Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Irene Guicking an Ernst Guicking am 17.12.1944 (3.2002.0349)

 

Lauterbach, den 17.12.44



Mein gut Schatzeli,

wir haben einen herrlichen Sonntag. Die Sonne scheint so schön warm, man könnte bald glauben der Monat März sei im Anzug. Draußen ist alles so still. Ein richtig friedlicher Sonntag könnte es sein, wenn nicht immerzu die Luft von einem Dröhnen erfüllt wär. Aber eigentümlich ist es nur, daß wir keinen Alarm haben. Das ist der Unterschied. Sind es unsere Jäger oder was ist es? Die fliegen furchtbar hoch. Ab und zu fliegt mal wieder einer, ein einzelner, so über die Dächer. Er zieht eine Schleife und verschwindet wieder. Ich glaube bald, daß unsere Jäger am Werk sind und einen guten Tag haben. Hoffentlich holen sie ordentlich runter. Ja mein Lieber, hast Du auch gehört, daß eine Schweizer Zeitung gefragt hat: "Warum schweigt Deutschland zu seinem 500 Abschüssen ?" In der Frankfurter Zeitung stand der Artikel auch. Ich nehme an, daß unsere neuen Jäger eingesetzt waren. Wir haben wohl schon unsere Gründe, daß wir schweigen und daß wir solche Erfahrungen und Erfolge nicht gleich bekanntgeben. Genau wie V2 und die Kampfschwimmer erst später, viel später bekanntgegeben wurden. Wenn doch bloß erst die Zeit da wär, wo endlich dem feindlichen Luftterror ein Ende gesetzt würde! Mein Schatz, nun sind es noch acht Tage bis Weihnachten. Ich denke immer, Du kommst vielleicht doch noch, wenn Du das Telegramm erhältst und man will Dich vielleicht erst fahren lassen, weil unser Haus nun einen Totalschaden hat. Paß nur auf mein Schatz, gestern abend habe ich mal all die vielen Briefe von Dir geordnet. Auch die Briefe, die Du mir lange vor dem Krieg geschrieben hast. Es war doch eine herrliche Zeit. Wie sorgenlos lebten wir doch in den Tag hinein. Wir freuten uns auf jeden Abend, den wir zusammen sein konnten. Und wir waren traurig, wenn Du Abschied nehmen und wieder mal ein paar Wochen ins Gelände mußtest. Wir hatten Sehnsucht, wir schrieben uns viele Briefe und freuten uns riesig, wenn der Tag kam, an dem wir uns wiedersahen. Auch die allerersten Briefe von Dir habe ich durchgelesen. Ach mein Schatz, wie groß war doch Dein Kummer und ich war so kalt in meinen Briefen. Ich war so vernünftig und nichts konnte mich erweichen. Wenn andere Mädels solche Briefe bekommen hätten, die hätten sich himmelhoch jauchzend ihrem Anbeter in die Arme geworfen. Auch die Briefe von Wildflecken und Wiltingen habe ich gelesen, die aus Siegen, Ohrdruf. Lauter Liebesbriefe waren es. Aber weißt Du, was mir aufgefallen ist? Du hast mir niemals ein Küßchen geschickt. Ich natürlich auch nicht. Kannst Du das glauben? Ganz selten kam ein Brief mit einem Kuß. Das kann doch gar nicht wahr sein, ich kann das nicht verstehen. Mein Schatz, hattest Du noch so viele Hemmungen oder hast Du geglaubt, Du würdest mit einem einzigen Kuß, den Du mir im Brief schickst, wieder alles kaputt machen, was gerade so mühsam am Entstehen war? Ich weiß es nicht, aber ich nehme an, vielleicht war es so. Mein Schatz, auch die ersten Briefe nach Kriegsbeginn sind so ganz anders geschrieben wie die, die wir uns jetzt schreiben. Ich muß eigentlich sagen, seitdem Bernhild da ist sind Deine Briefe viel, viel lieber und netter. Die ersten Briefe aus den Jahren
'39 und '40, die sind so gehetzt und so unruhig geschrieben. Das Besinnliche fehlt ihnen ganz und gar. Ich glaube manchmal, damals hat's nicht so ganz gestimmt mir Dir, oder? Ja mein Lieber, ich wünschte, ich bekäme morgen Post von Dir. Die Briefe kommen wieder nicht herbei. Wo wird bloß das Telegramm liegen?
Habe ich Dir gesagt, daß Tante Johanna hier ist, seit drei Tagen. Morgen fährt sie wieder weiter, Gott sei Dank. Es ist furchtbar mit ihr. Kein Wort spricht sie, sie heult nur den lieben langen Tag. Wir sind ganz unglücklich. Du weißt ja, sie ist sehr schwierig. Was sollen wir da tun? Mit was sollen wir sie trösten? Ich will jetzt zum Schluß kommen. Ich will den Brief noch einwerfen. Lieb, gut Schatzeli, ich will Dich lieb halten, Dich immerzu auf Deinen lieben, guten Mund küssen und ich will Dir ganz leise gute Nacht sagen,

Deine Mutti

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top