da der ältere Teil zierlicher ist. Hinter dem rechten Flügel sieht man die Hofkapelle, einen prachtvollen, reichverzierten Barockbau. In dem Schloßhof selbst befindet sich das Reiterbild Ludwigs XIV. Der Hof wird zur Stadt hin abgeschlossen durch ein reiches Gitter. Im Innern ist das Schloß ganz entstellt durch Kriegsmaßnahmen. Sehr viele Fenster sind mit Brettern verschlagen, so daß die Räume düster wirken; sämtliche Gobelins sind von den Wänden genommen und lassen nun das unverputzte Mauerwerk sichtbar werden. Die Kamine sind vergipst und selbstverständlich ist jegliches Mobiliar entfernt worden. Den besten Eindruck gewinnt man von der Schloßkapelle, die wenig Veränderungen erfahren hat. Es ist ein hoher, zweistöckiger Barockbau mit prächtigen Marmorsäulen. Der Bau ist ziemlich streng gehalten, nicht so barock wie etwa unsere deutschen Barockkirchen, in denen jede gerade Linie gebogen und aufgelöst ist. Einen imposanten Eindruck macht auch der Spiegelsaal, wenn man von den Entstellungen absieht und einmal den Blick an der Decke entlang gleiten läßt. Ich bedaure sehr, daß man hier nicht schon mit den Wiederherstellungsarbeiten begonnen hat. Natürlich sind die Spiegel alle matt und beschlagen, aber einen kleinen Eindruck gewinnt man trotzdem bei einiger Fantasie. Als drittes ist noch der Schlachtensaal zu nennen, der als Innenarchitektur zu überladen ist im Stile des vorigen Jahrhunderts. Er zeigt große Wandgemälde großen Schlachtenvorstellungen seit Ludwig I. bis hin zu Napoleon. Das wäre das Wesentlichste aus dem Innern. Der Garten ist leider gar nicht gepflegt. In ihm befinden sich teilweise sogar Unterstände bzw. Laufgräben. Sehr schön ist aber die machtvolle Fassade des ganzen Schlosses vom Garten aus. Da ist einmal die Hauptfront, in deren Innern sich der Spiegelsaal befindet. Sie ist außen schlicht, nur von mehrere Säulenreihen geschmückt. Dann flieht die Fassade etwa um die Breite der Hauptfront zurück, um abermals zwei symmetrische der Vorderfront gleiche Seitenflügel auszuschicken. Das sieht also so aus:
[Zeichnung]
Die Krickel, die ich hier zeichnete, sind die erwähnten Säulen. Wenn man sich weiter absetzt vom Schloß, gewinnt man den Überblick über das gewaltige Ganze. Wenn meine Aufnahmen etwas geworden sind, wirst Du ja einen Einblick erhalten.
Vom Schloß aus fuhren wir nach Trianon, das etwa dem Schloß Sanssouci in Potsdam entspricht. Es hat in der Mitte eine offene Säulenhalle aus roten Marmorsäulen, an die sich zu beiden Seiten ein sehr schlichter, aber stilvoller Flügel anhängen. Im Innern war allerlei Gerät zu sehen, Empfangssaal, Schlafzimmer und dergleichen. Im Garten waren Gärtner beschäftigt, den Garten wieder herzurichten. Von hier aus gingen wir zum „kleinen Trianon“, in dem Marie Antoinette gewohnt hat. Er ist ein hoher Bau im Stil Louis XIV., sehr hübsch gelegen. Im Innern sind wir nicht gewesen. Die Parks von Versailles scheinen sehr geräumig zu sein mit schönem Baumbestand. Von Trianon fuhren wir nach Sevres, wo die älteste französische Porzellanmanufaktur sich befindet. Leider kamen wir zu spät und konnten nichts mehr besichtigen. Die Hauptsehenswürdigkeit ist das historische Porzellan, das jedoch in Sicherheit gebracht ist. Aber es scheint sich dort ein großes "Magazin" zu befinden für Kauflustige. Das hätte ich mir gern mal angesehen, noch lieber natürlich etwas gekauft, wenn ich Geld hätte. Das Hauptgebäude stammt wohl aus dem 18. Jahrhundert. Es ist ein schloßartiger Bau mit Park, an der Seine gelegen. Sevres liegt übrigens auf dem Wege von Versailles nach Paris. Der Ort selbst ist etwas dreckig und macht den Eindruck einer Arbeitervorstadt. Von dort versuchten wir, nach Paris zu kommen, jedoch vergeblich. Nun fuhren wir über Versailles nach St. Germain, das ebenfalls an der Seine gelegen ist. Es ist schöner als V, hoch oben auf dem Seine-Ufer gelegen. Von dort hat man einen schönen Blick über das weite Seine-Tal zum Eiffelturm und zum Montmartre. Das Schloß St. Germain soll alt sein, es wirkt recht seltsam, so daß ich es zunächst für einen Bau des vorigem Jahrhunderts hielt. Das Interessanteste ist vielleicht ein altes Renaissanceportal. Hier soll übrigens Louis XIV. geboren sein. Am Schloß ist eine Kirche mit gewaltigem Säulenvorbau, in der die Gebeine des letzten Stuart, Jakobs II., ruhen. Du siehst, es war ein ganz ereignisreicher Tag.
