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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seinen Vater am 9.7.1944 (3.2002.0822)

 

O.U. 9.7.44



Lieber Vater.

Ich sitze nun am Sonntagmorgen nach halb durchfeierter Nacht in „unserem“ traulichen Garten, nur mit Turnhose, weil die Sonne schon wieder schön brennt. Teilweise finden die anderen noch nicht aus den Betten – teilweise haben sie auch garnicht richtig mitgemacht und waren so kalt, daß sie garnichts von dem zweiten Teil des Abends hatten als Abscheu. Dabei hat sich noch alles in Grenzen gehalten – im allgemeinen wenigstens. Doch nun sind wir schon beim Ende des Ab … meine natürlich Morgens, fange wir lieber von vorn an:
Ein Schwein zu Schnitzeln und Koteletts verarbeitet, anschließend Eis, Sahneeis, das ist doch klar. Unser Programm war dann ein großer Erfolg. Ich habe selbst nicht geglaubt, daß ich auf der Bühne so sicher und so erfolgreich bin. Die Bande hat mich oft nicht aussprechen lassen, so wurde gebrüllt. Das macht einem natürlich Spaß. Beim letzten Auftritt hatte ich schon so manchen Cognak; so manche Flasche Bier (nicht Wasser mit Biergeschmack wie in Deutschland) und ich sah schwarz. Aber diese Verse, die haben geklappt als ob ich Operettenschauspieler wäre.
Bei den anderen Sachen habe ich mich auch gekugelt vor Lachen. Anschließend ging es dann in die „Genickschußbar“. Bei rotem Lampenschein gab’s da Eierlikör und Kakao mit Schuß – gemixt aus dänischem Reichtum. Das war hinterher ein Stimmung. Der Chef blieb selbst nüchtern und sorgte für die Abschleppkommandos. Wenn einer fertig war, kamen 6 Mann ran und schleiften ihn nach Hause. Die Bilder hättest Du sehen müssen! Obwohl ich selbst auch ein Quantum getrunken hatte, daß ich wenigstens angeheitert war, kam mir das widerlich vor. Ich verstehe die wirklich nicht, wie man es so weit treiben kann. Aber im Saal blieb es immer ziemlich in noch angemessenen Bahnen, dadurch, daß der Chef alles ins Bett bringen ließ. Auf jeden Fall, der Abend hat mir und den meisten viel Spaß gemacht. Das ist eben das Gute, wenn man viel vertragen kann. Ich hatte bestimmt eine halbe Flasche Cognak und Liköre getrunken – außerdem Bier und fühlte mich so klar, daß ich mich noch hätte mit jedem über jedes Thema unterhalten können. Da staune ich selbst drüber.
Als dann aber um 1/2 3 noch ein Teil ins Casino ging um bis um 6 Uhr weiterzusaufen, da habe ich Schluß gemacht. Mit noch ein paar haben wir dann aus einem Schlauch, einer Wasserleitung und einer Gießkannenbrause eine Duschanlage hergestellt, uns ausgezogen und ein kaltes Bad genommen. Das Bild hättest Du auch sehen müssen! Dann noch ein Spaziergang durch die taunassen Wiesen anschließend - und wir waren wieder klar, als ob nichts gewesen sei.
Und das alles im 5. Kriegsjahr! Wenn man das überlegt - - -
Radioröhren und Radios kann ich kaufen, was ist das aber für eine Type?
Deine letzte Klage wegen der ausbleibenden Post sollst Du ab heute nicht mehr wiederholen brauchen. Ich habe mir vorgenommen, wieder ein eifriger Schreiber zu werden. Du hast nämlich nicht allein gewartet.
Für heute herzlichen Sonntagsgruß, natürlich auch unserer Klosterschwester Ursula (sie schreibt fast schon Nonnenbriefe)

Dein Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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