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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Großmutter und Tante am 27.4.1944 (3.2002.0822)

 

Im Osten 27.4.44


Liebe Großmutter und Tante Lies.

Nun habe ich Euch beinahe ganz vergessen! Ich habe das Schreiben von Tag zu Tag verschoben, weil ich erst den letzten Rest dieser Zeit im Kessel beseitigt wissen wollte. Doch die Rückkehr zu meiner Einheit verschiebt sich von Mal zu Mal; aber diese Woche soll es doch „endgültig“ soweit sein. Ihr glaubt kaum, wie ich mich darauf freue.
Sonst habe ich die letzte Zeit aber ein blendendes Leben gehabt; wir haben nur die Frühlingstage mit ihrer sommerlichen Wärme genossen. Auch hier wird es mit aller Gewalt Frühling wie Mutter es aus Bocholt schreibt! Ja, wir liegen doch noch auf einer Welt und die gleiche Sonnte strahlt über uns, auch wenn es in den vergangenen Wochen war, als ob kein Weg mehr von uns zu Euch führe.
Sonst habe ich aber noch keine Nachricht von Euch bekommen; die liegen alle hinten in unserem Sammelraum.
Dann will ich Euch aber noch von einem seltsamen Erlebnis erzählen. Ich kam frühmorgens in eine Kirche der griechisch-Unierten. Nachts hatten sie deutsche Landser losgebrochen und durchstöbert, Zivilisten waren im ganzen Ort nicht mehr. Da fand ich nun neben Meßbüchern, schweren gestickten Gewändern und allem Gerät sämtliche Silber- und Goldgegenstände, Kelche, Monstranz, Patenen [?], Behälter für geweihtes Öl- Was glaubt Ihr, was ich für Augen gemacht habe! Aber die konnte man nicht so, jedem Mißbrauche frei, da stehen lassen. Da habe ich sie in der Wandtäfelung in einem ganz zufällig gefundenen Fach verborgen. Aber es sollte noch mehr kommen. Im Tabernakel steckte noch der Schlüssel, darin stand noch der Kelch mit schwerem Seidenbehang und in ihm lagen noch die Hostien!! Wie der Pfarrer die Kirche so verlassen konnte, weiß ich wirklich nicht. Das war dann eine eigenartige Kommunion, wie ich die Hostie nahm, um sie vor Entweihung zu retten, während die ersten Sonnenstrahlen der geplünderte Kirche einen seltsamen Glanz verliehen. – Auch solche Augenblicke bringt der Krieg!
Für heute herzlichen Gruß und alles Gute

Euer Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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