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Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an seine Eltern am 22.11.1914 (3.2011.3530)

 

Sonntag d. 22. Novemb. 1914


in einem gut eingedeckten verlassenen russischen Schützengraben. Etwas Schnee, sonst nur Kälte. - Das ist nun wohl der 5. Tag, den wir in einem Erdloch im Freien zubringen; der erste aber, der uns nicht im rasenden feindlichen Feuer findet; denn wie die soeben eingetroffene Meldung besagt: die Russen in vollem Rückzuge! - Es war aber auch die höchste Zeit für unser armes Bataillon, denn diese letzten Tage hatten wir die Angriffe von ganzen Infanteriebrigaden und Maschinengewehren von vorne, von der Seite u. von hinten auszuhalten, dieweil unsere Kavallerie, zu der wir gehören, beim ersten Schuß ausrückte „um die Pferde zu retten“, wie auch die Artillerie vorzog zu verschwinden, während wir im entsetzlichsten Kreuzfeuer von Sonnenaufgang bis Untergang gelegen haben und schließlich bei Dunkelheit im Kugelregen regelrecht ausgerissen sind, völlig zersprengt und jeder Führung baar. Am nächsten Tage wieder gesammelt, hielten wir uns einen Tag, um am folgenden wieder Stellung räumen im feindlichen Feuer zu üben. Das bischen Bataillon ist an dem „Sonderauftrag“ so ziemlich kaput gegangen. Früher durch die großen Märsche, stets so weit als die Kavallerie ging, und jetzt durch diese heillosen Tage. Ein einziger Hauptmann ist noch beim Bataillon, unser Hauptmann v. Schütz. Dem Hauptmann Hoffmann borgte ich vorgestern meinen Revolver, gestern ist er gefallen. Mein „Sauer“ ist also zum Teufel. Gebraucht habe ich das Dings übrigens nicht. Elektrische Ersatzbatterien sind nötiger.
Die ganze Geschichte kam nun so:
1. [Zeichnung] 11. Korps Russen wir ein anderes Korps
2. [Zeichnung] 11. Korps. Russen wir ein anderes Korps
„Wir“ am schwächsten, daher bei uns die wütendsten Durchbruchsversuche der Russen. Sie aufzuhalten ist uns denn auch gelungen, u. im Augenblick scheints so zu stehen:
daß wir uns an diesem Sonntag endlich einmal ein wenig erholen konnten, ist sehr, sehr willkommen, wenn wir auch im Freien liegen. Zu essen haben wir seit vielen Tagen heute auch das erste Mal wieder ordentlich, wenn es auch an Brot noch immer fehlt, wie immer seitdem wir vom Regiment weg sind. Eure Speckseiten u. Wurstenden haben mit einen guten Teil der „Eisernen“ dran glauben müssen. Dank derselben habe ich aber diesmal auch nicht eigentlich hungern brauchen wie damals bei dem großen Marsch quer durch Polen. Gesund bin ich auch noch wie durch ein Wunder. Von Suhlern „soll“ Kerner gefallen sein. Hans Schlegelmilch war nicht mit an der Front, sondern zur Divisionsbagage abkommandiert. Werner soll dem Kopfschuß von Konin erlegen sein. - Die anderen Suhler, die z. T. in meiner Kompanie sind, kennt Ihr doch nicht. Ein Schuster Heim von der Röder ist dabei. Ich habe nicht gehört, daß einem etwas geschehen sei. - Nun der Sieg unser ist, ist und allen wieder ganz wohl zu Mute; nur würden wir gerne mal wieder Brot u. Post bekommen. Gehört haben wir nur vom Eingreifen der Türkei u. ihren ersten Erfolgen, ferner von einem Teilerfolg in Ostpreußen, von Frankreich noch nichts. Hoffentlich gehts dort auch gut. - Wir hatten übrigens sibirische Truppen gegenüber u. vermutlich auch japanische Artillerie. - Wenn Ihr viel Zeitungen schickt, macht Ihr Euch sehr verdient; die Henneberger wird oft von mir erbeten. - Handschuhe dürft Ihr auch noch mal schicken, sie werden sehr mitgenommen, weil man sie bei jeder Hantierung anhat, um nicht das kalte Eisen das Gewehrs oder des noch häufiger gebrauchten Spatens in der Hand zu haben. Dann wieder kriecht man damit in einem nassen halb gefrorenen Graben herum u.s.w. Also Strapazen für alles was man am Leibe hat. Die Stiefel sind einem am Knöchel auch schon durchgescheuert; und neulich als wir ausrissen und Nachts versprengt umher irrten, ist mir das Sumpfwasser reichlich reingelaufen. Das macht aber alles nichts mehr aus. Es muß gehen, und es geht denn auch alles, was im Frieden unmöglich wäre. Schön ists deswegen nicht, aber schön wärs, wenns nicht mehr nötig wäre. Hoffen wirs.
Rudi besten Gruß u. gute Besserung.
Ort: Nähe von Schadeck.
Ernst.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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