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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Mutter am 15.9.1944 (3.2002.0822)

 

O.U.15.9.44



Liebe Mutter und Geschwister,

Und Freud und Wonne
aus jeder Brust.
O Erd, o Sonne!
O Glück, o Lust!

Wie kommen diese Verse in einen Brief von der lebhaftesten Frontecke des Ostens? – Aus der Bücherei eines polnischen Philosophieprofessors an der Universität Warschau, in dessen Wohnung wir B-Stellung bezogen haben. – Die Wohnung sieht aus wie unsere in der Mackensenstraße. Es ist mit das beste Viertel der Stadt. Parkettböden, Kirschbäume und Eichenmöbel sehr modern, elektrisches Licht, warm und kalt Wasser, das leider nicht läuft, Betten erster Güte, soweit wie möglich alles verpackt, keine Fenster und einzelne Splitterspuren. Die Leute wohnen noch hier, die Frau hat der Student philos. in Paris kennen gelernt. Das ist eine Welt!! Aber in seiner Bücherei finde ich zu meinem glücklichen Erstaunen nun eine deutsche vollständige Ausgabe von Goethes und Shakespeares Werken. Endlich was Gutes zu lesen, wie hungere ich schon danach in dieser „ruhigen“ Zeit.
Ruhig – für uns, doch vor uns brennt die Stadt, Stukas und Artillerie, Panzer und Infantrie räuchern mit einem Höllenzauber die Stadt aus, die Banden haben sich in jeden Block verbissen. Wo stehen Truppen, wo Banden, wo wir? Alles ist ein aufgewühltes Kriegschaos.
Vielleicht schickt Euch in Kürze einer noch Bilder aus D. und dem Lehrgang. Wenn er noch Negative schickt, laß wenigstens noch einen Abzug machen, mir scheinen sie nämlich schlecht abgezogen.
Für heute herzlichen Gruß, die Pflicht ruft.

Euer Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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