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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Mutter im Januar 1945 (3.2002.0822)

 

Im Pommern-Feldzug Jan. 1945



Liebe Mutter.

Dieser Brief ist insbesondere für Dich bestimmt; denn man kann ja nicht jedem seine innersten Gefühle auszuprechen. Aber mich drängt es, das einem lieben Herzen auszusprechen, was mir das Herz fast zersprengt.
Wir sind nun Infanteristen – das heißt wir leben mit 8 Mann in einem Bunker mit 6 Lagerstätten und einem Raum von 1 1/2 mal 2 Meter, ohne Türe, ohne Licht, ohne Ofen bei 15-20 Grad Kälte und Schneesturm. Dann haben wir im Laufe der Tage uns eine Tür nageln können und einen Ofen organisiert; jetzt können wir wählen zwischen Rauchvergiftung und Dunkelheit oder Licht und Kälte. Dabei sitzen wir nur mit dem Nötigsten, ohne Waschzeug und Bequemlichkeiten. Tagsüber schaufeln wir in eisiger Kälte die Gräben schneefrei, nachts stehen wir bei noch größerer Kälte 3,4 Stunden Wache, während der Graben wieder voll schneit. Essen ist wenig und kalt. Und dann kommt nichts als kleine Ärgernisse dazu, die so gut zu vermeiden gewesen wären. Man darf das alles nicht bedenken! Hierher sind wir erst in Tag und Nachtmarsch die 40 km mit Gepäck hierher marschiert.
Aber was ist das alles gegen die Seelennot. Es ist nicht die Angst vor der Todesgefahr, sondern nur das Erbeben vor dem großen, drohenden Ungewissen. Wenn man wüßte, man fällt, wir würden damit fertig werden und uns darauf vorbereiten, Aber gerade die Möglichkeit, wieder heraus zukommen und in Jüterbog den Lehrgang in Ruhe zu beenden, gefangen, verwundet in russische Hände zu fallen, die schönste Lebenszeit so dahinzuvegetieren und die große Herzensnot, was bringt das Morgen für unser Volk, wann wird endlich wieder Friede, wie werden wir später unser Leben aufbauen können? Wie weit verwüstet der Russe und der Krieg noch unser liebes, deutsches Land. Wohin führt das alles!!
Bald möchte man wünschen, alles muß möglichst bald in einer großen Katastrophe enden, man müßte krank werden, um im Lazarett in Mitteldeutschland das Ende zu erleben oder man wäre in amerikanischer Gefangenschaft. Kaum wagt man aber so etwas zu denken, da stößt man es wieder weit von sich und schämt sich seiner selbst. Aber daraus siehst Du wie zerrissen, zerwühlt meine Seele ist. Und ich finde keine Ruhe – bis ich mich im Graben hinkniete und betete, heißer in inniger als je- Beten dürfen, das ist noch unsere einzige Erlösung: Herr, Dein Wille – geschehe! Jesus, Dir leb ich, Dir sterb ich, Dein bin ich im Leben und im Tode. Es muß ja alles gut sein und werden, denn Du bist Herr über Leben und Tod. Wenn man nur in Träumen Erleichterung finden könnte!
Mutter! Wann ist diese Zeit zu Ende! Aber wir wollen stark bleiben. Herzlichen Gruß
Dein Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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