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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Eltern am 4.1.1944 (3.2002.0822)

 

Rußland 4.1.43 (1944)



Liebe Eltern.

Allmählich findet man sich jetzt wieder. Da unser Gerät zeitweilig ausfällt – nicht durch Feind – haben wir auch mal Ruhe. Vorher haben wir Tag und Nacht gearbeitet; in 10 Tagen habe ich keine 20 Stunden geschlafen. Durch die vielen ausgefallenen Geräte haben wir die Arbeit von 3 Funkstellen machen müssen, dazu die Arbeit unserer Fernsprecher. Das war Funkerei!
Aber so etwas macht mehr Spaß, als tagelang nur warten, ob mal ein Spruch kommt. Dabei schielte man dann noch immer mit einem Auge nach draußen, wo sich die letzten Infanteristen zurückzogen. Unserer Norwegertruppen brachten es nämlich nicht fertig, die Panzer durchrollen zu lassen oder mit den erstklassigen Nahwaffen zu bekämpfen. Infanterie schlugen sie immer ab und zurück. Dann kamen Panzer und alles türmte. So schlimm sind sie dabei garnicht. Vor ein paar Tagen noch beschoß ein Panzer unser Fahrzeug ganz allein aus 100 m Entfernung, es hat keinen Splitter abbekommen. Trotzdem ein unplanmäßiger Rückzug ist bestimmt mehr als ein siegreicher Angriff. Obwohl ja gerade weil die Infanterie immer zurück mußte, hat sie ganz Unvorstellbares geleistet, wie Trauben hingen sie oft, wenn es um Sekunden ging und die M-G-Garben zwitscherten, an unserm Fahrzeug, völlig ermattet. Im ganzen sind wir aber von der „ruhmreichen“ Infanterie sehr enttäuscht. Manche Stellung hätte gehalten werden können, mancher Gegenangriff geführt werden können – wenigstens zuerst. Aber wenn sie einmal liefen, liefen sie sinnlos. Wir haben ihnen im infanteristischen Einsatz den Rücken gedeckt!
Der Troß – bei uns eine Ansammlung von Drückebergern – ist so weit türmen gegangen, daß keiner weiß, wo er steckt. Sehr viele haben uns mit ihrer Feigheit furchtbar enttäuscht, manche aber nach vorherigen Erfahrungen überrascht, wie wenig sie sich schonten. Einmal fuhren wir auch in letzter Sekunde, da kam ein Infanterist mit Karabiner, schon ziemlich alt, und fragte, ob noch Platz im Fahrzeug sei – wir nahmen ihn mit. Es stellte sich später heraus: Oberst und RegimentsKdr.
In den letzten Tagen ging es schon ziemlich geregelt, jetzt scheint es zu Ende zu sein. Neue Divisionen sind hier hereingeschmissen, deutsche Panzer rollen an, heute brummen zum ersten Mal deutsche Stukageschwader über uns weg mit Schwärmen von Jägern über uns weg nach vorn. So etwas gibt neue Kraft. Wir hoffen jetzt schon bald wieder den Spieß umkehren zu können. Aber erst müssen wir neue Geschütze und Geräte haben. Manche hoffen schon, wir würden in Deutschland aufgefrischt. Aber das glaube ich nicht, wir sind ja doch erst 8 Wochen hier in Rußland. Nun bestellt allen Verwandten und Bekannten, was los ist und das es mir weiter blendend geht, obwohl wir diese 10 Tage keine Verpflegung bekommen haben, sind wir von Vorräten und Weihnachtspaketen und –zuteilungen satt geworden, daß ich die dicken Backen nicht verloren habe. Mit den besten Grüßen

Euer Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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