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Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an den Militärverein Suhl am 31.01.1915 (3.2011.3530)

 

(An Militärverein Suhl) Lalovo bei Munkasz 31.1.15.



Sehr geehrte Herren!
Heute erreichte mich das von Ihrem werten Verein in freundlichster Weise zusammengestellte Packet, zu einer Zeit und an einem Orte, der einen beinahe vergessen ließe, daß ein Weltkrieg tobt. In einem einsamen Bergtale, wie wir im schönen Thüringen es kennen, liegt verträumt und nun auch verschneit ein stilles Dörflein. Dort liegt unsere Kompagnie nun schon seit 8 Tagen in Quartier, damit beschäftigt, die Schäden, die unser polnischer Feldzug an Menschen und Dingen hervorgerufen hatte, einmal gründlich auszubessern. Diese etwas unerwartete Ruhezeit verdanken wir der Witterung, da in den vor uns liegenden Karpaten der hohe Schnee der Kavallerie eine jede Tätigkeit unmöglich macht. Das 1. Bataillon der 32er gehört nun schon seit 2. November, anstatt eines in Frankreich aufgeriebenen Jägerbataillons zur 5. Kavalleriedivision. - Es war eine schwere Zeit, als wir unser Regiment verließen, um an unsere neue Aufgabe heranzutreten.
Von den Schützengräben vor der Festung Iwangorod hatten wir mit unsern schwachen Kräften zurückgehen müssen, um als Rückendeckung gegen die anrückende russische „Dampfwalze“ hinter unsern Truppen her zu marschieren. Feldbäckereien und Bagagewagen waren längst fort, und bei unsrer ewigen Ruhelosigkeit, dauernden Nachtmärschen, unwahrscheinlich langen Tagesmärschen war es unmöglich gewesen, Proviant beizuschaffen. Dabei waren wir ständig in höchster Alarmbereitschaft, da es den nachrückenden Russen bei einigem forschen Draufgehen sehr wohl hätte gelingen können, unsere Nachhut mit überlegenen Kräften anzugreifen. Es spricht für die Geschicklichkeit unserer Führung ebenso wie für den geringen Offensivgeist jener gewesenen größten russischen Armee, daß wir uns kampflos von den Russen lösen konnten, ein Leichenfeld vor unsern Gräben vor Ivangorod den Russen als Menetekel zurücklassend. Durch Petrikoau und Lodz hindurch kamen wir schließlich bis nach Kalisch, also bis dicht an unsere Grenze, ohne auch nur einen Schuß mit den Russen gewechselt zu haben. Nach kurzer Ruhe, wie schon gesagt, begann am 2. November unsere neue Aufgabe, nämlich mit unsrer Kavalleriedivision, die soeben aus Frankreich kam, die „Dampfwalze“ ein wenig anzubremsen. Morgens spritzten wir möglichst weit vor, um uns in event. Plänkeleien mit den Russen einzulassen, und Abends eilten wir eben so weit zurück, um in einiger Sicherheit schlafen zu können. - Dies dauernde Bald hier Bald da muß die Russen gründlich über die Stärke unserer wirklich lächerlich geringen Kräfte getäuscht haben, denn sie haben niemals gewagt, uns anzugreifen, sind vielmehr des öfteren unserm Vormarsch ausgewichen. Leicht wars ja nicht, mit den paar Mann das ganze 900000 Mann starke Russenheer dauernd in Atem zu halten. Wir paar Mann (es können außer unserer Kav. Divis. nur sehr geringe Kräfte dagewesen sein, da Hindenburg bekanntlich alles Verfügbare zu seinem Flankenstoß von Wlaclawek[?] nach Norden gezogen hatte); also wir paar Mann mußten allerdings bei diesem Spiel zwischen Katze u. Maus die letzten Kräfte hergeben, umsomehr da gerade hier die notwendigen großen Märsche durch unendliche Sandwüsten sehr erschwert wurden. Wir wußten aber, daß wir als Wacht an Deutschlands Grenze standen, und das ließ uns alles ertragen; denn die Erzählungen derer, die von Anfang an alles mitgemacht hatten, über das, was sie in Ostpreußen gesehen hatten, ließen uns ahnen, was unserm Vaterlande geschehen wäre, wenn die Russenhorden hereingebrochen wären. Kleinere Erfolge, wie der von Konin, der uns 500 Gefangene und 3 Maschinengewehre einbrachte, munterten uns immer wieder auf. Unser unerschütterliches Vertrauen auf Sieg wurde denn eines Tages auch belohnt. Wir traten erneut den Vormarsch an, da die Russen – wie wir jetzt wissen infolge von Hindenburgs Flankenangriff – begannen zurückzugehen. Entscheidend klar wurde uns das, als wir die Warta überschritten, die bisher als die zu haltende Linie bezeichnet worden war. - Noch waren wir sehr schwach und schwere Tage hatten wir zu überstehen, besonders als die Russen um ihrem bedrohten rechten Flügel zu halten, Truppen von Süden heranzogen. Einmal ward uns dabei der Auftrag ein anrückendes Armeekorps aufzuhalten, damit ein von uns begonnener Kampf im Norden erst zu siegreichem Ende geführt werden konnte.
Es waren schwere verlustreiche Kämpfe, aber es gelang. Bei dieser Gelegenheit war es auch, wo der Kriegsfreiwillige Willy Kerner, dessen Todesanzeige ich gestern in der Henneberger Zeitung las, beim tapfersten Aushalten im heftigsten Feuer einer zehnfachen Übermacht gegenüber in der vordersten Linie der Kämpfenden den Heldentod fand. - (Anfang Dezember)
Nun kamen endlich die Verstärkungen von Frankreich an, und unsere Tätigkeit beschränkte sich darauf, überall da, wo noch keine größeren Verbände in die Kampflinie hatten einrücken können, diese Lücke so lange zu halten, bis ausreichend Kräfte zur Stelle waren. Daß dies uns naturgemäß wiederum manchmal in recht gefährliche Lagen brachte, versteht sich von selbst. Aber wir hatten uns in der „Einer gegen Zehn“ ja in schlimmeres schon hineingefunden, und haben diese Aufgabe denn auch zur vollen Zufriedenheit unserer Führer gelöst. - Der weitere Vormarsch führte uns bis über Tomaszow hinaus, wo wir am 20. Dezember die Russen durch 2 Dörfer hindurch jagten und uns der beginnenden Dunkelheit wegen im letzten derselben einquartierten. In der Nacht verschanzten sich uns gegenüber starke russische Kräfte, die nunmehr in einer ihrerseits zu haltenden Linie angelangt waren. In dieser Stellung lagen wir den Russen unter unaufhörlichem Geschützkampf noch etwa 8 Tage gegenüber. Da kam plötzlich Befehl zum Rückmarsch, der uns schließlich bis Lodz führte, wo wir verladen wurden. Erst als wir südlich durch Schlesien fuhren und gar die österreichische Grenze überschritten, dämmerte uns, wohin es gehen würde. Nach 3tägiger Fahrt landeten wir denn schließlich in Csap in Oberungarn, von wo wir uns allmählich bis hierher in die Karpatenvorberge gemacht haben. Nun warten wir der Dinge, die da kommen sollen; einstweilen beschäftigt mit – Exerzieren, Griffekloppen und – Straßenreinigen. Immerhin haben wir etwas Erholung dabei. Aber man wird verstehen, daß wir dieselbe auch gut gebrauchen können und – so glaube ich – auch verdient haben. - Hier nun erhielt ich die freundliche Sendung die uns den heutigen Sonntag verschönt. Nehmen Sie es u.s.w.

 

 



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