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Brief (Transkript)

Hellmuth H. an seine Familie am 12.09.1939 (3.2002.7139)

 

Lowica. b.Posen,12.9.39


M.l.B.!

Nachdem ich Mutti kürzlich einen Brief geschrieben habe, bist Du mal wieder dran. Es geht mir unverändert gut, da wir uns ja sozusagen auf dem Hinterhofe des Krieges befinden, wo nicht mehr geschossen wird. Nur wird die Sache jetzt schon etwas langweilig, jeden Tag ca. 15-20 km getippelt, eine „Herbstwanderung“ durch ein ganz nettes Gelände; in den letzten Tagen in der Gegend der Familie Hildebrand, eine Mittagsrast sogar in einem Dorfe, das, glaube ich, der Familie einst gehörte. Die Bevölkerung hat uns teils mit Blumen, teils mit verbissenen Gesichtern empfangen. Heute sind wir in einem Vorort am Flugplatz Posen, neben dem Sender, der ja wohl still liegt.* Die Verpflegung bei der Truppe ist schlechter geworden, wir sind ja auch nicht kämpfende Truppe, aber es gibt nebenbei noch allerlei Möglichkeiten; in den Bauerngärten fragen wir nicht lange, auch in den Gutsgärten; neulich aß ich Trauben wie selten; als wir in einer Zuckerfabrik in Quartier lagen ging ein 30 [Pfund]-Sack Zucker mit; auch sonst wird, was nötig, requiriert (Fachausdruck: „abgehakt“!); Mundraub ist erlaubt und die Leute sind meist froh, wenn sie so gut wegkommen, da sie ganz anderes erwartet haben; für das Maschinengewehr hatten wir ursprünglich keinen Wagen, im ersten polnischen Dorf fand sich ein Handwagen ein, im 3. ein bespannter Kastenwagen und ab heute haben wir einen schönen gummibereiften mit schönen Pferden und hoffen auf ein Lastauto. Andere Dinge bezahlen wir redlich, da wir meist mehr Geld haben, als in den Dörfern auszugeben ist.* - Die Zerstörungen durch die abrückenden Polen sind gering: jede bessere Brücke gesprengt, die Telegraphenmasten meist umgehauen, die Eisenbahnschienen unbrauchbar gemacht. Gelegentlich eine Fabrik, die eine deutsche Fliegerbombe bekam oder Sprenglöcher deutscher Fliegerbomben an den Straßen. - Es gibt in der Kompanie eine Reihe Fußkranker, aber auch so macht mancher gelegentlich schlapp und ich freue mich, wie rüstig ich alter Wanderknecht doch bin. Jetzt habe ich es auch manchmal dadurch etwas leichter, daß ich, obgleich Gefreiter, die Dienststellg. eines Unteroffiziers habe (sog. Gewehrführer, d.h. Führer eines Maschinengewehrs) und mich mit Pistole und Dienstfernglas schmücke. Mein größter Kummer ist, daß ich meinen Photo nicht mit habe, es ist zu schade, aber er ist vorderhand nicht heranzuschaffen, da 1) die Post überhaupt nicht funktioniert und 2) er schwerer als das zugelassene Gewicht ist. Ich habe noch keinerlei Post, wie auch die allermeisten, bekommen; es soll ein Postkradfahrer mit der Post sich kaputt gefahren haben. -
Es war gut, daß ich Dich nicht neulich nach Unruhstadt kommen ließ, denn es ging gar nicht dorthin, sondern über die Grenze.
Nun hoffe ich, auch ohne daß ich Nachricht habe, daß es Euch allen gut geht; ich habe eigentlich gar keine Angst darum. - Wenn alles gut geht, ist mit Rückkehr in wenigen Wochen zu rechnen; aber was sich jetzt im Westen anspinnt, läßt sich ja nicht übersehen. „Unser Zuckersack wird aber wohl bis zur Westfront noch reichen“, heißt es bei uns. - Daß Hacke in Landsberg ist, wundert mich sehr, ich träumte letzte Nacht, er wäre gefallen. Über die Kollegen, besonders über Herbert, hätte ich gern laufend Nachricht; solltest Du Kollegen sehen, grüße sie schön; es ist ja wohl jetzt wieder Schule seit gestern, wie in Berlin. So, das war eine ausführlichere Schilderung, schon damit Du etwas erzählen kannst und Dir keine unnötigen Sorgen machst um
Deinen Papa.

Wir haben also noch immer „Übungspostnummer“, nicht „Feldpostnummer“ und zwar 20047 Abhol-Postanstalt Zielenzig.

* Das Posener Schloß ist von hier schon zu sehen
* Bis hierher war weder Taschenlampe noch Hosenträger zu bekommen!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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