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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seinen Vater am 9.9.1943 (3.2002.0822)

 

Frankreich 9.9.43



Lieber Vater.

Schon heute drängt es mich wieder, Dir zu schreiben.
Eben wurden wir mit 4 Mann zum Chef gerufen, der uns fragte, ob wir einverstanden seien, daß die Einreichung als KOB in Anbetracht der jetzigen Lage aufrecht gehalten werde. In seinem Grund kann ich ihn als Offizier zwar nicht verstehen; denn wo es jetzt auf die letzte Spitze zugeht, da kann ich doch nicht mehr fragen, habe ich als Offizier später oder sofort größere Opfer und Schwierigkeiten! Wenn die Eltern so fragen, dann verstehe ich das, aber so nicht. Ich habe aber trotzdem Nein gesagt; denn es hat wirklich jetzt keinen Sinn mehr oder noch keinen Sinn. Wenn ich mich mit 18 oder 19 Jahren vor alte, ergraute Frontkämpfer stellen sollte als Führer und Offizier, so würde ich doch nicht recht ernst genommen werden können. Und so eine Bubi-Figur eines unreifen Mannes wie leider manche Offiziere abzugeben, da bin ich zu stolz zu. Da mache ich lieber als Gefreiter den anderen was vor. Denn bis ich wirklich fähig wäre zum Offizier, ist doch der Krieg aus oder es müßte ganz Unvorhergesehenes geschehen. So ist es mir wirklich bei dieser Frage ums Herz. Der Verstand entscheidet gegen das unbestimmbare Wünschen und Streben Mein Ziel liegt eben wo anders.
Zu der heutigen Lage, die vielen den größten Teil ihrer Hoffnung raubte, kann ich nur optimistisch denken. Nichts kann uns rauben Liebe und Glauben zu unserem Land. Ich habe Hoffnung bis zur letzten Minute, ob das Urlaub, Aufenthalt in Deutschland oder das Kriegsende ist. Und werde ich 1000 Mal enttäuscht, so bin ich wohl darüber hinweg und verschiebe sie, aufgeben aber werde ich sie nie. Das hat mich mein Soldatenleben gelehrt, so komme ich am besten weiter. Trotz aller Rückschläge, ein segensvoller Friede wird uns doch beschieden sein und der Bolschewismus wird diese Jahre nicht überleben. Was mit ihm ins Grab sinkt, wird den Tod auch verdient haben. Letzten endes bleibt das Lebenswerteste am Ende doch Sieger. Das ist meine Hoffnung und mein Glaube. – Gestern abend habe ich mit den schönsten Sonnenuntergang meines Lebens erlebt. Der läßt sich gar nicht beschreiben. Das abendliche, friedliche, rotübergossene Land, die ruhig qualmenden Schornsteine mit ihrem rotdurchstaubtem Qualm, die Höfe in Feierabendstimmung, das Farbenwunder des Himmels und der glutrote Sonnenball, das alles läßt sich nicht sagen, nicht malen, nur genießen, schauen und trunken verstummen bei diesem Wunder der Natur.
Siehst Du das alles mitzuteilen, drängte es mich. Denn alles lastet auf der Seele, was man allein trägt. In der Mitteilung aber liegt die Erlösung und Gewinn. Aus der Last wird klarer bereichernder Besitz. Das ist aber auch das eigenartige schöne daran, daß ich keinen Freund habe. So muß ich alles dem verwahrenden Papier und Euch anvertrauen, was sonst auch nur in flüchtigem Wort – verloren ging.
Herzlichen Gruß und alles, alles Gute

Dein Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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