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Brief (Transkript)

Hellmuth H. an seine Familie am 22.11.1941 (3.2002.7139)

 

Späne, wie sie beim großen Hobeln fallen:

Juschun, 22.11.41



1.) Wie hart am Zugang zur Krim gekämpft worden ist, erhellt uns mancherlei Einzelheiten: Unsere Stukas haben vor dem Tatarengraben lange enge Reihen von Bombenlöchern ins feindfreie Vorland geworfen, um in dem deckungslosen Gelände der eigenen Infanterie Deckungen beim Vorgehen zu schaffen.
Die russischen Flieger haben nicht nur Bomben, sondern auch Artilleriemunition, ja sogar Schrott, Eisenteile, Ketten usw. abgeworfen.
Am Tatarengraben gibt es - vielleicht bisher als einziger Stelle der Ostfront - mehrere Kameradschaftsgräber, im Weltkrieg Massengräber genannt: 100 Mann in einem gemeinsamen Grab nebeneinander unter einem gemeinsamen Kreuz.
2.) 5 Mann, die auf dem Wege vom Lazarett zur Front waren, machten in den kalten Tagen der letzten Woche bei einer Rast am Bahndamm nicht weit von hier ein Feuer; unglücklicherweise gerade auf einer Mine. Ergebnis: 2 Tote 3 Verwundete. Auch so kämpft der Feind noch im Hinterland.
3.) Zur selben Zeit blieb in dieser Gegend ein Zug mit 2000 Gefangenen und 8 Mann Bewachung mehrere Tage stecken. Die Russen kratzten vor Hunger die Kartoffeln aus dem gefrorenen Boden und sammelten die Körner aus den Getreideschobern. Trotzdem starb jeden Tag eine Anzahl an Erschöpfung und Kälte. Keine leichten Tage auch für die 8 Mann. - So packt der russische Winter den Russen selber.
4.) 2-3 km vom Haus entfernt, in der Weite der Steppe, beginnt das Schlachtfeld, in unheimlicher Erstarrtheit und Unberührtheit seit einem Monat daliegend. Bei ihren Waffen und Gerät, in Löchern, in Stellungen oder auf der Fläche liegen die Russen, wie der Tod sie gemäht, entstellt und verändert, wie auch die kühle Jahreszeit den Toten verändert. Zum Begraben haben weder Freund noch Feind Zeit, da sich jeder für den Winter einrichten muß! Soldatenlos der Besiegten! Aber die Stiefel haben ihnen die "Genossen“ sämtlich ausgezogen.
5.) Im Nebenraum liege ein Russe mit einem vereiterten Lungenschuß. Gestern nacht hörte ich ihn durch die Wand immer wieder in slawischer Hemmungslosigkeit rufen: w domi, w domi! Nach Hause, nach Hause! Das ist der Trieb der leidenden Kreatur, die Sehnsucht des an Leib oder Seele wunden Menschen hüben und drüben. W domi, nach Hause!
Als eine Kompanie zahlreiche Gefangene gemacht hatte, befahl der Kp.-Chef einem ausgezeichneten Uffz. ohne schwerwiegenden Grund, einen der Gefangenen zu erschießen. Der Uffz. weigerte sich mit der Antwort, er sei Soldat und nicht Henker. Darauf erschoß der Kp. Chef selbst den Gefangenen. 2 Tage später fiel er. Ist es dem Rechtssinn des gemeinen Mannes zu verargen, wenn er eine höhere Gerechtigkeit in diesen Vorgängen sucht?
7.) Es wird von einem Uffz, berichtet, der, als er einen Herzschuß bekam, sich mit der Linken zum Herzen faßte und mit der Rechten ruhig den Stahlhelm abnahm, ihn vor sich hinlegte und dann tot zusammenbrach. Mag er diese Bewegung als physische Entlastung durchgeführt haben, oder mag es eine schon vorher geplante Bewegung gewesen sein, mit der er nun in der letzten langen Sekunde sich den Beweis liefern wollte, daß er noch lebe; scheint es nicht, als ob er von seinem Soldatenleben angesichts des Todes sichtbarlich Abschied nimmt und sich zur langen Reise fertigmacht, wo der Stahlhelm unnütz ist?
8.)Vor nicht langer Zeit besuchte ein General ein Feldlazarett, begrüßte die Verwundeten einzeln und sagte am Schluß: „Nun habe ich noch eine besondere Freude für Euch; jeder bekommt von mir das EK II!“ und legte es jedem aufs Bett. Es war bei den Verletzten aber auch ein Mann vom Nachschub dabei, dem ein Wagen über den Fuß gefahren war. Er traute sich nichts zu sagen, gab aber, als er zur Kp. zurückkam, das EK ab, er wolle sich nicht lächerlich machen. Wie viele hätten lieber den Fluch der Lächerlichkeit auf sich genommen!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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