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Brief (Transkript)

Ernst Guicking an Irene Guicking am 23.09.1941 (3.2002.0349)

 

Im Osten, den 23.9.41



Liebste Frau,

zuerst möchte ich Deine drei Briefe beantworten. In dem vom 23.8. fragst Du, ob wir auch Gewehre tragen. Aber Bobi, was meinst Du denn? Was glaubst Du denn? Meinst Du wir werfen hier mit Steinen? Jeder Soldat hat doch sein Gewehr über. Oder auch eine Pistole außerdem. Nur keine Angst. Im Koppel ist auch noch eine Handgranate. So, das hab ich mit dem Donner und Blitz wieder einmal verkehrt gemacht. Ich habe einen Bock geschossen. Schatz, ich habe gelacht, aber gemerkt habe ich es nicht, als ich diesen Bock geschossen habe. Gib Du nun acht, daß Du ja auch jeden Fehler entdeckst. Schreib nur mal nach Wanfried. Aber nicht zu spät, sonst sind sie wahrscheinlich schon wieder verkauft. Ja, was schreib ich denn da. Ich meine damit die Äpfel. Denn Alma und Erich haben doch einen großen Obstgarten. Also mein Schatz, denk dran und geniere Dich nicht. Schreibe und frag, ob Du welche haben kannst. Na ja, Gott sei Dank, am 4.9. hast du nun endlich Post bekommen. Das hat ja auch sehr lange gedauert. Ach, Du meinst, daß vielleicht bei uns wieder Ruhe eingekehrt ist. Ach Bobelchen, schön wär's. Aber wir müssen ja auf alles gefaßt sein. Der Obergefreite, der Dir die Eier brachte, der Obergefreite Knoch, der war bei Rogatschew verwundet worden. Ist aber schon wieder bei uns. Dem geht es jetzt sauwohl. Oh weh, versetzen nach Lothringen. Das sehe ich aber schwarz. Es ist ein verdammt langer Weg bis dort hin. Auf die nähere Erklärung von Papa bin ich aber gespannt.
So und jetzt erzähl ich Dir etwas von unserer Arbeit. Du möchtest doch wissen, was wir so machen. Das war vorgestern. Wir hatten die Aufgabe, das vom Feind besetzte Dorf zu stürmen. Gefangene zu machen und möglichst ungeschoren wieder zurückzukommen. Also morgens um 2.30 Uhr ging es los. Ich nahm von der Staffel noch zwei Mann mit, denn wir legten während des Angriffs eine Telefonleitung um immer mit der rückwärts liegenden Front verbunden zu sein. Durch die Mitte des Dorfes führt eine Eisenbahnlinie. Dieselbe verläuft aus unserem Abschnitt in die Russenfront. Also gehen 40 Mann links, 40 Mann rechts der Bahnlinie vor. Um 4.20 Uhr beginnt unsere Artillerie zu hämmern. Um 5.00 Uhr fällt die letzte Granate. Jetzt ist der Weg frei für uns. Während der Dunkelheit sind wir unbemerkt bis 200 Meter an die ersten Häuser gekommen. Mitsamt unserem Telefon. Jetzt bellten die MG´s und unsere Granatwerfer. Die Infanteristen rasen in die ersten Häuser in Deckung. Eine Schießerei beginnt. Über unsere Köpfe pfeift und schießt es hinweg. Die Russen schießen wild in die Gegend hinein. Sie sind so unsanft aus dem Schlaf geweckt worden. Sie wissen nicht, wohin sie rasen sollen und noch viel weniger, wohin sie schießen sollen. Siehst Du, überraschend angreifen, das ist eine besondere Stärke. Du hättest die blöden Gesichter sehen sollen. So eine Überraschung muß furchtbar sein. Uns ist das nichts Neues. Uns fällt das ja auch nicht mehr auf. Aber diese Angst, diese sture Verbohrtheit, jetzt von uns erschossen zu werden, läßt uns wieder den Kopf schütteln. Ja, das ist die sowjetische Propaganda. Die armen Menschen bekamen gesagt, wenn ihr in Gefangenschaft kommt, dann werden euch die Deutschen erschießen. Siehst Du, mein Bobelchen, um 7.00 Uhr waren wir fertig mit unserer Arbeit. Auch der Tod war dabei. Sofort ging es an unseren Rückzug. Damit die russische Artillerie nicht sofort auf uns aufmerksam wird. Auch auf dem kurzen Weg, den wir drei zurückgegangen sind zählten wir allein 90 tote Russen. 150 Gefangene und ebensoviel Tote hat der Russe bei diesem Streich eingebüßt. Eine Panzerabwehrkanone ging auch noch mit. Unsererseits gab es einen Toten und sieben Verwundete. Für uns drei hieß es nun die Telefonleitung wieder unbemerkt aufrollen. Die Granaten hat er in unmittelbarer Nähe gesetzt. Und alles andere ließ uns kalt. Um 8.00 Uhr saßen wir wieder in unserem Bunker und ließen uns den heißen Bohnenkaffee recht gut schmecken.
So mein Schatz, für heute soll es nun genug sein. Bei passender Gelegenheit kommt wieder mehr. Nebenbei gesagt grüßten uns gestern die ersten Schützen der blauen Division. Schon davon gehört? Sie wollen uns unterstützen. Wir freuen uns, daß wir Unterstützung haben und wir vertrauen darauf. Für heute schicke ich Dir die innigsten Grüße. Ich küsse Dein Gesicht und ich warte und ich warte. Mein Schatz, das kleine Wörtchen "warte", daß kann entsetzlich sein.

Dein Mann

 

 



Ansicht des Briefes

 

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