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Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an seine Eltern am 19.01.1915 (3.2011.3530)

 

Csap 19.1.


Noch immer liegen wir hier im Quartier. Man erzählt sich nämlich, die Kavallerie sei vorne im Gebirge unbrauchbar und solle warten bis sie jenseits der Berge zu tun bekäme; da wir aber wahrscheinlich morgen abrücken werden, wird das wohl so ganz nicht stimmen. Jedenfalls soll es zunächst große Märsche geben, wobei mir, da es auch etwas geschneit hat, das neulich angelangte Marsfett gute Dienste leisten wird. - Man hat übrigens nach Skiläufern gefragt, wozu ich mich dann auch gemeldet habe. Vielleicht müssen wir eigene beschaffen; raus ist aber noch gar nichts. -
Von Kriegsneuigkeiten erfahren wir hier überhaupt nichts mehr. Post bestand bisher nur aus einigen rückständigen Sendungen vom 24. u. 25. XII. - Daß ein großes Weihnachtspacket von Roevers mich gerade vor der Abfahrt in Lodz erreichte, also erwünschter Reiseproviant wurde, schrieb ich wohl schon. Auch vorgestern erhielt ich von Mgdbrg wieder ein Packetchen mit Kakaotabletten, die mir sehr angenehm sind. - Die Ruhetage hier in Csap[?] werden benutzt zum „Exerzieren“. Man sollte es nicht für möglich halten, aber es ist Tatsache, daß jetzt hier exerziert wird, „schlimmer als bei der Rekrutenausbildung!“ (sagen die Aktiven). Dabei sind die Mannschaften von Rheumatismus und dauernden Magenerkältungen so mitgenommen, daß Ruhe dringend nötig gewesen wäre. -
Richtiger ist es natürlich, täglich 1-2 Stunden Bewegungen zu schaffen, aber hier im Kriege den kleinlichsten ekelhaftesten Schliff zu üben, das ist ein recht starkes Stück, und macht die Leute kolossal unlustig, da im Ernstfall doch jeder bei eigener Verantwortlichkeit handelt. Denn wenns am ärgsten ist, sind die Führer ja nicht bei uns, sondern müssen zurückbleiben, um das Ganze zu übersehen und die Verbindung mit dem größeren Verbande aufrecht zu erhalten. Da hat noch Jeder gewußt, was zu tun war, und jetzt werden sie mit den bösesten Ausdrücken belegt, wenn die Übung nachzählen nicht klappt. Das ist die Kehrseite der Medaille, daß sie Führer, die einmal in dem preußischen Drill gesteckt haben, nun jeder menschlichen Regung in dieser Richtung unfähig sind. Ein Reserveleutnant, den wir kürzlich bekommen haben, wollte bei ziemlicher Kälte auch noch den Präsentiergriff üben lassen, da sagte allerdings unser Hauptmann ganz mit Recht: „Das brauchen wir nicht!“ - Na, morgen wirds ja vorbei sein. Alles sehnt sich nach dem Ende dieser „Ruhetage.“
Das Volk hier erinnert in seinem Wesen ein wenig an die Franzosen, was nämlich persönliche Höflichkeit, Eleganz des Auftretens u.s.w. betrifft. - Die Leute lernen „Deutschland über alles“ auswendig, rühmen Deutschland als „der schönster Land.“ - Neulich sang man im Gasthaus das „Deutschland“. Da blieb alles sitzen u. ließ die Mützen auf dem Kopf; die Ungarn nahmen sie ab, und einem, der es vergessen hatte, riß sie ein östreichischer Zugführer herunter; man schämte sich ein wenig der deutschen Schwerfälligkeit. -
Jetzt komme ich wirklich nicht mehr weiter, denn es springen drei ungarische Schuljungen um mich herum, die mit all unsern Sachen spielen wollen und mir dauernd dazwischen reden. -
H. Schlegelmilch ist nicht mehr bei den Autos, sondern wieder beim Bataillon; ich traf ihn gestern bei bestem Wohlsein. - Die Kerls liegen mir dauernd auf dem Briefpapier. -
Heute am 21. erfahre ich, daß der bisherigen Adresse hinzuzufügen ist: „Kaiserlich Deutsche Südarmee“. Trotzdem, sagt der Hauptmann, wirds mit der Post seine Schwierigkeiten haben. An das Gebirge ran gehts ja nur sehr zögernd. Seit dem 13. sind wir nun hier u. sollen übermorgen abrücken: Quartierwechsel! allgemeine Richtung Munkasz. Csap selbst liegt an der Nordausbiegung der Theiß (Tisza) am Knotenpunkt der Bahnen nach Munkasz und Ungvar.
Gekommen sind wir über Lodz, Kalisch, Ostrowo, Kreuzburg, Poprod, Kassa. Die übrigen Stecken liegen für mich im Dunkel des Schlafs, in den die sonnglänzenden Schneeklippen der Magás Tatra hineinleuchten, unendlich zart u. keusch, trotz ihrer Schroffheit. - Was nun mit den Karpaten wird wollen wir mal sehen. - Ernst.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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