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Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an einen Freund am 27.11.1914 (3.2011.3530)

 

An Freund Pfauch 27.11.14


In Reserve dicht hinterm Schützengraben; diesmal Gott sei Dank, in einer warmen Kammer (Raum □4m Inhalt: 20 Mann 4 Unteroffiziere 1 Feldwebel). Das ist aber ein außerordentlicher Glücksfall; denn die anderen Kompanien liegen vorne schon 2 Tage u. Nächte im Graben, heute sogar im Granatfeuer.
Wir alle haben schweres durchgemacht in den letzten Tagen. Das Bataillon hat kaum noch die Hälfte seiner Leute, und diese aufs äußerste erschöpft. Kampftage, in denen wir gegen 4, 5 manchmal 10fache Übermacht standen; die ganze Kavalleriedivision, der unser Bataillon zugeteilt ist, riß aus, aus Angst für die Pferde, die Artillerie fuhr fort, und wir mußten von vorn rechts und rechts hinten wie toll von Infanterie und vielen Maschinengewehren beschossen, schließlich ausreißen – ja! ja! staune nur, ausreißen! jeder einzelne aus seinem selbstgewählten Loch im Schützengraben raus in die sinkende Nacht hinein – zersprengt das ganze Bataillon, kein Offizier, nichts mehr da; und wir durch Wald und Moor, über Sturzäcker u. Wiesen ins Ungewisse hinein. Am nächsten Morgen wurden die gesammelten Reste aus ihrem Quartier hinausgejagt ... die Russen kaum 50 Mtr weg. - Allmählich sammelte sich alles wieder, und da u. dort haben wir die Herren schon wieder zurückgedrängt trotz der riesigen Überlegenheit. - Denken kannst Du Dir ja wohl selbst, daß das ganze im großen Plane der Schlacht eine nur kleine Episode war, und wie wir nachher erfuhren noch dazu eine vorhergesehene war. - Ein erster Erfolg des Ganzen ist uns ja heute auch gemeldet worden aus der Gegend von Lodz: 40 000 . 70. 30. 150 ma, Ihr werdets eher erfahren haben als wir.
Wahrscheinlich wirst Du von mir Beobachtungen oder Reflexionen über Krieg u. seinen Einfluß auf den Menschen erwartet haben? Nichts dergleichen. Die harte unbedingte Notwendigkeit macht eben jedes Ding zur Selbstverständlichkeit. Du grübelst nicht, ob Du vielleicht in der nächsten Stunde tot bist, und all diese „letzten Gedanken an die Lieben“ scheinen mir erkünstelt, auch das ist zur physischen u. nach kurzer Zeit zur pyychischen Selbstverständlichkeit geworden. Das Denken konzentriert sich auf die Achtsamkeit auf die Befehle, Suchen einer guten Stellung u. Beobachtung das Feindes. Wenn ich etwas denke, denke ich nur an ganz entfernt liegende Dinge, z. B. dachte ich neulich nur zu lebhaft an München u. die schöne Zeit, die wir dort gemeinsam haben verleben dürfen. Niemals haben wir ja gewußt, was! wir genossen haben. Hier draußen lernst Du erst schätzen, was Du entbehrst. - Ich träumte schon von Frieden und – wenn Du dann in München sein solltest, dann bin ich eines Tages bei Dir, um das große Alleinsein u. Schweigen einmal wieder auskosten zu dürfen. Diese unendliche Ruhe, mein lieber Pfauch, die wir genossen haben, lerne ich nun schätzen, wo wir Tag u. Nacht umgeschnallt, Gefechtsbereit liegen, und 100-200 Mtr weit dann u. wann Granaten von der russischen „schweren“ platzen. Es sieht ja deßwegen niemand mehr auf, aber auf die Dauer nimmts einen doch mit. - Gebe Gott, daß es bald vorüber ist. -
Es dunkelt, Licht giebts nicht. Bald ist Nacht, u. wieder liegt man stumm auf dem Stroh. Quo usque tandem, Domine? Wie lange noch, Herr, soll das Leid dauern? Dein Volk ist hart geschmiedet genug, gieb ihm Frieden. Ernst

 

 



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