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Brief (Transkript)

Irene Guicking an Ernst Guicking am 27.10.1939 (3.2002.0349)

 

Gießen, den 27.10.39



Mein Ernst,

Dein Päckchen vom 23.10. habe ich erhalten. Ich danke Dir. Es wird mir beinahe Angst, wenn Du so viel schickst. Man kann ja beinahe alles gebrauchen. Du schreibst, alles ist aus Frankreich. Es müßte doch dann zu sehen sein. Du bist seit dem 24.10. in Frankreich. Ich verstehe nicht ganz, sicher ist damit das französische Niemandsland gemeint, vor der Maginotlinie. Ich habe mir jetzt mal meine Gedanken darüber gemacht. Bist Du vielleicht einem Spähtrupp zugeteilt. Ich höre abends öfters, auf Schallplatten aufgenommen, Reportagen vom Westwall. Es würde mich gar nicht beruhigen, wenn ich wüßte, Du wärst einer von den Spähern. Denn von diesen Leuten wird Tag und Nacht viel verlangt. Wenn es natürlich nicht so ist, dann sage es mir bitte. Was macht ihr denn dort drüben? Ich glaubte immer, das Land wird nur vom Westwall aus beschützt. Geht ihr wegen den Boullion rüber? Eure schöne Wohnung mußtet Ihr also auch verlassen. Schade, wie werdet ihr jetzt wieder wohnen? Hoffentlich genau so gut. Und die Fasanen und Täubchen essen wohl jetzt die anderen? Endlich weiß ich auch, welcher Wilhelm Noll mir Grüße sagen lies. Ich glaubte, Thiel würde der gute Mann heißen. Ist er bei Dir? Grüße ihn wieder. Du meinst auch, daß es mit der Beförderung nicht so schnell geht. Hoffentlich erleben wir nur Gutes. Die Franzosen haben sich scheinbar zurückgezogen. Vielleicht werdet Ihr doch einmal abgelöst und Ihr könnt nach Hause fahren. Gertruds Mann schrieb heute von einem Ort in der Nähe von Mainz. Sie sind also auch zurückgekommen und er bekommt wahrscheinlich Urlaub. Alles bekommt eben Urlaub, nur Euch lassen sie nicht fort. Vom Stab sehe ich öfters Leute. In welcher Hinsicht wollt Ihr Euch revanchieren? Wollt Ihr etwa zurückschießen? Weißt Du, man wird gar nicht gescheit daraus, was im Westen vor sich geht.
Vielleicht kann ich doch schon am Samstag, daß heißt am Sonntag fahren. Oder am Samstag abend. Ich werde dann den Mut fassen und den Eltern unseren Plan klar machen. Ich selbst würde mich freuen, wenn ich Dir bald die entscheidende Antwort geben könnte, auf die Du so schmerzlichst wartest. Du darfst nicht denken, ich würde die Angelegenheit lächerlich auffassen. Oh nein, Ernst. Ich nehme es sogar sehr ernst. Ich bekomme sogar Bauchschmerzen, wenn ich daran denke. Das sind halt die üblichen Erscheinungen. Denke nur an den Abend auf der Karlsruhe. Ob ich am Sonntag auch mit Kümmel es mal versuchen soll? Ich kann Dir nur sagen, ich bin heilfroh, wenn ich es hinter mir habe. Du sollst nicht mehr länger warten. Ich habe es mir eisern vorgenommen. Sag mal, würde denn eine Heirat so schnell genehmigt? Der Antrag zwecks Verlobung ist doch noch gar nicht erledigt. Oder macht der Krieg eine Ausnahme? Hoffentlich kann ich nun am Samstag fahren, also morgen. Ich will auch gleich heimschreiben, damit mir mein Vater einen Schein für die Arbeiterrückfahrkarte mitbringt. Und nun lieber Ernst bleib gesund bis wir uns wiedersehen. In diesem Sinne will ich mein Schreiben beenden. Ich schicke Dir liebe Grüße und ganz innigst küsse ich Dich auf Deinen lieben Mund.

Deine Irene

 

 



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