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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Schwester am 16.9.1944 (3.2002.0822)

 

O.U.16.9.44



Liebe Liesel,

Wieder liegen mehrere Briefe vor mir. Eine Nachricht hat mich daraus aber bis in den untersten Winkel meiner linken Herzkammer erschüttert. Daß Du in die Fabrik musst als Spinnmädchen. Nun glaube ich wirklich, es ist totaler Krieg. Ich hoffe nur, die Arbeit fällt Dir nicht allzu schwer. Mein ganz Mitleid hast Du auch so. Aber das ist nicht viel, denn für so was haben wir wenig Zeit, wenn wir hier zwischen toten Frauen und Kindern uns den Weg durch Trümmer und Rauch bahnen, um den Feind aus der Nähe sehen und bekämpfen zu können. Es nämlich auch hier noch Krieg, wenn er im Augenblick für uns auch noch ziemlich ungefährlich ist, da zu dieser Stunde nur verbissene, aber schlecht bewaffnete Aufständische vor uns liegen. Das andere Ufer 2 km vor uns ist aber schon vom Iwan besetzt. Ich hoffe nur, dass unsere Westdeutschen Städte nie wie Warschau aussehen. Die „erhaltenen“ Außenviertel sehen hier aus wie Mackensenplatz und Umgebung, alles andere ist zerstört bis auf die Grundmauern. Da steht nicht jedes 5., 10. oder 100. Haus mehr. Nichts! Ausgebrannt oder in Trümmern. Seit über einem Monat hagelt es Tag und Nacht Stukabomben und Granaten, es wird gesprengt und angezündet, alles eine Vernichtung. Man kann doch eine Stadt ausradieren.
Meinen Freund aus dem Lehrgang treffe ich nur höchst selten. Er ist in einer anderen Abteilung und Besuchsspaziergänge kann man hier nicht machen. Ich hoffe nur, ihn auf der Waffenschule zu treffen. Doch bis dahin fließt noch viel Wasser selbst durch die Bocholter Aa - Wo ist Ursula? Was macht Mutter? Ich warte jetzt mehr auf Post als je. Ich freue mich über Eure ruhigen, sicheren Briefe. Wir stehen doch ganz anders in der Welt und im Geschehen. Es kommen schon andere Briefe hier an, das ist traurig. Aber mit Christus unserem König kommen wir auch durch diese Zeit.
Mit den besten Grüßen an alle

Dein Bruder Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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