Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 03.06.1940 (3.2002.0985)

 

den 3. Juni 1940



Meine geliebte Ursula!

Die letzten Worte schrieb ich Dir gestern abend aus dem fahrenden Zuge in aller Eile, da ich annahm, daß es die letzte Möglichkeit sei, Dir noch aus dem Reichsgebiet zu schreiben. Als es dunkel geworden war, legten wir uns schlafen. Dörksen und ich auf der Bank, Zickel lag auf dem Boden zwischen den Bänken. Zum Zudecken nahm ich die Zeltbahn. Plötzlich wurde ich aus dem bekanntlich sehr guten Schlaf gerissen und ich sah, wie Scheinwerfer den Himmel absuchten. Bald setzte auch das Flakfeuer ein, und wir hörten Motorengeräusch von dem feindlichen Flugzeug. Es warf zweimal Leuchtkugeln ab, die sich lange in der Luft hielten, wohl einige Minuten lang. Das war also die erste Feindberührung, die wir hatten. Unser Zug stand wohl noch längere Zeit, doch da ich mich bald wieder schlafen legte, hörte ich nichts davon. Ich wachte um ? 6 Uhr wieder auf, als wir auf einem Bahnhof standen. Hier konnten wir alle aussteigen und die Waschgelegenheiten des Bahnhofs überlaufen. Es war ein großer Andrang. Eine Wohltat, wenn man sich nach solcher Fahrt rasieren und waschen kann. Dann begann das Frühstücken mit Brötchen, die wir uns aus der Stadt besorgen ließen. Solch ein frisches Brötchen mit Butter schmeckt ja herrlich. Als ich mich genügend gestärkt hatte, fand ich Gelegenheit, mir die Stadt anzusehen. Sie erinnerte schon in ihrem Äußeren etwas an das Land, das ich im August 1934 mit dem Fahrrad besuchte. Ich war auch in 2 katholischen Kirchen, in der einen erlebte ich den Schluß einer Messe; die andere ist von weither sehr besucht. Der Chorraum ist recht überladen bemalt in der alten an die Romantik erinnernde Freskenmalerei. Unbedeutend, aber prunkvoll und sicherlich sehr eindrucksvoll bei Wallfahrtsbesuchen. Vor dieser Kirche steht noch eine Kapelle auf freiem Platz. Mit einem Soldaten, der hier aus der Gegend stammt, besah ich das Innere der Kapelle, das aber wenig enthielt. Nur wenn man hinter den Altar geht, sieht man das sogenannte Gnadenbild, ein kleines Marienbild. Drum herum hängt, aus Silber geformt, ein Auge, Bein und andere Glieder, die durch Hilfe der Madonna geheilt sein sollen. Es ist doch viel massiver Aberglaube im Katholizismus. Auf dem Rückweg kaufte ich noch für jeden von uns eine Flasche Bier, die als eiserne Portion für den größten Durst bestimmt ist. Gestern abend hätte ich sehr viel für eine Flasche Bier geboten, so groß war unser Durst. Nach Rückkehr aus der Stadt frühstückte ich Brötchen mit Rindfleisch aus Dosen, und dann kam als dritter Gang Marmelade an die Reihe. Um die Zeit rascher zu vertreiben, trank ich mit einigen Soldaten zwei Schoppen Ahrwein, der sehr gut schmeckte. Jetzt ist es bald Mittag. Wie lange dieser Zustand währt, ist völlig unbekannt. Wir erfahren nichts und das ist gut so. Vorhin sah ich Soldaten, die Mützen und einen Stahlhelm aus Brüssel mitgebracht hatten und nun kurz hier verweilten. Heute mittag wird es Erbsensuppe geben. Ich habe schon mächtigen Hunger. Mir geht es überhaupt sehr gut, nur mein Kreuz schmerzt etwas von dem ungewohnt harten Lager. Das Wetter ist sehr warm und schön. Hoffentlich wird es erst noch mal kühl. Meinen Wollpullover habe ich nämlich in [?] gelassen, da jetzt ja Sommer ist. Was für ein faules Leben haben wir doch augenblicklich! Um mich besser verständigen zu können, habe ich mir heute einen kleinen Sprachführer gekauft. Hoffentlich kann ich ihn gebrauchen. Laß nun mal von Dir hören, sobald ich Dir meine Anschrift angebe. Hoffentlich befolgst Du meinen Willen betreffs des Kindergartens. Sonst meldest Du Dich richtiger zur Lehrerinnenausbildung. Diese Frage ist die Einzige, die mir augenblicklich noch etwas Sorge macht. Laß Dich nur nicht überrumpeln. Ich lese heute, am Montag, Röm. 1, damit Du Bescheid weißt.
Recht herzliche Grüße
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top