Brief (Transkript)
Ernst Guicking an Irene Guicking am 08.10.1941 (3.2002.0349)
Im Osten, den 8.10.41
Mein Herzbobelchen,
diese Nacht habe ich sehr gut geschlafen. Erstens war das Zimmer schön warm und zweitens hatten wir alle unsere Decken zur Verfügung. Mein Schatz, mit dem Russen wird es jetzt immer interessanter. Der zieht ohne Waffen von Stadt zu Stadt und sucht die deutschen Soldaten. Die Waffen wurden ihnen abgenommen und nach Moskau transportiert. Sie selbst sollen nachkommen, um die Hauptstadt zu retten. Sie entledigen sich ihrer Kommissare und kommen in Gruppen zu zehn- zwanzig Mann zu uns herüber. Sie erzählen von den unnützen Tun ihres dauernden Laufens. Sie wollen Stalin stürzen und das Tollste ist, sie kennen kein Deutschland, sie kennen kein Frankreich. Die einzige Welt, die für sie besteht, ist das Arbeiterparadies. Die kennen kein Europa. Also, stell Dir vor, das geistige Niveo des eigentlichen Russland, die sind ja erstaunlich dumm gehalten worden. Wir trafen gestern eine Baltendeutsche. Sie wusste über alles bescheid. Über die einstige deutsch-russiche Freundschaft, über unsere Siege und zuletzt zeigte sie mir ihr Heiligstes, ihren Stammbaum. Sie ist eine deutsche Baronesse. Mit dem zweiten Lebensjahr nach hier gekommen, während des Weltkrieges. Und ist nun glücklich, uns bewirten zu können. Abends zieht sie ihre besten Kleider an, und ich sage Dir, sie sieht bezaubernd aus. Man muß sich unbedingt sagen, das Mädel hat anderes Blut in den Adern. Sie ist sehr zurückhaltend, vornehm aber auch sehr freundlich. Es ist schade um solch einen Menschen, der hier in diesem öden Russland lebt. Halt, da marschieren eben wieder 19 Russen vorbei. Sie sehen froh zu uns herüber. Diese Banditen, es ist ja immer so. Die Grausamkeiten, die vergisst man gar zu schnell, die sie unseren Kameraden angetan haben.
Mein Liebes, hör ich denn bald etwas von Dir. Haben wir einen Jungen oder ein Mädel bekommen. Heute ist schon der 8. Ich glaube, wenn der Geburtstag der 27.9. der Tag war, dann muß ich bis zum 15.10. warten. Das sind dann immer noch zehn Tage. Diese Folter ist bald nicht mehr zu ertragen. Bobi, ich kann ja schon viel vertragen, aber das ist bald zuviel. Ich küsse Deinen Mund und halte Dich ganz fest lieb.
Dein Ernst
Ansicht des Briefes
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