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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Eltern am 26.4.1943 (3.2002.0822)

 

O.U. 26.4.43



Liebe Eltern.

„Kan. Kerstiens vom Urlaub zurück!“ Als ich heute morgen zurückkam fand ich neben den Schriften von Sickel und Päckchen 48 2 Briefe von Dir. Die Uhr und das zweite Paket lassen immer noch auf sich warten.
Nun aber zu unserer Tour nach Oslo. Samstag mittags fuhren wir mit einem Omnibus direkt vom Lager hin, in kaum 1 1/2 Stunden. Dann mußten wir, d.h. ich und die beiden anderen Kameraden, die dort eine Bekannte besuchen wollten, uns erst nach unserm Quartier umsehen; dabei gab’s einen tollen Papierkrieg. Dann zog ich allein los. Zuerst inspizierte man mal die innere Stadt: nichts Besonderes. Das Schloß ist von der Höhe im Stadtmittelpunkt wirkungsvoll, aber künstlerisch Wertvolles oder Malerisches – nichts, ingenting wie wir als „alte“ Norweger sagen. Aber eins hatte man: Großstadt. Und Ihr glaubt nicht wie gern man nach 4 Monaten Einsamkeit mal wieder Großstadtpflaster unter den Füßen spürt mit Betrieb, Läden, Cafés. Abernds habe ich dann noch eine Theaterkarte ergattert – was begehrt man mehr. Die Oper – „ Die lustigen Weiber“ von Nicolou - war recht nett, der Falstaff eine sehr gute Kraft.
Abends habe ich ich dann noch mit den beiden im Soldatenheim gegessen, erstklassig! sage ich Euch, mit Spielsälen, Luxuszimmer, Gemeinschaftsräumen und dem eigentlichen Speiseräumen, abends Kapelle. Man tut doch was für uns!
Die Übernachtung und das Wecken am Ostermorgen war mir zwar reichlich kommißmäßig. Aber wir sind ja nun einmal einfache Kanoniere.
Ostermorgen! Er fand mich in einem Park am Stadtrand. Ostermorgen! Der Himmel war wie am Vortage schwer verhangen, grau lastete der Nebel auf der Erde. Aber dennoch. Das neue Leben blühte und grünte, einige Sträucher leuchteten österlich gelb durch das Grau, die Vögel jubilierten und zwitscherten. War das nicht alles Gleichnis? In meinem Herzen sah es genau so aus. Es wollte äußerlich nicht Ostern werden, mit dem Gedanken an Euch kam ich nicht in Festtagsstimmung. Die Trennung an diesem Familienfest und der ganze Ernst dieser Zeit lasteten als schwerer Nebel über dem Christenherz. – Ja, war dieses Osterfest nicht in aller Welt so wie diese Morgenstunde: Eine stille, innere Freude unter dem Grau des Krieges. Aber einmal weicht der Nebel, einmal hat die Trennung ein Ende, einmal läuten wieder Friedensglocken, einmal wird wieder richtig Ostern!
In dieser Stunde wurden auch so viele Erinnerungen wach, wie wir in Münster unsere Eier gesucht hatten oder gemeinschaftlich über die sonnenerleuchtete traute Langenstraße zur Kirche zogen. Jetzt sieht sich das noch alles viel schöner an, als es vielleicht war. – Meine Gedanken begleiten Euch auf dem Weg zur Kirche – zu 3 statt zu 6 und sie flogen herüber nach Freckenhorst, wo nach altem Brauch die Bauern der Umgegend durch die österliche Landschaft dem Ruf der Glocken entgegentrabten in das alte mächtige Gotteshaus und zwischen ihnen Großmutter am Arm von Tante Lies zur Kommunion ging. Ach, wenn ich daran denke, schwillt mir fast das Herz über – vor Freude. Man muß sich nur ganz in dieses Bild hereinleben können.
Anschließend bin ich dann zur Osterbeichte gegangen. Den Gottesdienst zu beschreiben ist unmöglich. Das muß man fühlen, wenn tausend Soldaten ihrem Gott zujubeln, Preis Dir, Du Sieger! Fern der Heimat und doch zu Hause. Ja, in der Kirche fühlst man sich wirklich daheim. Das merkt man erst in unserer Lage. –
Nach einem leckeren Osterfrühstück mit 3 Eiern und viel Butter, nicht zu vergessen 1a Bohnenkaffee haben wir dann noch zusammen im Lesezimmer gesessen und früh zu Mittag gegessen. Nachmittags war ich - diesmal wieder allein – auf dem Eckeberg, direkt am Fjord – die Grafenberge Oslos, nur steiler und doppelt so hoch. Oben ist mit dem Gesicht nach Süden der deutsche Heldenfriedhof mit mehreren hundert einfachen Holzkreuzen – schlicht und wirkungsvoll. Die Angaben der Einheiten und der Orte, wo sie gefallen sind sprechen mehr, als PK-Berichte sagen können. – In den Wäldern des Eckebergs blühten weiß leuchtend tausende von Annemonensternen. „Annemonen im Walde“ aber der sonnige Tag ließ auf sich warten. Der einsetzenden Regen trieb mich wieder in die Stadt.
Nun es wäre noch soviel zu erzählen. Aber ich muß unbedingt zum Ende kommen. Zum Spätabend wandelte sich plötzlich das Wetter und ich erlebte einen ganz klaren Sonnenuntergang in den Anlagen der malerischen Festung mit ihren wuchtigen Mauern und Türmen steil über dem Hafen, die ich erst da entdeckte; gesehen hatte ich sie zwar immer schon.
Die Autorückfahrt endete statt um 12, um 1/2 5 Uhr. Näheres schreibe ich Frechsack. Ab morgen mache ich 10 Tage einen Hilfskrankenträgerlehrgang mit (täglich 7 Stunden). Eine feine Abwechslung.
Mit den besten Grüßen und Wünschen an alle
Euer Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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