Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an seine Eltern am 19.05.1915 (3.2011.3530)

 

Schützengraben 19. Mai 1915.


Nun will ich Euch doch mal schreiben, was wieder mal passiert ist, ob ich zwar nicht weiß, ob der Brief befördert werden wird. - Also am Sa. d. 8. fuhren wir mit dem Auto nach Cernelica, einen Orte inmitten einer solchen [Skizze] Schleife des Dnjestr. Alles ohne besondere Vorkehrungen, also anscheinend nur Quartierwechsel. Auch wurden wir nicht allzu eng einquartiert, so daß wir uns auf ein prächtiges Himmelfahrts, womöglich auch noch Pfingstfest inmitten blühender Kirschbäume und saftig grüner Wiesen gefaßt machten. Da plötzlich um 2 Uhr früh – Alarm! „Die Russen setzen über“! Als wir ankamen, waren unsere schwachen Postierungen schon zurückgegangen und uns standen bereits ein paar russische Bataillone gegenüber. „Uns“ d. h. nur der Kompagnie.
[Skizze: Dnjestr Straße Deutsche Russen]
So war unsere Stellung am 9.5 früh ½ 7 Uhr. Links Steilabfall zum Dnjestr; rechts flacher Anstieg im Laubwald. Am östlichen Ufer waren die Russen, unbemerkt am Flußrand entlang ziehend, uns bald in Flanke und Rücken, sodaß unser rechter Flügel zurück mußte, was den linken natürlich mitzog. Nun war an kein Stellung halten mehr zu denken, denn die Russen hatten mit affenartiger Geschwindigkeit drei!!! Brücken am nördlichen Zipfel der Halbinsel gebaut, die nun förmlich Bataillone spien. Erst um ½ 9 traf ein Zug Östreicher ein – ein Tropfen auf einen heißen Stein.
- Zurück! Hinter uns arbeiteten fieberhaft die Lastautos und schleppten Kompagnie auf Kompagnie heran. Vergeblich! Die Russen schwollen an wie ein Gebirgsbach; und erst am Abend, als noch 5 Bataillone angesetzt waren, kam die Geschichte einigermaßen zum Stehen. Nun war aber auch alles angesetzt, was in erreichbarer Nähe war, und was am nächsten Tage nach kam, waren nur 6 Kompagnien, die am Tage zuvor Zaleszcyki endlich gestürmt hatten, um es nun sofort wieder aufgeben zu müssen. Da die Russen trotz riesiger Übermacht nicht allzu stark nachdrängten – anscheinend Artillerie abwartend - bezogen wir am nächsten Tage Stellung weiter hinten.
[Skizze: nach simow nach Horodenka]
Die Mittelstellung die auf einer Anhöhe lag war prachtvoll und bot zudem einen weiten Überblick über das ganze Schlachtfeld, wie ich ihn noch nie gehabt hatte. - Diese Stellung wurde bei Tage von den Russen angegriffen. Wie von Ameisen wimmelte das ganze Vorgelände, und aus jeder Mulde quollen neue Scharen, über jede Erhebung schoben sich neue Schützenlinien, bis endlich ganz in der Ferne noch die geschlossenen Kolonnen der Russen anmarschierten.
Der riesenhaft angelegte Angriff der Russen zerfiel in unserm Artillerie- u. Infanterie-Feuer; ein kleiner Durchbruch unmittelbar links unserer Höhe wurde wieder zurückgedrängt. - Am Abend des 10. lagen wir also noch in der zweiten Stellung. Am 11. setzten Vormittags die Östreicher mit einer forschen Offensive ein, die flankenstoßartig die Russen wohl 3 Klm zurücktrieb und ihnen über 300 Gefangene kostete. Aber ach! es war doch! eine Falle gewesen. Der Angriff hatte dem Gegner unsere Stärke – insgesamt wohl 5-7000 Mann – enthüllt, und das bedeutete für ihn den Erfolg – er hatte 3 Armeekorps da, mindestens 60 000 Mann. Und diesmal fing ers schlauer an. Unsere prachtvolle Mittelstellung wurde gar nicht angegriffen, sondern der Gegner zog alles, insbesondere riesige Kavalleriemassen, auf die Flügel, die in ebenem, deckungslosem Gelände standen, und diese wurden denn trotz großer Verluste der Russen auch schließlich eingedrückt, so daß die Sache recht bedenklich wurde
[Skizze]
Schon war die russische Kavallerie uns im Rücken, als sich der östreichische Kommandant nach allzu langem Zögern zum zurückgehen entschloß, da hieß es denn laufen oder sich fangen lassen. Dabei legte ich notgedrungen den Tornister den Russen als gute Prise hin lief weiter, um mich den Trümmern der Kompagnie anzuschließen. - Als wir sammelten, entließ uns der östreichische General aus seinem Verbande, damit wir unser Bataillon wieder suchen sollten. Dazu sind wir denn 3 Tage und Nächte ohne Schlaf u. fast ohne Nahrung, nur aufs Wassertrinken angewiesen, marschiert und marschiert, hin und her, vor und zurück, bis wirs schließlich hier an den Ufern des Pruth wiederfanden, wo wir nun in Stellung liegen. Ungefähr so!
[Skizze: Kolonne Rabatow Pruth Smiatyn nach Czernowitz]
Eine Karte habe ich nicht -
Der Vorstoß der Russen ist jetzt anscheinend zum Stehen gekommen, und bei Calomea[?] sollen! die Östreicher schon wieder in der Offensive sein; auch hört man von dort sehr lebhaftes Geschützfeuer. Hoffentlich äußert der Schlag von Westgalizien auch hier bald eine Wirkung, damit die Sache wieder ins reine kommt. - Für mich persönlich ist natürlich der Verlust des Tornisters das unangenehmste; insbesondere das daher rührende Fehlen einer Reservebrille; ich bitte also! - Kräftige Nahrungsmittel sind auch stets willkommen. Die Mundharmonika erregt im Schützengraben, wo wir im heißesten Sommerwetter schon 5 Tage liegen, viel Freude. - Übrigens bitte ich strengstens, niemandem den Brief zu zeigen; ich weiß nicht, was von uns in den Zeitungen steht. Es ist aber nicht nötig, daß diese wirklich nur relativ geringfügige Teilaction allgemeiner bekannt wird. Zeitung ist da bis 8. Mai.
Herzlichen Gruß Ernst.

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top