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Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an seine Eltern am 12.03.1915 (3.2011.3530)

 

Haszt(?) 12.III.)


Heute bekam ich endlich wieder einmal Post; natürlich gleich einen ganzen Haufen, sowohl von Lottchen d. A- als auch von Burg aus. Gestern schon kam ein Brief von Vater nebst einigen Neuigkeiten. Solche Tage kommen bei uns immer wie eine Belohnung nach schweren Zeiten; denn gerade wenn es uns schlecht geht, dann hören u. sehen wir nichts von Post (nebenbei bemerkt nicht etwa wegen „Unmöglichkeit“ sondern wegen „Unvermögen“ der betr. Personen [man kann auch Faulheit sagen]. - Schwere Zeiten waren es wieder, die hinter uns liegen. Von Munkacz aus kamen wir nicht etwa wie Leutn. Schlegelmilch gemeldet hat nach Ostpreußen, sondern von neuem vor in die schauderhaften Karpathen. Von Munkacz aus fuhren wir nur wenige Klm und lagen dann einige Vormittagstunden in einem Schuppen, von wo aus ich Roevers einen kurzen Glückwunsch schrieb. Dann marschierten wir los über Voloz und passierten am 2. Tage den Beskidenpaß unter der Erde durch den Eisenbahntunnel. Dann begann eine Zeit, wie ich sie nicht wieder erleben möchte. - An der Stelle wo wir mit angesetzt wurden, saßen die Russen, (kräftige Sibirier u. Finnen, gut genährt, sehr gut ausgerüstet, erstklassige Schützen) auf einem 1285 m hohen Berge, dessen Bewaldung, zwar nicht dicht aber niemals ausgehauen, mit umgestürzten Baumstämmen u. Gestrüpp schon im Sommer ein kaum überwindbares Hindernis geboten hätte, zumal die Berge durchweg steil sind, wie wir es in Thüringen nicht kennen. Steil, daß man sich jeden Schritt mit Anstrengung hochdrücken muß. Nun stelle man sich diesen Berg vor, bedeckt man mannstiefem Schnee, der alle Löcher u.s.w. unsichtbar macht, so daß man bei jedem dritten Schritt mal rechts mal links bis an den Hals einbricht; dann wieder ein Bein zwischen zwei Stämme gerät, u. man ganz hineinschlägt. Und diese Höhe von 1285 m sollte angegriffen werden dieweil die Russen in ihrem längst gut ausgebauten Schützengraben saßen, von wo sie den ganzen Hang bestreichen konnten. Maschinengewehre hatten sie auch oben. - Nun begann der Aufstieg – 50 m höher – Rast – 20 m höher – Rast – und das nun 3 Tage und 3 Nächte in Frost u. Schnee, bis wir für 1 Tag mal zurück ins Quartier kamen, um am nächsten Abend das Spiel von neuem zu beginnen. Dabei Verpflegung ziemlich gleich Null. - Und das ganze bei der Unmöglichkeit des Gelingens völlig hoffnungslos. Das war unser zweiter Karpatenfeldzug. - Was man da noch an Fürchterlichem so nebenbei gesehen hat, wird besser nicht erzählt. Es wäre wirklich höchste Zeit, daß diese Unmenschlichkeit endlich ein Ende nähme; das ist kein frisch-fröhlicher Krieg mehr, das ist schauderhaftes Morden. -
Nun sind wir ja wieder raus und sollen verladen werden; vielleicht heute schon (13. März). Richtung wieder unbekannt; vermutlich aber Bukowina. Ob dort vielleicht schon Frühlingsanzeichen zu finden sind, scheint mir mehr als zweifelhaft. Hier jedenfalls ist noch tiefster Winter, und augenblicklich schneit es draußen heftig. Da tun einem die Truppen leid, die vorne in den Bergen diesen entsetzlichsten aller Kämpfe weiter führen müssen, und – weiterführen mit Mut u. Ausdauer trotz allem. - Wenn den Östreichern noch einmal ein größerer Sieg von der Bukowina herauf gelingen sollte, dann würden die Russen wohl raus müssen, aber den „Servus“ traut man nichts rechtes mehr zu; und es ist in der Tat ein nur geringer Teil der Truppen, der wirklich etwas leistet. Die „Germani“ (wie die Russen sagen) müssen alles machen. - Brauchbare Truppen sind eigentlich nur die Deutsch-Östreicher und einige Ungarische Truppen – diese allerdings schlagen sich wie Helden. - Hoffen wir, daß die Gerüchte von einem erneuten Zurückgehen in der Bukowina nicht wahr werden. - Das Neueste weiß ich übrigens trotz neuester Post nicht, da seit 1.III die Tägl Rundschau ausgeblieben ist. Sonst ist die Post recht reichlich.
Daß wir, während wir mit Sturmgepäck gegen die Russen gingen, unsere Tornister mit sämtlichem Inhalt eingebüßt haben, schrieb ich wohl? Ich bat ….. Meine neuen teuren Stiefel, die im Tornister steckten, hat der Esel, der sie lieber ganz hätte mausen sollen, abgeschnitten, um die Schäfte als Gamaschen zu benutzen. Nun kaufe ich mir aber keine wieder. - Heim, an den ich bei dem Begriff „Stiefel“ immer zuerst denke, war nicht mit vorn u. ist recht wohl. Er u. Horbel haben mir jetzt wo alles weg war, auch manches zugesteckt. Ebenso behülflich ist mir Unteroffizier Götze 1. Komp, der frühere Gehülfe von Beuther. - Ganz kaput gehen kann ich also nicht. - Eins aber scheint man zu Hause nicht zu wissen, daß man nämlich den Truppen, die von Beginn an im Felde stehen und wirklich Strapazen hinter sich haben, nicht mehr allzuviel zumuten kann; sie zehren vom Kapital ihrer Kräfte, das aber auch schon stark abgenommen hat. Nun glaubt anscheinend aber die Leitung gerade diesen Truppen mehr zutrauen zu dürfen, weil sie eben früher so viel geleistet haben. Das kann aber mal erheblich schief abgehen, und wenn es nur der zerstörten Nerven wegen wäre. Na, wenn der Winter bald ein Ende nimmt, kanns noch gehen, denn nach der Frühlingssonne sehnt sich alles und hofft Genesung von all den kleinen Kränklichkeiten, die der Winterfeldzug mit sich gebracht hat.
[andere Schrift] Siehe Tägl. Rundschau No 224 2. Beilage
Soeben Wäsche u. Liebesgaben erhalten und Befehl zum Abmarsch.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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