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Brief (Transkript)

Hellmuth H. an seine Familie am 22.08.1941 (3.2002.7139)

 

Nr. 46

H. 22.8.41



M.l.B!

Wenn mal eine Weile nichts los ist, verliert man das Gefühl für die Zeit, und stellt dann mit Schrecken fest, daß man fast eine Woche nicht geschrieben hat: dabei gab es inzwischen Päckchen und Brief. (mit Blei geschrieben, vom 5. August) (oder habe ich den schon bestätigt?) Wir haben also weiterhin ruhige Tage, sind ständig Reserve, während die Nachbarregimenter neuen Ruhm an ihre Fahnen heften. Vielleicht hat man mit der Kompanie nicht viel im Sinn, weil verschiedene Meuterbriefe geschnappt worden sind; jedenfalls ist außer Marschieren keine Gelegenheit, etwas zu leisten, während, wie Du ja auch schreibst, manche Milchbärte Gelegenheit und Glück haben. Das schließt nicht Verluste aus (nicht in unserer Kompanie!), denn die meisten Verluste kommen hier durch Artillerie und Flieger zustande, also nicht in der vordersten Linie, bzw. beim Angriff. Deshalb werden auch überall, wo wir uns länger aufhalten - und das sind jetzt meist mehrere Tage hintereinander - anständige Löcher in die schwere lehmige dunkle Erde gebuddelt. Die Landschaft ist schon ziemlich steppenhaft; in den Dörfern oft nur ein einziger Brunnen, die Flächen nur zum Teil bebaut; wir nehmen wahr, was das Feld uns bietet; das sind hier in der unmittelbaren Nähe des Meeres besonders Melonen und die ersten Trauben, Gurken und Tomaten. Die Verpflegung klappt trotz der großen Entfernungen und der Zerstörungen von Getreidespeichern, Bäckereien usw. tadellos; oft Schokolade, Wein, Wellfleisch zusätzlich. Vorgestern konnten wir sogar in einem wunderbar warmen See baden; merkwürdige nadelholzartige Wasserpflanzen, die ich für Dich rausfischte, habe ich leider verschmissen.
Die Sonne meint es gut mit uns; selten unter 30° mittags im Schatten; dabei die letzte Nacht schon recht kühl. An Viehzeug machen sich häßliche Stechfliegen bemerkbar; kürzlich brachte man mir eine riesige Spinne, halb so groß wie die Vogelspinne, die den Kampf mit dem Bleistift annahm und dabei aus den Kheliaeren eine Flüssigkeit austreten ließ, sicher Gift; natürlich alles photographiert. Bei der Gelegenheit übrigens die Frage, ob Du außer den 8 fertigen und 2 unentwickelten Filmen 2 weitere unentwickelte Filme (3 Bilder extra) erhalten hast; auf dem letzten Film waren Bilder vom Dach des fahrenden Zuges u.a. Bitte sowas immer bestätigen. Auch schriebst Du gar nicht, wie die 2 unentwickelten Filme geworden sind; oder kommt das noch? Gestern schickte ich wieder 60 RM an Dich; wenn die da sind, schreibe doch mal wieder, was auf dem Käßchen ist. Ist eigentlich alle Post von mir angekommen; ich habe, wenn es sich nicht nur um Drucksachen, Rückbriefe handelte, stets durchnummeriert, wenige Male nachträgliche Bemerkung im folgenden Brief. -
Nun bist Du also schon ein Weilchen allein ohne den Vater und ohne den Dicken; wenn Du ihn auch sicher vermißt, so ist es bestimmt gut, wenn er in konzentrierte Erziehung und einen kultivierten Kindergarten kommt. Nur sind dann 4 Wochen zu kurz; wenn es die Eltern irgend machen können, wäre ich ihnen dankbar, wenn es länger wäre; eventuell kannst Du ja länger in Stuttgart bleiben und helfen (vergiß übrigens nicht, den Eltern Kostgeld usw. zu geben. Hier dauert die Sache bestimmt noch ein Weilchen; der Chef meint, ohne Wunder kommen wir nicht vor Weihnachten nach Hause; na, ich sagte ja schon im Januar, „ob's Weihnachten Urlaub gibt“?
Jetzt seid Ihr also nach dem Seitensprung zum Stegsee in alter Liebe dem Metzeltin-See wieder treu; übrigens gewöhnlich auf der Seite der Hütte oder der Steilküste?
Noch eine Sache, die mich schon lange ärgert: Der Hörle hat - obgleich er damals die Sache als eilig hinstellte und die Bilder für seinen Verlag zu baldiger Veröffentlichung sichern wollte - nichts von sich hören lassen und offenbar die Sache, die ich ihm sonst noch für Dich samt Porto mitgab, nicht an Dich geschickt (es handelt sich in der Hauptsache um 3 Paar Damenstrümpfe, 2 seidella [?], 1 einfaches Kopftuch, 2 metallene Vogelhäuschen, 1 Metall-Gürtelschnalle); ich glaube nicht an eine Unterschlagung, da die Identität des Mannes feststeht und er über seine Dienststelle ja greifbar ist, aber an bodenlose Nachlässigkeit; vielleicht so einer wie Klaus, dem man erst auf die Bude rücken muß; vielleicht ist er auch irgendwo als Kriegsberichter an der Front. Wie wäre es, wenn Du ihn mal energisch auf die Bude rückst, wenn Du mal in Bln bist; Du brauchst da nicht rumzuschimpfen, sondern erkundigst Dich nur; wenn ohne Ergebnis, schickst Du ihm beiliegenden Brief abgeschrieben [?] ein dann wende ich mich bald an den Deutschen Verlag. Vielleicht hat der Gute aber inzwischen schon auf Deinen Brief geantwortet; dann verschiebt sich alles entsprechend. Also übernimm bitte diese wenn auch nicht besonders angenehme Aufgabe.
Heute gibt es wieder Post - immer nur alle 2 - 3 Tage - hoffentlich ist mal wieder ein Brief dabei trotz des heilsamen 10 Uhr - Schlafengehens.
Der russische Rundfunk hat schon unsere Division als völlig aufgerieben genannt; aber damit werden keine Kriege gewonnen.
Was meinst Du zu dem Buch von Canossa? Anbei ein paar Zeitungsausschnitte und eine Probe aus dem Vorbereitungsheftchen eines Sowjetkollegen.
Herzlich Dein Hellmuth.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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