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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Großmuter und Tante am 20.6.1943 (3.2002.0822)

 

O.U.20.6.43



Liebe Großmutter u. Tante Lies.

Vom großen Sonntagsspaziergang in die ewigen Wälder auf den Bergen am Fluß zurück will ich Euch einen Gruß senden. Diese unendlichen Wälder mit den gewaltigen rundgeschliffenen Felsblöcken der brausende Fluß, der im raschen Lauf über den steinigen Grund dahinspringt, sie erzählen noch von der alten Vorzeit, als noch keines Menschen Fuß dies Land betreten hatte, das eben erst das Eis frei gegeben hatte. In den Wipfeln der riesenhaften Tannen rauscht noch eine andere Zeit, und selbst die vereinzelten Blockhäuschen, in den die Holzarbeiter jetzt hausen, stören diesen Rest der Vergangenheit nicht. Und durch diese Welt streicht ein deutscher Soldat, der tief aus dem Süden gekommen ist. – Ein scheinbar Unvereinbares – und doch singen diese Wälder auch für uns, erzählen auch uns in unserer Sprache von „Einstmals“. Man muß nur offene Ohren dafür haben, hier wie bei Euch. –
Sonst kann ich hier auch nicht klagen. Der Dienst wird wieder ruhig wie vor der Versetzung. Seitdem ich von der Schreibstube herunter bin, fühle ich mich halb in Urlaub. Pfingsten war ich in Urlaub – diesmal wirklich – in der nächsten Stadt, die wundervoll gelegen ist. Ein Sanitätssoldat, dem man garnichts ansah, ging als ich in der Kirche dort kniete, plötzlich nach vorn – und hielt uns paar Soldaten eine Pfingstmesse ganz unerwartet. Er war wohl sicher einer der eingezogenen Paters. So sah er wohl aus. Da habe ich zum Feiertag wieder Glück gehabt – Denn bis ein Feldgeistlicher kommt, das kann noch lange dauern. Die gibt es ja hier viel zu wenig. Aber in Rußland werden sie ja wohl auch dringender gebraucht.
Vor 3 Tagen bekam ich ein Telegramm von Vater, daß Ihnen und der Wohnung bei dem großen Angriff vor Pfingsten nichts geschehen ist. Bis dahin war ich sehr in Sorge. Hoffentlich kann Mutter mit den Kleinen wenigstens für die schlimmste Zeit bei Euch oder sonst im friedlichen Münsterland einen Unterschlupf finden. Das wäre mir eine große Beruhigung. Nun wünsche ich Euch alles Gute und Dir, Großmutter, wenn Du Dich noch nicht wieder ganz erholt hast, gute Besserung. Dann auf ein frohes Wiedersehen im Urlaub
Ludwig

 

 



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