Gestern standen wir endlos früh auf, um auf den leeren Straßen zu "üben". Mittags begann dann die Besichtigungsfahrt für Paris. Wir starteten zu 100 Mann und hatten drei Stunden Zeit. Das Wichtigste waren wohl folgende Bauwerke: Invalidendom, Pantheon, Notre Dame und Sacre coeur auf dem Montmartre. Der Invalidendom hat einen alten Teil aus der Zeit Louis XIV., in dem die Fahnen Napoleons hängen, von denen übrigens jetzt einige abhanden gekommen sind. Darum ist dieser Teil nicht zu besichtigen. Davon getrennt befindet sich ein monumentaler Bau aus dem vorigen Jahrhundert, überragt von einer großen Kuppel, die vielleicht in Anlehnung an den Petersdom gebaut wurde. Wenn man durch das Portal kommt, fällt der Blick auf einen Altar, der von einem durch gedrehte Säulen getragenen Baldachin überragt ist. Von beiden Seiten fällt ein warmes, goldenes Licht auf den Altar durch die nicht sichtbaren Fenster und gibt vor allem den mächtigen Säulen einen goldenen Schimmer. Diese Art des Altars ist übrigens ganz bestimmt eine Nachahmung des von Bernini in Rom geschaffenen. Tritt man nun in den Raum ein, sieht man über eine Brüstung hinweg auf das tief gelegene Grabmal Napoleons, das sich also unmittelbar unter der Kuppel befindet. Hinter dem Altar befindet sich der Zugang zu diesem großen Raum. Er ist kreisrund. Reliefs befinden sich an den Wänden, in Marmor gehauen. In dem offenen Rund, das einen Durchmesser von etwa 10 Meter haben mag, befindet sich auf hohem Sockel der gewaltige Sarkophag Napoleons aus rotem Granit, den ein russischer Kaiser – mir übrigens unverständlich! – gestiftet haben soll. In dem Obergeschoß befinden sich in besonderen Kapellen die Sarkophage von Murat, Jerome und Foch. Der von Marschall Foch ist aus Bronze, mit Reliefs, die die große Armee darstellen. Bemerkenswerterweise befindet sich auch ein Kruzifix am Sarkophag. Auf ihm stehen 6 Offiziere, die den toten Marschall tragen, ebenfalls aus Bronze. Das Ganze ist recht eindrucksvoll, um nicht zu sagen: fabelhaft!
Dann ging es zum Pantheon, einem klassizistischen Kuppelbau, an der Sorbonne gelegen. Wir sahen einen "Altar des Vaterlandes oder der Republik" in Marmor. Sonst befinden sich Plastiken und Fresken in dem riesigen Bau. In der Krypta liegen, besonders hervorgehoben: Voltaire, Montesquieu und Rousseau, die Väter der Revolution. Es ist also eine etwas zweifelhafte Auslese an Geistesgrößen. Außer ihnen Zola, Victor Hugo, Sozialistenführer und andere. Viel lieber hätte ich mir die daneben gelegene hübsche Renaissancekirche St. Etienne angesehen.
Von dort ging es zur Notre Dame. Das Äußere erwähnte ich wohl schon in einem früheren Briefe. Es macht nach wie vor einen sehr starken Eindruck. Im Innern ist es leider durch den Krieg sehr entstellt. Die großen Glasfenster fehlen, im hohen Chor ist vieles mittels Sandsäcken verstellt, wird aber jetzt wieder offenbar in Ordnung gebracht. Das Innere wirkt ziemlich gedrungen, ist eben doch viel früher als Amiens. Die Säulen sind sehr gedrungen; einfache, wuchtige, runde Säulen, mit Kapitell abschließend. Sehr schön ist der Blick zur Vierung und zu dem herrlichen Triforium mit schönen Arkaden. Übrigens ist "Notre Dame" fünfschiffig, was aber im Außenbau nicht in Erscheinung tritt.
Von dort fuhren wir auf den Montmartre, wo sich das Vergnügungsviertel von Paris befindet. Allerdings interessierte uns dieses nicht, sondern die Sacre-Coeur-Kirche mit dem Blick auf Paris. Die Kirche ist in einem byzantinischen Fantasiestil errichtet. Sehr schön ist der Blick von dort oben auf die Stadt.
Als wir wieder hier waren, trank ich Kaffee und bekam dann Gelegenheit, mit dem Baron nochmals hinzufahren. Ich kaufte mir einen Anzugstoff und besah dann nochmals die Hauptsachen, diesmal auch die schönen Gebäude des Louvre etwas näher, die ja einen großen Komplex bilden. Leider war es mir nicht möglich, die Einzelheiten alle zu erfassen.
Heute ist nun wieder abscheuliches Regenwetter. Eigentlich wollte ich nach Sevres. So aber wird nichts draus. Soeben habe ich meine Sachen neu verpackt, eine kleine Kiste und zwei Koffer bergen doch so manches Schöne. Ob ich es Dir wohl bald vorführen kann? Unser Marschweg liegt ja schon lange fest. Aber das allein nützt ja auch nichts.
Nun wünsche ich Dir, mein Lieb, eine recht schöne Arbeit.
Es grüßt Dich recht innig
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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