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Brief (Transkript)

Hellmuth H. an seine Familie am 15.09.1940 (3.2002.7139)

 

Schrimm (Wartheland), 15.9.40.


Mein liebes Beißerle!

Nun bin ich seit gestern in Schrimm und habe gleich eine Menge Post vorgefunden: 3 Briefe von Dir, der letzte vom 12., Zeitschriften, Roman und ein massives Paket mit sehr schönen Nußkuchen, an denen ich mich glaube ich, heute überfressen habe. Vielen Dank für alles Liebe!
Nun bin ich gespannt, wie lange wir hier bleiben, es wird schon wieder von Küstrin gemunkelt; das wäre noch nicht das Schlimmste, aber vielleicht geht es doch mit England eher zu Ende, als man denkt und man läßt uns laufen. Mit Unterkunft für Euch sieht es, soweit ich seit gestern erfahren konnte, schlecht aus. Das Höchste wäre wohl irgendeine Leerwohnung mit irgendwelchen polnischen oder jüdischen Möbeln irgendwoher ausstaffiert; die wenigen Deutschen hier sind froh, einigermaßen untergekommen zu sein; es ist eben hier noch alles im Aufbau und Du wirst Dich auf jeden Fall umgucken, wenn Du hierher kommst. Ungeziefer, Dreck u. mangelnder Komfort werden Deine Laune nach der ersten Begeisterung stark beeinträchtigen. In dem einzigen Kino ist kein Wort zu verstehen. Jedenfalls werde ich versuchen, etwas zu finden; grade an einem Tag wie dem heutigen verregneten Sonntag, sehnt man sich nach den Menschen, die man lieb hat. -
Schade, daß die Mozartplatte kaputt ankam; mit dem Plattenalbum und der Neueinteilung bin ich einverstanden. Ist das Negersäckchen“ [?] für das Püppchen schon fertig? Zur Erdebeerreife nächstes Jahr werde ich hoffentlich da sein und Deinen herbstlichen Fleiß genießen. -
Ich wohne hier übrigens 70 Stufen hoch im 4. Stock mit Thomas zusammen, sehr anständige Betten, aber sonst nicht sonderlich gemütlich. Einige 100 m entfernt ist die liebe Warthe; Thomas meinte, ich solle reinspucken und einen Zettel ranbinden!
Meine Bilder habe ich schon ausgepackt und will heute schon vor „ausgewähltem Publikum“ in meiner Stube einiges zeigen. Hat Dir die Tischdecke gefallen? Ich brauche hier übrigens wieder mein Besteck, schicke es doch bitte. Als nächstes Päckchen schicke ich etwas, was Dir weniger Freude machen wird, nämlich hoffnungslos zerrissene Strümpfe, die ich bald zurückhaben muß. Ob ich hier Lebensmittel zum Schicken bekomme, weiß ich nicht; Butter wird in der Stadt schwierig sein; brauchst Du nötig? Brauchst du noch mehr Zucker? Mit einem Fahrradschlauch wird es nichts werden; da ist es hier schon wie im Altreich.
In Kalisch war ich übrigens bei Balten im Quartier: kühl und intelligent, aber etwas schlampig und lässig in der Gastfreundschaft: kein Mittag und wegen zu späten Aufstehens von Madam kein Frühstück! Man lernt allmählich die 4 deutschen Gruppen hier kennen: die Volksdeutschen (es gibt welche, die nur polnisch können!!), die Reichsdeutschen (z. T. Glücksritter oder 5. Garnitur), die Wolhyniendeutschen (nicht allzu hochstehend, oft dreckig u. untüchtig) und die Balten (anspruchsvoll). -
Mit den Pilzen bist Du hoffentlich recht vorsichtig! Ein Brief von Loja beruhigte mich über Mutti; na, ich hätte mal so lange kein Sterbenswörtchen schreiben sollen! Nun ist aber wohl der Höhepunkt für die deutschen Städte vorbei, auch für Stuttgart. Hier wird übrigens jetzt auch verdunkelt, da mögliche Aufklärer schon östlich von uns bis Ostrowo waren, aber Bomber kommen nicht so weit. In Kalisch habe ich mit Mühe ein Paar Hausschuhe für mich bekommen. Industrieprodukte sind hier, vielleicht außer Textilien, eben schwer zu kriegen. - Anbei eine Scheckserie, diesmal gleich komplett.
In Liebe Dein Hellmuth.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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